Die antiken Mythengestalten dienen Camillus und Emilia exempelhaft zur Beschreibung ihrer Gefühle: Du bist mir Apollo / sprach Emilia / du bist Ganymedes / du bist Narcissus […] Du bist mir Helena (sprach widerumb Camillus) / du bist Chriseida / du bist mir Polixena / Priamus Tochter.[1] Das ist möglich, weil mit den Namen spezifische Rollen und Geschichten verbunden sind, die zum Bildungskanon gehören und den Figuren bekannt sind, weil ihnen diese Bildung zuteilwurde. Hinsichtlich ihres durch Bildung gewonnenen Wissens sind die Figuren mit dem Dichter vereint sowie mehr oder weniger auch mit den zeitgenössischen Rezipienten. Allerdings ist Emilia verheiratet, es handelt sich um eine Ehebruchsliebe. Das ist nichts Neues, man kennt die großen unglücklichen Liebesfälle wie Isolde und Tristan, Francesca da Rimini und Paolo Malatesta, Romeo und Julia und viele weitere.
Die Frage, ob wahre Liebe in den Grundfesten der Ehe zu finden ist, wurde literarisch variationsreich inszeniert und häufig mit einer Moral versehen oder teilweise versucht, eine Moral in die meist unglücklich endenden Ehebruchslieben hineinzuprojizieren. Es sind gerade diese Stoffe, die – obwohl mit der Liebe Betrug und Lug einhergehen – ewig weitererzählt werden und niemals aus der Mode kommen. Und darum lohnt ein genauerer Blick auf die Liebe von Camillus und Emilia – denn der Schöpfer der Geschichte hatte jedenfalls vor, sich in die literarische Tradition einzuschreiben.
Weiterhin fragt dieser Beitrag nach dem Reflexionspotenzial der literarischen Kleinform des Kasus im Zusammenhang mit der Novelle und dem an den Figuren inszenierten spezifischen Liebesfall und anderen Fällen. Es werden Möglichkeiten zur situativen Anwendung der Exempel seitens der Figuren analysiert und die im Zentrum des Werkes rangierende Liebe hinsichtlich ihrer funktionalen Intertextualität erläutert sowie eine mögliche Autorintention vorgestellt. Es wird ebenfalls zu zeigen sein, dass die Figuren sich trotz Ähnlichkeiten mit Figuren der literarischen Tradition von diesen abzugrenzen wissen und damit eine literarische Individualität begründen. Darüber hinaus wird auch das Thema des Lernens durch Lesen und die Macht der Worte, ihre Fähigkeit zur Verführung und Schüren von Begehren erwähnt.
Ein mögliches Motiv hinter Camillus und Emilia
Der im italienischen Arezzo (die Geschichte spielt auch dort) geborene Dominikanermönch und Handschriftenschreiber Franciscus Florius Florentinus verfasste 1464 Camillus und Emilia. Die 1444 von Enea Silvio Piccolomini verfasste Novelle De duobus amantibus bzw. Euryalus und Lucretia gilt als Vorbild. Franciscus hat sein Werk nämlich erst im Todesjahr von Piccolomini, der als Papst Pius II. bekannt ist, verfasst. Gedruckt wurde der Text erstmals 1467 in Paris.[2] Dass jene Novelle Franciscus als Vorlage galt, liegt neben den offensichtlichen Gemeinsamkeiten der Handlung sowie den elaborierten Referenzen auf antike Mythengestalten, Motive und Stoffen mitunter darin begründet, dass der Autor in seinem lateinischen Widmungsbrief an den Pariser Rhetorikprofessor Guillaum Tardif[3] auf Piccolominis Werk eingeht und seine Schreibkunst zu dessen Novelle in Beziehung setzt.[4] (Der Widmungsbrief ist im Original nur in lateinischer Sprache überliefert, die Übersetzung steuere ich bei).
