The Zone of Interest – Gedanken

Am 29. Februar 2024 startete The Zone of Interest von Jonathan Glazer über den KZ-Kommandanten Rudolf Höß (Christian Friedel) und seine Frau Hedwig (Sandra Hüller). Der Film hat den Oscar in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film gewonnen. Weitere Nominierungen gab es in den Kategorien: Bester Film. Beste Regie. Bestes adaptiertes Drehbuch. Bester Ton. Die gleichnamige Buchvorlage stammt von Martin Amis. Das waren die Informationen, mit denen ich ins Kino ging. Ein spontaner Einfall, ausgelöst durch eine Mail der Bundeszentrale für politische Bildung, in der ich einen Beitrag zu NS-Tätern im Film verlinkt fand, überflog und auf The Zone of Interest stieß.

Das sind die Informationen, von denen aus ich diesen Beitrag beginnen werde. Ich werde keine Analyse vornehmen, sondern ich werde in einer Art Gedankenstrom meine Erinnerungen und Wahrnehmungen und Empfindungen beim Anschauen des Films wiedergeben. An einiges erinnere ich mich sehr genau, anderes ist vielleicht schon fiktional.

Bewusst Verdrängen aus Interesse.

The Zone of Interest überlege ich, während auf der Leinwand Werbung läuft, da scheint es um Grenzen zu gehen und um Interessen, die mit diesen Gebieten verbunden sind. Wie war das doch gleich auf dem Kinoplakat? Ein Garten mit Liegestühlen, sattes Grün und Schatten durch die Sonneneinstrahlung, doch der Himmel – schwarz. Da fehlt etwas, da ist etwas wegretuschiert. Da klafft ein Loch. Etwas, das man nicht sehen soll, denn dafür ist Retusche ja schließlich da. Auch Erinnerungen lassen sich im Geist retuschieren. Handlungen lassen sich ausblenden. Natürlich, das Haus steht direkt neben dem KZ. Auschwitz. Oświęcim.

Wie funktioniert das? Direkt neben einem KZ wohnen?

Es funktionierte.

The Zone of Interest.

Es geht los. Zunächst ———– Schwarz!

Dann: Familienidylle am See: Eltern, 5 Kinder mit Hund. Ein typischer Sonntagsausflug.

Wieder zuhause. Den Kindern wird von Papa vor dem Schlafengehen vorgelesen. Rudolf Höß löscht die Lichter. Ist der letzte Gang durch das Haus und das Ausschalten allen Lichts eine Form von Machtausübung? Es ist Kontrolle. Es bedeutet: Ich besitze die Macht, Dinge anzuschalten. Es bedeutet auch: Ich besitze die Macht, Dinge auszulöschen.

Ständig diese Geräusche.

Ich weiß, dass dort das Lager ist. Es erscheint mir surreal. Vor der Mauer, im Garten, im Blumengarten mit dem kleinen Wasserbecken, fährt ein Gärtner mit einer Schubkarre – oder ist es ein Arbeiter aus dem Lager? Wahrscheinlich. Er geht entlang der Mauer, einer Mauer, die mit Stacheldraht bespannt ist. Zu sehen sind die Dächer der Gebäude dahinter. Hier blüht es, grünt es, lebt alles. Dort, versteckt vor meinem Blick, Gewalt, Tod, Mord.

Hier Alltag. Dort …

Und ständig diese Geräusche.

Absurd, wenn der gesamte Vorgarten von Rudolf Höß mit grau-uniformierten Nationalsozialisten gepflastert ist, die ihm zum Geburtstag gratulieren. Sie prosten ihm freundlich zu, lachen. Und hinter der Mauer Schüsse, Schreie, Tod. Sind nicht diese lächelnden Uniformträger verantwortlich dafür, verantwortlich dafür, was hinter dieser Mauer vor sich geht? Absurd, wenn Hedwig mit dem Baby auf dem Arm zu den Blumen geht, das Kleine hineinhält und es daran riechen lässt. Die Blumen duften. Ab und an steigt Rauch aus dem großen Schornstein. Das riecht. Höß bekommt Gäste. Man plant eine bessere Verbrennungsanlage, eine, die rund um die Uhr vergasen und verbrennen kann. Deutsche Effizienz. Keine Zeit verschwenden. Alles nutzen. Ausnutzen. Auftrag ausführen. Befehl ist Befehl.

Für gut ausgeführte Befehle gibt es ein Haus am Höllenschlund als Geschenk.

Und ständig diese Geräusche.

Kleidung wird gebracht. Die Hausmädchen dürfen sich etwas aussuchen. Blusen, Unterhemden. Hedwig nimmt sich den Pelz, geht ins Schlafzimmer, probiert ihn an. Ich verstehe erst nicht. Sie steckt die Hände in die Taschen. Findet einen Lippenstift. Rot. Kostbar. Sie legt auf. Wischt es ab. Die Kleidung kommt von einer Lagerinsassin.

Sie weiß genau, was sie tut. Sie weiß genau, was sie tun. Und es ist in Ordnung. Weil Befehle ordnungsgemäß ausgeführt werden. Und sie ist die Frau vom Befehlshaber. Seine Macht gehört auch ihr. Umhüllt sie wie der Mantel. Der Spiegel stört nicht. Sie sieht nur ihre Großartigkeit.

