Zuletzt bearbeitet am 21. Dezember 2025
Gaea Schoeters‘ Roman Das Geschenk erschien 2025 und nimmt ein reales politisches Ereignis zum Anlass für ein kurioses Gedankenexperiment: Im April 2024 kündigte Botswanas Präsident Mokgweetsi Masisi 20.000 Elefanten als „Geschenk“ für Deutschland an.
Es handelte sich dabei weder um schlechte PR noch um einen zu spät gezündeten Aprilscherz, sondern um Protest auf die Pläne der Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die Einfuhr von Jagdtrophäen zu verbieten. Diese Form der ironischen Diplomatie inszeniert Schoeters zu einer brillanten Politsatire und fragt: Was wäre, wenn die Elefanten tatsächlich kämen?
Das Geschenk ist lesenswert, weil…
👉 es von einem realen politischen Skandal ausgeht und zeigt, wie nah Realität und Satire beieinander liegen – die Tatsache, dass ein Staatspräsident tatsächlich mit Elefanten drohte, macht die Fiktion umso brisanter
👉 die Elefanten eine genial mehrdeutige Metapher sind, die sich nicht auf eine Lesart festlegen lässt – Migration? Naturschutz? Wölfe? Kolonialismus in umgekehrter Richtung? Die interpretatorische Offenheit macht den Text reich und anschlussfähig an verschiedene Debatten
👉 es die deutsche Doppelmoral schonungslos offenlegt: Deutschland will anderen Ländern vorschreiben, wie sie mit ihrer Natur umgehen sollen, scheitert aber selbst an der Koexistenz mit „schwierigen“ Tierarten wie Wölfen – was würde erst bei Elefanten passieren?
👉 Schoeters mit beißendem Humor zeigt, wie europäische Politik zwischen hehren Idealen und kleinlicher Realpolitik oszilliert – vom föderalen Hin und Her über Elefantenquoten bis zur Frage, wer für den Elefantendung zuständig ist
👉 der Roman die koloniale Logik konsequent umdreht: Jahrhundertelang haben Europäer in fremde Ökosysteme eingegriffen, Tiere und Pflanzen verschleppt, Landschaften umgestaltet – nun kommt die Rechnung zurück
Zum politischen Basisereignis von Das Geschenk
Nach den Plänen der Umweltministerin Steffi Lemke, die Einfuhr von Jagdtrophäen wilder Tiere stärker zu reglementieren oder gar zu verbieten kam es zu einer Aussage des botswanischen Präsidenten Mokgweetsi Masisi im Interview mit der Bild-Zeitung. Er wolle Deutschland 20.000 Elefanten „schenken“ sollten die Pläne der Grünen umgesetzt werden. Er sagte wörtlich, dass dies kein Scherz sei und dass Deutsche zusammen mit den Tieren leben sollten, sie also frei herumlaufen sollten wie in Botswana.[1]
Warum dieser Kontext zum Verständnis von Schoeters‘ Das Geschenk wichtig ist:
- In Botswana befinden sich schätzungsweise 130.000 Elefanten, die unter Naturschutz stehen. Das ist eine sehr hohe Anzahl und die Folge erfolgreicher Artenschutzmaßnahmen. Was auf den ersten Blick positiv klingt, führt jedoch häufig zu Konflikten mit Menschen vor Ort, weil die Elefanten Felder zerstören, den Menschen Einkommens- und Nahrungsgrundlage wegnehmen und sogar Menschenleben gefährden können.
- Argumentiert wird, dass die regulierte Jagd auf Elefanten eine notwendige Methode zur Kontrolle des Bestands sei, der auch die lokalen Gemeinden unterstützt und schützt.
- Die in Deutschland diskutierten schärferen Regeln für den Import von Jagdtrophäen – zum Beispiel für Elefanten- und andere bedrohte Tierarten – stößt in Botswana auf Kritik. Denn man befürchtet durch das Verbot eine wirtschaftliche Schwächung der Bevölkerung und zugleich auch eine Einschränkung der Möglichkeit zur Kontrolle der Elefantenpopulation.[2]
War das Angebot ernst gemeint?