„Ich veröffentliche dieses Buch keineswegs, um den Eindruck zu erwecken, Aeneas Silvius, [Fettungen in Zitaten hier und später sind von mir vorgenommen worden] den späteren Papst Pius II., und sein Werk „Die beiden Liebenden, der teutonische Euryalus und die sienesische Lucretia“ zu verunglimpfen oder seinen ewigen Ruhm zu trüben, sondern vielmehr, um der Gegenwart zu zeigen, dass ich mit meinem Liebesbogen dennoch Apollo, den Sieger über die höllische Schlange, die Aeneas seinerzeit mit einem goldenen Pfeil durchbohrte, durchbohren kann.“[5]
Die Referenz auf Ovids Metamorphosen ist mit Blick auf Piccolominis Euryalus und Lucretia von besonderer Relevanz und bedarf einer Einführung. Denn Franciscus, das denke ich zumindest, hat hier seine Intention zum Verfassen der Novelle versteckt bzw. offenbart (es kommt immer darauf an, wieviel Wissen jemand zum Erkennen derartiger Hinweise besitzt – gerade Ovid war sich dessen bewusst).
Apollo vs. Amor
Im ersten Buch der seiner Metamorphosen erzählt Ovid von Apollo und seinen Kampf mit der Schlange Python, die er im Kampf besiegt. Mit seiner Tat prahlt er vor Amor, obwohl er seinem schlangenhaften Gegner „mit tausend Pfeilen“[6] entgegentreten musste und – obwohl ein Gott – „fast erschöpft“[7] ist. Das weiß er dem Bogenträger der Liebe gegenüber umzudeuten, indem er angibt, der bessere Schütze zu sein, weil er zu treffen
„weiß das Wild, zu treffen den Gegner,
der ich mit zahllosen Pfeilen nun auch den Python erlegt, der
giftgedunsenen Leibes so vieles Gevierte gedrückt hat.
Dir sei genug, mit der Fackel zu zünden, ich weiß es nicht was für
Liebesflammen, und laß nach meinem Ruhm dich nicht lüsten!’“[8]
Amor ist, salopp formuliert, ‘not amused’ und verschießt kurzerhand zwei Pfeile mit entgegengesetzter Wirkung: „der eine [der goldene Pfeil] erweckt, es vertreibt der andre [der Pfeil aus Blei] die Liebe.“[9] Die Pfeile treffen Apollo und Daphne, deren Geschichte im Anschluss an die Szene zu verfolgen ist.
Eine derartige Referenz, gerade auf Ovid, erkenne ich als intentional und mit einer spezifischen Funktion versehen. Das Pfeilmotiv dient der Verhandlung über die Dichtkunst, mit der die Herzen des Publikums gewonnen werden können – oder eben nicht. Wenn sich Florentinus nun ebenfalls als mit Liebe bewaffneter Schütze neben Enea Silvio Piccolomini (Aeneas ist der lateinische Name) stellt und ebenfalls in die Rolle Amors schlüpft, dann handelt es sich bei dem goldenen Liebespfeil um seine Novelle, mit der er beweisen will, dass er ebenso zielsicher zu treffen vermag wie das päpstliche Vorbild, wenn nicht sogar besser. Es geht also nicht um Verunglimpfung, das räumt Franciscus schließlich selbst aus, es geht um Mimesis und Vervollkommnung.
Camillus und Emilia kurz zusammengefasst
Florentinus erzählt in Camillus und Emilia von der Liebe zwischen Camillus, dem Sohn eines armen Messerschmidts, und Emilia, der Tochter einer reichen Familie der Oberschicht in der toskanischen Stadt Arezzo bzw. Aretini. Camillus wird von Emilias Familie aufgenommen und mit ihr zusammen unterrichtet, da sein Vater sich für ihn eine angemessene Bildung wünscht. Bereits in Kindertagen verlieben sie sich, allerdings wird Emilia an eine ‘gute Partie’ verheiratet. Es beginnt ein heimlicher Briefwechsel, ausgehend von Camillus, in denen die Liebenden zum Ausdruck ihrer Emotionen auf Motive und geflügelte Worte der literarischen Tradition zurückgreifen und ihr Empfinden in Beziehung setzen zu bekannten Mythengestalten, biblischen Figuren und historischen Personen der Weltgeschichte. Heimliche Treffen werden geplant und eine Affäre begonnen, doch wird letztlich der Ehebruch entdeckt. Emilia wird von ihrem Ehemann verstoßen, wieder von ihrer Familie aufgenommen und stirbt zuletzt an einer Krankheit, während Camillus in die Welt reist. Zuvor blieben ihnen noch einige Tage, in denen sie ihr Begehren gemeinsam auskosten konnten. Soweit zum Inhalt.