Ich frage mich, wie dies rechtfertigen?

Und ständig diese Geräusche.

Hedwigs Mutter kommt zu Besuch. Bewundert das Haus. Bewundert den Garten. Paradiesgarten. Das Wort fällt, ist den Figuren in den Mund gelegt. Sie reden von dieser Seite. Auf der anderen Seite tobt die Hölle. Inferno. Ich denke an Dante. Denke an Primo Levi.

Die Mutter freut sich für die Tochter. „Auf beiden Beinen gelandet“, sei diese, so meine ich mich an den Wortlaut zu erinnern. Klar, welche Mutter wünscht sich das nicht für die Tochter. „Königin von Auschwitz“ – ein Kosename. Mich fröstelt. Der Hund klaut vom gedeckten Gartentisch. Den Befehlston haben sie alle drauf. Zack zack – spuren. Wer gern befiehlt, der hat gern auf Befehle gehört – überlege ich. Das muss wohl stimmen. Mir wird kalt und ich nutze meine Jacke als Decke.

Und ständig diese Geräusche.

Nacht. Das Kindermädchen säuft. Ein Kind versteckt in der Kammer. Vater Höß mit der jüdischen Geliebten. Hedwigs Mutter wird wach. Das Höllenfeuer kennt keinen Schlaf. Es greift um sich, brennt hell und seine leckenden Lichter lodern sich labend vom menschlichen Fleisch in die Fenster der Familienidylle. Am nächsten Morgen ist sie weg. Abgereist. Nur ein Brief liegt da. Hedwig liest, verbrennt ihn. Feuer ist eine Lösung für so viele Dinge. Es ist effizient.

Und ständig diese Geräusche.

Die Opfer kriegen kein Gesicht. Sie sind indirekt anwesend. In dem Dampf von der einfahrenden Eisenbahn, der über die Mauer sichtbar ist. In dem Ruß, der vom Himmel fällt. Der Asche, der als Dünger für die Pflanzen im Paradiesgarten dient. Dem Pelz. In dem Kieferknochen, den Höß beim Angeln im Fluss findet.

Sie sind in den Dialogen der Figuren, die beratschlagen wie noch schneller und effizienter Menschen vergast und verbrannt werden können. Als wären es keine Menschen, sondern … sondern … leblose Objekte. Sie sind in den Abzeichen, Orden und Stellungen der grauen Kommandeure und Hochrangigen zu finden, die alle nur eines wollen – gehorchen, Befehle ausführen und verdienen. Wenn Massenmord ein Befehl ist, dann ist das eben so.

Und ständig diese Geräusche.

Eine Ehekrise wird eingeleitet, weil Höß nach Oranienburg versetzt wird. Hedwig will ihr Zuhause nicht verlassen. Das Zuhause neben dem Lager, inmitten der Schreie, dem Geruch, der Asche und dem Tod. Vielleicht passt doch Königin von Auschwitz.

Und ständig diese Geräusche.

Der Film arbeitet mit Brüchen. Die Handlungen eines Mädchens erscheinen wie im Negativ. Es ist Nacht, aber sie scheint auch die Seiten gewechselt zu haben, die im Negativ. Die Farben der Blumen vor den Hintergrundgeräuschen. Die Blumen gepflanzt, den Rest ausgeblendet. Je näher man rangeht, desto weniger muss man sich umsehen, man sieht nur noch Blumen im Großformat. Ganz nah. Ganz rot. Und dann, plötzlich: im Museum. Fenster werden gereinigt, hinter ihnen Schuhe der Lagerinsassen. Ich sehe, wie gefegt wird, wo früher Menschen starben. Das ist alles echt! Das ist kein Film! Das ist wirklich passiert! Guck doch hin!

Wieso war ich eigentlich mit meiner Schulklasse nicht in einem Konzentrationslager? Das sollte doch Pflicht sein?

Erinnern. Bewahren. Mahnen.

Der Film zwingt mich zum Aushalten in vielerlei Hinsicht. Wie es wohl anderen dabei geht? Nach dem Film höre ich im Foyer zwei Frauen reden. „… Direkt daneben. Stell dir vor …“

Ich frage mich, ob die es ernst meinen. Schockiert sein, sich aufregen, das kann doch jeder. Reden ist einfach. Ein paar Worte sind schnell gesagt. Handeln, etwas tun – das ist schwer. Das ist schwer, weil es mit Konsequenzen für das eigene Leben verbunden ist. Welche davon, ist man bereit zu tragen? So etwas darf nicht noch einmal passieren!

Ich frage mich, wie ich gehandelt hätte damals. ——– Ich kann es nicht wissen.

The Zone of Interest.

The Zone of Interest ist ein Film, der eine andere Perspektive auf die schon häufig verfilmte Thematik der NS-Täter wirft und die Banalität ihres auf Befehlen fußenden Handelns veranschaulicht. Mit Blick auf die Szene mit Rudolf Höß gegen Ende des Films bleibt mir nur zu sagen: Es ist zum Kotzen!