Die Aussage wurde von vielen Medien und Experten als Protest-Provokation und politische Geste betrachtet und nicht als geplante Aktion, 20.000 Elefanten physisch nach Deutschland zu verfrachten.
Solche Statements werden manchmal bewusst zugespitzt, um Druck in internationalen Diskussionen zu erzeugen – in diesem Fall über Artenschutzpolitik, Jagd und die Frage, wie man mit großen Wildtierpopulationen umgeht. Aber es ist dennoch interessant, was Gaea Schoeters aus dieser Aussage literarisch macht. Und ich finde ganz besonders die vielen mit dieser Umsetzung einhergehenden Lesarten im politischen Kontext spannend.
Zusammenfassung Das Geschenk von Gaea Schoeters
In Schoeters‘ Roman tauchen ganz plötzlich nach und nach Elefanten aus dem Nichts auf, die in der Spree baden und Obststände plündern. Insgesamt 20.000 Dickhäuter werden sich manifestieren – ein „Geschenk“, mit dem der amtierende Bundeskanzler Hans Christian Winkler sich zwangsläufig auseinandersetzen muss. Denn mit wachsender Anzahl stürzen die grauen Dickhäuter die Stadt ins Chaos. Winkler steht vor einer unmöglichen Aufgabe: Die Tiere können weder erschossen noch einfach abgeschoben werden. Verschiedene Maßnahmen werden ergriffen, um die Elefanten in das deutsche System zu integrieren. Von einer Düngeverordnung, Prämien für die Ansiedelung von Elefantenherden in den einzelnen Bundesländern bis zu Bußgeldern bei Ablehnung, Merchandising und PR-Maßnahmen sowie neuen Tourismusattraktionen für wenig bekannte Städte gibt es eine Vielzahl an strategischen Maßnahmen, die vom politischen Krisenstab nach und nach umgesetzt werden. Alles in allem wird eine groß angelegte Renaturierung und Deindustrialisierung Deutschlands angestrebt. Das Interessante an der Lektüre von Das Geschenk sind die vielen verschiedenen Lesarten. Denn die Elefanten sind eine passende Projektionsfläche für eine Vielzahl von aktuellen Diskursen. Sie sind eine schillernde, vieldeutige Metapher, die sich jeder eindeutigen Lesart entzieht. Sind sie Symbol für Migration? Für die Wölfe, die nach Deutschland zurückkehren? Für Umweltzerstörung oder gerade für Naturschutz? Für koloniale Einmischung in fremde Biosphären – nur diesmal in umgekehrter Richtung? Schoeters lässt all diese Deutungen zu und zwingt uns damit, über die Komplexität globaler Machtverhältnisse nachzudenken.
Zur Autorin Gaea Schoeters
Gaea Schoeters, Jahrgang 1976, ist eine flämische Autorin, Journalistin, Librettistin und Drehbuchautorin. 2012 gewann sie den Großen Preis Jan Wauters für ihren kreativen Umgang mit Sprache. Sie ist die Tochter eines belgischen Politikers, was sich in ihrem scharfen Blick für politische Mechanismen und Machtstrukturen niederschlägt.
Ihr Roman Trophäe erschien 2024 und wurde mit dem Literaturpreis Sabam for Culture ausgezeichnet. Mit diesem Debüt über einen europäischen Großwildjäger in Afrika etablierte sie sich sofort als wichtige Stimme der zeitgenössischen niederländischsprachigen Literatur. Thematisch knüpft sie mit ihrem zweiten Roman Das Geschenk an ihren Erstling an, der 2025 veröffentlicht wurde.
Schoeters‘ Werk zeichnet sich durch große erzählerische Fantasie, politische Schärfe und die Fähigkeit aus, komplexe globale Zusammenhänge in prägnante, bildstarke Geschichten zu verwandeln. Sie interessiert sich besonders für postkoloniale Themen, das Verhältnis zwischen Europa und Afrika sowie für die Widersprüche westlicher Umwelt- und Moralpolitik. Ihr besonderes Talent liegt darin, reale politische Ereignisse als Sprungbrett für literarische Fiktionen zu nutzen, die unsere Gegenwart in einem neuen, verstörenden Licht erscheinen lassen.