Je breiter die Überlieferung, desto beliebter das Werk
In Anbetracht der wenig einflussreichen Druckgeschichte von Camillus und Emilia scheint Florentinus die Herzen seiner Zeitgenossen nicht erreicht zu haben. Laut Annelies Schmitt waren Anfang des 15. und 16. Jahrhunderts sechs Ausgaben von Camillus und Emilia nachweisbar, davon auch eine in Köln und Reutlingen.[10] Der Gesamtkatalog der Wiegendrucke nennt aktuell acht Exemplare und Fragmente in verschiedenen Einrichtungen[11], insofern hat Schmitt Recht behalten, als sie vor gut 50 Jahren die Möglichkeit erwähnte, dass noch weitere Ausgaben entdeckt werden könnten.[12]
Die einzige deutschsprachige anonyme Übersetzung findet sich neben elf Prosaromanen und einer Exempelsammlung im Buch der Liebe von 1587. In Mittelalter und Früher Neuzeit ist die Anzahl der Überlieferungen als Handschrift oder im Druck ein Indiz für die Beliebtheit des literarischen Werkes. Im Gegensatz zu Florentini kann Piccolomini mit seiner Novelle Euryalus und Lucretia auf eine reiche Drucktradition zurückblicken.
„Der literarische Erfolg, den Enea mit Euryalus und Lucretia erzielte, war nicht nur in Italien, sondern in ganz Europa überragend. Bis zum Jahre 1500 erschienen mehr als 70 Ausgaben, zunächst in lateinischer Sprache, dann auch in italienischen, französischen, spanischen und deutschen Übersetzungen. Schon 1462 übertrug der aus der Schweiz stammende Niklas von Wyle (um 1410-78), einer der wichtigsten Vermittler der italienischen Renaissanceliteratur in Deutschland, die Novelle ins Deutsche.“[13]
Bei einer Gegenüberstellung in der Rückschau wird also deutlich, dass Florentinus sein Ziel nicht erreicht hat, andernfalls wäre seine Novelle um einiges bekannter.
Die Macht der Liebe
Zentral dargestellt ist in beiden Novellen jedenfalls die Macht der Liebe zwischen zwei Menschen, die ihrem Begehren nachgeben und dem daraus resultierenden Ehebruch, die poetisch elaborierte Stilistik der Briefe, die schmuckvolle Kunstsprache mit Referenzen auf mythologische und literarische Figuren, zudem das mit dem Tod der liebenden Frau gleichklingende Ende, allerdings ist der Grund für den Tod je verschieden. Florentinus erzählt anders als Piccolomini, auch wenn die strukturelle Oberfläche ähnlich erscheinen mag und beide Dichter aus den gleichen literarischen Quellen, Motiven und Stoffen schöpfen.