Mögliche literaturwissenschaftliche Ansätze zu Gaea Schoeters‘ Das Geschenk
Das Geschenk lebt von der interpretatorischen Offenheit seiner zentralen Metapher – dem Elefanten. Neben dieser Offenheit der Lesart sollte man aber auch das erwähnte Basisereignis von 2024 und den politischen Kontext im Kopf behalten. Trotzdem möchte ich folgend verschiedene Lesarten aufführen und erläutern.
Die Mehrdeutigkeit der Elefanten-Metapher
Die Elefanten in Schoeters Das Geschenk können gelesen werden als:
(1) Symbol für Migration und das „Fremde“, das sich nicht assimilieren lässt;
(2) als Verweis auf die deutsche Wolf-Debatte und die Frage, welche „wilden“ Tiere in Europa Platz haben sollen;
(3) als Symbol für Umweltzerstörung, die andere Ökosysteme bedroht;
(4) paradoxerweise als Symbol für Naturschutz, der radikale Veränderungen fordert;
(5) als Allegorie des umgekehrten Kolonialismus – Europa hat jahrhundertelang fremde Biosphären manipuliert, nun geschieht es umgekehrt.
Diese Vieldeutigkeit ist eine besondere Stärke des Romans: Sie zwingt zur Reflexion über die strukturellen Parallelen zwischen verschiedenen politischen Feldern.
Postkoloniale Umkehrung und „Reverse Colonialism“
Schoeters Roman Das Geschenk operiert mit einer brillanten Umkehrlogik: Jahrhundertelang haben Europäer fremde Kontinente kolonisiert, Tiere verschleppt (Kartoffeln aus Amerika, Kaninchen nach Australien, Pferde nach Amerika), Ökosysteme zerstört und dann den „Wilden“ erklärt, wie richtige Naturbeziehung aussieht. Nun kommt Afrika (real mit der Drohung, im Roman mit „Magie“ und macht dasselbe mit Europa – und plötzlich erscheinen die eigenen Prinzipien problematisch. Diese Spiegelung legt die neo-kolonialen Strukturen heutiger Umweltpolitik offen: Wer bestimmt, was „natürlich“ ist? Wer darf in welche Biosphären eingreifen? Was bedeutet diese Art von übergestülpter „Fürsorge“ und was passiert, wenn die Verhältnisse verkehrt werden?
Politische Satire und die Grenzen grüner Politik
Schoeters seziert in Das Geschenk mit ihrer auf realen Ereignissen basierenden Erzählung die Widersprüche westlicher Umweltpolitik. Deutschland will Naturschutz – aber bitte in Afrika, nicht im eigenen Land. Wölfe sind schon zu viel, Elefanten wären unmöglich. Die Satire zeigt: Umweltschutz ist oft Luxuspolitik, die anderen zugemutet wird, während man selbst nicht bereit ist, die Konsequenzen zu tragen. Die vorgeschlagene Renaturierung Deutschlands entlarvt, dass „zurück zur Natur“ in Wahrheit Zivilisationsabbau bedeuten würde – wollen wir das wirklich? Es zeigen sich mit dieser Auslagerung ähnliche Mechanismen wie in der Klimapolitik, wie ich sie im Beitrag zu Kristine Bilkaus Halbinsel am Beispiel der Klimazertifikate aufzeige.
Das Tier als politischer Akteur in Gaea Schoeters Das Geschenk
Die Elefanten sind nicht passive Objekte menschlicher Politik, sondern aktive Störfaktoren, die sich Kategorisierungen entziehen. Sie repräsentieren „agency“ im Anthropozän – die Natur als Kraft, die zurückschlägt, die sich nicht kontrollieren lässt. Im Kontext der Animal Studies und des Posthumanismus werfen sie die Frage auf: Wie gehen menschliche Gesellschaften mit nichtmenschlichen Akteuren um, die eigene Bedürfnisse haben und Raum beanspruchen? Die Elefanten dekonstruieren die anthropozentrische Ordnung. Dabei werden sie allerdings auch vielfach zur Projektionsfläche und Instrument wirtschaftlicher und sozialer Aspekte.
Migration, Zugehörigkeit und „Invasive Species“
Die Parallele zur Migrationsdebatte ist im Roman unübersehbar, allerdings nicht simpel dargestellt. Die Elefanten kommen ungebeten, können nicht zurückgeschickt werden, „passen nicht hierher“, verursachen Kosten, werden zur Belastungsprobe für föderale Solidarität (Verteilungsquoten!). Gleichzeitig sind sie sowohl Geschenk als auch Fluch. Schoeters spielt mit dem biologistischen Begriff der „invasiven Art“ und zeigt, wie dieser Begriff politisch instrumentalisiert wird – wer definiert, was wohin „gehört“? Die Elefanten entlarven die Konstruiertheit solcher Kategorien. Inwiefern sie sich im Roman als das „Andere“ und das „Fremde“ im literaturwissenschaftlichen Sinne analysieren lassen, würde an dieser Stelle zu weit greifen und kann nicht in seiner vollen Tiefe erörtert werden. Doch als „profanes“ Beispiel möchte ich Eichhörnchen nennen, wobei vielen mittlerweile bekannt sein dürfte, dass unsere einheimischen kleinen roten Freunde von den größeren grauen Hörnchen „verdrängt“ werden. Das ist eine Form der „invasive Species“.
Ökokritik und die Frage nach „authentischer Natur“
Das Geschenk stellt literarisch radikal die Frage: Was ist eigentlich „natürlich“? Sind Elefanten in Deutschland unnatürlich? Das lässt sich natürlich auf andere Tiere wie zum Beispiel die vorher aufgerufenen Wölfe übertragen: Waren es Wölfe auch, bevor sie zurückkehrten? Ist Europa ohne Megafauna „natürlich“ oder nur das Ergebnis menschlicher Ausrottung? Die Forderung nach Renaturierung führt zu einem Paradox: Um Natur zu schützen, müssten wir Zivilisation aufgeben – aber das ist politisch unmöglich. Der Roman zeigt die Scheinheiligkeit einer Umweltpolitik, die „Natur“ haben will, aber nur in kontrollierten, ungefährlichen Dosen.
Realpolitik und symbolische Politik
Schoeters führt in Das Geschenk vor, wie Politik zwischen Symbolhandlung und realen Konsequenzen oszilliert. Das Trophäenverbot ist symbolische Politik (es betrifft wenige Jäger, kostet Deutschland nichts), aber es hat reale Folgen in Botswana (weniger Einnahmen für Naturschutz, Mensch-Tier-Konflikte). Insofern zeigt der Roman genau das, was Botswanas Präsident im Interview mit der Bild-Zeitung so sarkastisch formuliert hat: Die Elefanten machen die Rechnung auf: Was passiert, wenn symbolische Politik reale Konsequenzen für einen selbst hat? Die deutsche Politik kollabiert im Roman, weil sie nur in Symbolik, nicht in Realitäten denken kann.
Hybridität von Genres und Erzählformen
Der Roman verbindet politische Satire, Fabel, dystopische Fiktion und realistische Gegenwartsdiagnose. Die nüchterne, bürokratische Sprache kontrastiert mit dem absurden Szenario und erzeugt Verfremdungseffekte. Diese Genrehybridität ermöglicht es, verschiedene Diskursebenen gleichzeitig zu bearbeiten – von konkreter Tagespolitik bis zu philosophischen Grundsatzfragen über Mensch-Natur-Verhältnisse.
Literatur als politische Intervention
Der Roman zeigt exemplarisch, wie engagierte Gegenwartsliteratur funktionieren kann: Er reagiert auf ein reales Ereignis, denkt es weiter, überspitzt es, macht seine politischen und philosophischen Implikationen sichtbar. Schoeters betreibt eine Form literarischer Aufklärung durch ästhetische Überwältigung – die Leser*innen können sich dem absurden Szenario nicht entziehen und müssen Position beziehen. Ich persönlich habe den Roman mit Begeisterung gelesen. Das Verweben von realen Ereignissen und Weiterspinnen eines „Was-wäre-wenn-Szenarios“ ist grandios literarisch inszeniert. Dabei könnte man dem Roman Kürze oder fehlende Details vorwerfen. Doch ich denke, gerade die Kürze ist eine der Stärken von Das Geschenk, weil ohne viel Drumherum genau die Kernpunkte präzise und stark inszeniert werden. Jeder versteht worum es geht.
Elefanten in Das Geschenk: Tiere als politische Akteure
Tiere sind in Deutschland längst zu faktischen politischen Akteuren geworden, auch wenn sie keine Stimme im Parlament haben. Ihre bloße Existenz erzwingt Gesetzesänderungen, Koalitionsverhandlungen, Budgetumschichtungen und hitzige politische Debatten. Zwei Beispiele zeigen besonders deutlich, warum und wie Tiere zu politischen Akteuren werden:
Der Wolf: Deutschlands umkämpftestes Tier
Im Monitoringjahr 2023/2024 wurde in Deutschland aus den Bundesländern das Vorkommen von insgesamt 209 Wolfsrudeln, 46 Wolfspaaren und 19 sesshaften Einzelwölfen bestätigt.[3] Aufgrund der Wiederansiedelung kommt es zu Zwischenfällen mit Nutztieren, denn Wölfe reißen das, was sie am leichtesten bekommen können. Der Abschuss ist daher in Ausnahmefällen möglich.[4] Laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) seien Schafe und Ziegen europaweit deutlich häufiger von Wölfen getötet als größere Nutztiere. „Dies zeigen auch die Schadenszahlen in Deutschland. Da bei vielen Rassen das Fluchtverhalten durch die Domestikation abgemildert wurde, kommt es bei Übergriffen auf Schaf- und Ziegenherden häufig zu Mehrfachtötungen. In Deutschland wurden 2024 pro Wolfsübergriff durchschnittlich 3,9 Tiere getötet.“[5] Es ist also verständlich, wenn Betroffene sich gegen Wolfsangriffe auf ihr Vieh wehren wollen, um weitere Schadensfälle zu verhindern. Insofern ist der Vergleich mit den Elefanten durchaus gegeben, denn in Das Geschenk werden ähnliche Themen diskutiert, etwa wenn junge Elefantenbullen in der Paarungszeit besonders aggressiv sind oder ein Verkehrsunfall mit dem Tod einer Elefantenmutter die Bergung der Verletzten aufhält. Ein weiterer Roman, der beispielsweise die Wiederkehr des Wolfs und damit zusammenhängende politische Diskurse literarisch inszeniert ist Markus Thielemanns Von Norden rollt ein Donner.
Warum wird der Wolf zum Politikum?
Der Wolf ist deshalb so umkämpft, weil seine Integration in die Naturlandschaft mehrere politische Ebenen gleichzeitig berührt. Zunächst einmal verursacht er reale ökonomische Schäden: Schafhalter und Weidewirtschaft klagen über gerissene Tiere, trotz Herdenschutzmaßnahmen. Diese Verluste sind für kleinere Betriebe existenzbedrohend. Gleichzeitig steht der Wolf aber auch symbolisch für die grundsätzliche Frage, wieviel „Wildnis“ Deutschland verträgt und wer das Sagen hat über die Gestaltung unserer Landschaften – der Mensch allein oder auch andere Arten?
Die Befürworter des Wolfes argumentieren, dass er ein wichtiger Teil des Ökosystems ist, dass sein Schutzstatus hart erkämpft wurde und dass erfolgreicher Herdenschutz möglich ist. Sie sehen im Wolf die Rückkehr einer natürlichen Ordnung, die der Mensch jahrhundertelang zerstört hat Die Gegner hingegen, insbesondere Jägerverbände und Landwirte, argumentieren mit Sicherheit und Praktikabilität. Ihre Position ist: Deutschland ist zu dicht besiedelt für ein so großes Raubtier, das Konfliktpotenzial ist zu hoch, die Weidewirtschaft hat Vorrang.
Was den Wolf als politischen Akteur so mächtig macht, ist seine Unberechenbarkeit und Autonomie. Er lässt sich nicht an Grenzen halten, wandert von Polen nach Sachsen, von dort nach Bayern. Er respektiert weder Bundesländergrenzen noch politische Zuständigkeiten. Er „agiert“ also im buchstäblichen Sinne politisch, indem er durch sein bloßes Dasein EU-Richtlinien, Bundesgesetze und Länderpolitik verändert. Er zwingt die Politik zum Handeln, weil sein Nicht-Handeln selbst eine politische Entscheidung wäre – nämlich die Entscheidung für den Wolf und gegen die Weidetierhaltung.
Schließlich ist der Wolf auch ein Klassenkampf-Thema: Während urbane Naturschützer für den Wolf plädieren können, sind es ländliche, oft wirtschaftlich schwächere Viehhalter, die die Kosten tragen. Diese Stadt-Land-Spaltung macht den Wolf zum perfekten Stellvertreterthema für tieferliegende gesellschaftliche Konflikte. Man könnte auch sagen, dass Menschen, die sich überhaupt nicht mit dem Alltag der Viehhalter auskennen, über eine Sachlage bestimmen, mit der sie im Grunde gar nichts zu tun haben.
Die Parallele zu Schoeters‘ Elefanten in Das Geschenk
Die Elefanten in Das Geschenk sind also keine absurde Fantasie, sondern eine Zuspitzung der Realität, deren literarische Inszenierung auf dem politischen Ereignis von April 2024 basiert.
Tiere sind längst politische Akteure in Deutschland – nur sind es (noch) keine Elefanten, sondern Wölfe und Biber. Sie alle teilen mit den fiktiven Elefanten dieselben Eigenschaften: Sie kommen (zurück) ohne um Erlaubnis zu fragen. Sie lassen sich nicht einfach wegmachen, ohne internationale Verträge zu brechen oder moralische Grundsätze zu verletzen. Sie erzwingen politische Entscheidungen, weil Nicht-Handeln unmöglich ist. Die Elefanten spalten die Gesellschaft entlang der Linien von Stadt-Land, Ökologie-Ökonomie, Ideal-Realität. Und sie stellen alle dieselbe Grundfrage: Wieviel Natur ist uns zumutbar, wenn sie nicht mehr in Reservaten eingesperrt ist, sondern selbstbestimmt handelt?
Schoeters‘ Roman lässt auch diese Lesart zu, auch wenn das Ereignis, auf dem der Roman ursprünglich basiert, weniger mit Wölfen, denn tatsächlich mit Elefanten zu tun hat. Doch in diesem Kontext zählt das Schlagwort „Artenschutz“. Ich jedenfalls spreche eine Leseempfehlung aus.
- Das Geschenk – Gaea Schoeters‘ Politsatire über 20.000 Elefanten in Berlin – 21. Dezember 2025
- Kleiner Mann – was nun? Zusammenfassung, Analyse und Interpretation von Hans Falladas Gesellschaftsroman – 20. Dezember 2025
- Frühstück bei Tiffany – Truman Capotes zeitlose Novelle über Holly Golightly – 19. Dezember 2025
[1] Sebastian Geisler: Botswana will 20.000 Elefanten nach Deutschland abschieben am 2.10.2024 auf BILD online, online unter: https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/botswana-will-20-000-elefanten-nach-deutschland-abschieben-87716972.bild.html (zuletzt abgerufen am 14.12.2025).
[2] https://www.bild.de/politik/ausland/politik-ausland/botswana-will-20-000-elefanten-nach-deutschland-abschieben-87716972.bild.html
[3] Wolfsvorkommen in Deutschland auf Bundesamt für Naturschutz, online unter: https://www.bfn.de/daten-und-fakten/wolfsvorkommen-deutschland (zuletzt aufgerufen am 14.12.2025).
[4] Wann darf ein Wolf geschossen werden, wer entscheidet das und gibt es Alternativen auf Bundesumweltministerium, online unter: https://www.bundesumweltministerium.de/faq/wann-darf-ein-wolf-geschossen-werden-wer-entscheidet-das-und-gibt-es-alternativen (zuletzt aufgerufen am 14.12.2025).
[5] Bundesweite Schadenstatistik auf Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf, online unter: https://www.dbb-wolf.de/wolfsmanagement/herdenschutz/schadensstatistik (zuletzt aufgerufen am 14.12.2025).