Camillus und Emilia vs. Euryalus und Lucretia
Während Camillus und Emilia sich im Kindesalter verlieben, ist Lucretia bereits zwanzig und „mit dem steinreichen Menelaos verheiratet“[14]. Der vermögende Franke Euryalus erblickt Lucretia und wird „mehr als alle anderen von ihr bezaubert“[15], ist [nicht mehr Herr seiner selbst [und] begann zu erglühen.“[16] Emilia wird an eine gute Partie verheiratet (das kann Camillus aufgrund seiner Herkunft nicht bieten), trotz ihrer Gefühle füreinander und der Ähnlichkeit, die jedem auffällt, der sie zusammen sieht. Beide Paare beginnen eine Affäre, die vor dem Ehemann und den Menschen der jeweiligen Stadt geheim gehalten werden muss. Lucretia erweist sich im Verheimlichen ihrer Liebschaft als äußerst geschickt, doch die Gefahr entdeckt zu werden, wird für Euryalus zu groß und er beginnt, sich zu sorgen und verflucht seine Liebesleidenschaft. Während Lucretia bereit ist, ihr bekanntes Leben für ihn aufzugeben, kommt Euryalus ob seines Rufes ins Grübeln, entscheidet sich gegen die Liebe und für seine Stellung. Er verlässt die Stadt und Lucretia stirbt vor Kummer, während Euryalus, als er von ihrem Tod erfährt, „sich nicht trösten lässt, bis ihm der Kaiser aus herzoglichem Geblüt ein ebenso schönes, wie wohlerzogenes und kluges Mädchen zur Frau gegeben hatte.“[17] Ein recht pragmatisches Ende. Nach der Entdeckung der Affäre kehrt dagegen Emilia in ihr Elternhaus zurück. Camillus und sie verbringen sogar noch mit dem Wissen der Eltern einige Zeit gemeinsam, bevor er nach Florenz aufbricht und Emilia an einer Krankheit stirbt. Von einer erneuten Heirat von Camillus ist nicht die Rede, sondern es wird betont, dass er Emilia auf ewig in seinem Gedächtnis imaginieren wird. Selbstmord zieht er in Betracht, da er aber ein gläubiger Christ ist, kommt für ihn diese Option nicht in Frage.
Einen umfassenderen Vergleich werde ich an dieser Stelle nicht leisten können. Ich behalte mir dieses Unterfangen jedoch für die Zukunft vor.
Ordentliche vs. unordentliche Liebe
Camillus und Emilia erschien neben elf Prosaromanen und einer Sammlung von Exempeln im Buch der Liebe, einer von dem frühneuzeitlichen Verleger Sigmund Feyerabend 1587 veröffentlichten Kompilation. Feyerabends Zusammenstellung subsumiert sich unter die Thematik der Liebe. Die enthaltenen Werke handeln nämlich fast von anders nichts denn Lieb vnd Buhlschafften (BdL, Bl. 3), wie der Titel besagt. Er nutzte die seiner Zeit bekanntesten Liebesgeschichten wie die von Tristan und Isolde, Florio und Bianceffora oder Pontus und Sidonia, mit dem Ziel zu zeigen, was recht ehrliche / dargegen auch was vnordentliche Bulerische Lieb sey [die] so wol hohes als nidern stands (BdL, Bl. 1r) treffen kann.
Interessant ist, dass Feyerabend sich in seiner Einleitung wie bereits Florentinus auf Cupido mit den goldenen Pfeilen der Liebe bezieht:
Wie gar wunderlicher / ja wol vnverhoffter / vnglaͤublicher weiß pflegt doch erstgemeldter Herr / oder wie jn die Alten Poeten nennen / Hertzen maͤchtiger Gott / vnter dem Edelsten Theil der Creatur Gottes den Menschen sein heimlich verborgen gewalt zu vben / jetzt diesen dann jenen / zumal eine bald ein andere / vngeacht jres wesens / Stands vñ wirden / vnter sein Regiment vñ gehorsam zu bringen […] Da siehet man erst was staͤrck vnd krafft der klein Cupido in seinen Kindischen armen hab / wann er solcher gestalt seinen siegreichen Bogen zu handen nimpt / auch wie schaff vnd durchdringend seine schoͤne verguͤldte Pfeile / daß sie nicht allein den Leib / sondern auch die Seel / Marck vñd Beine durchgehen. (BdL, Bl. 2v)
Amor/Cupido wird als eine übermächtige Gewalt bezeichnet, die alle Menschen mit dem goldenen Liebespfeil treffen kann. Es ist diese Macht, auf die sich bereits Florentinus mit seiner Referenz auf Ovids Metamorphosen bezieht, überdies ist die Liebe das Hauptthema in seiner Novelle. Auch die Figuren greifen auf die antiken Gestalten und deren unglücklichen oder glücklichen Liebesfälle zurück, wenn sie ihre eigenen Gefühle in der jeweiligen Situation einordnen, erklären und mitteilen wollen. Feyerabend impliziert allerdings in sein Verlagsprogramm der ordentlichen und unordentlichen Liebe einen didaktischen Nutzen, eine Lehre, welche die Rezipienten aus dem Gelesenen ziehen sollen:
Weil aber alle Liebhabende Personen jrer vernunfft so viel nicht maͤchtig / daß sie ihr bestes selbs ersehen vnd dem nachkommen koͤndten / zu dem fast aller treuwer Raht an jnen gemeinlich nicht viel zu versahen pflegt / als haben die hochverstaͤndigen der Natur vñ Menschlicher Affecten wol erfahrne alte Lehrer / damit sie nicht allein die Liebsuͤchtigen / sondern auch jedermenniglich / bevorab das Junge Volck etlicher massen von lastern vnd vntugend abziehen / zur Tugendt aber vnd Ehrbarkeit allgemach vnd mit gelimpff bringen vnd anhalten moͤchten / einen andern weg erfunden / vnd solch ire lehren Exempels weiß in schoͤne Historien vnd Gedicht verfasset. (BdL, Bl. 2v)
Die literarischen Werke zeigen also zum einen Was recht ehrliche Lieb sey (BdL, Bl. 2v) aber auch was vnordentliche Liebesflamm (BdL, Bl. 3r) auszulösen vermag. Aber wirken die großen literarischen Liebesfälle überhaupt abschreckend auf Rezipienten oder entfachen sie nicht vielmehr eine Liebe zum Gelesenen? Kann man aus dem Lesen von Liebesgeschichten etwas lernen? Das wird ebenfalls eine Frage sein, die folgend aufgegriffen wird.
Camillus und Emilia – ein Fall der unordentlichen Liebschaft?
Die Forschung hat Camillus und Emilia bislang zu den unordentlichen und verwerflichen Liebesfällen gezählt. Katya Skow konstatiert:
„Das Buch der Liebe has a distinct moral program which is apparant in the choice and order of the texts in the anthology. In other words, the selection of Camillus vnd Emilia as a negative exemple was meant to have a didactic effect on ist audience. When read in the context oft he anthology as a whole, the thirteen texts mirror the increasingly moral climate of sixteenth-century German-speaking Europe.“[18]
Und auch Rosemarie Zeller zählt die Novelle innerhalb des Liebesprogramms im Buch der Liebe zur Gruppe der gegen die gesellschaftliche Norm verstoßenden Ehebruchslieben.[19] Piccolomini hat für seine Novelle Eurylus und Lucretia ebenfalls eine moral-didaktisch Intention angeführt, der Dichter verweist darauf, dass die „Leser aber mögen sich daran zu ihrem eigenen Nutz und Frommen ein Beispiel nehmen und den Becher der Liebe nicht zu trinken verlangen, denn er enthält weit mehr Bitternis als Süße.“[20]
Gewarnt wird im Angesicht des Erzählten vor Nachahmung des verwerflichen Handelns und Nachgeben des Begehrens, womit zeitgenössische Rollenbilder zementiert und Überschreitungen normierter Grenzen verurteilt werden sollen. In dem Widmungsbrief von Franciscus ist eine moralische Intention neben seinem Begehren, die Herzen der Zeitgenossen mit seinem Werk zu treffen, nicht zu erkennen. Einzig sein Wunsch, die italienischen Frauen in der Literatur zu rehabilitieren, könnte in diese Richtung streben, wenn er erklärt:
„Manche glauben, dass die Italiener die Frauen überhaupt nicht lieben, und obwohl sie zugeben, dass sie von einem übermäßigen Eifer für sie beherrscht werden, kommt dieser Eifer von etwas anderem, nicht von der Liebe. Wenn sie mein Buch lesen oder sich vorlesen lassen wollen, werden sie ihrem Irrglauben abschwören […]“[21]
Mit einer derartigen Intention ist die Annahme verbunden, die Rezipienten könnten aus dem Gelesenen etwas für das eigene Leben lernen und entsprechend nicht so handeln wie die Figuren, um das dort dargestellte Ende zu vermeiden und sich überhaupt gesellschaftskonform zu geben. Derartige Überlegungen können mit literaturwissenschaftlichen gattungstheoretischen Definitionen verbunden werden.
Reflexion vor dem Einzelfall der Liebe
Camillus und Emilia bietet Rezipienten die Möglichkeit zur reflexiven Erkenntnisleistung, weil es sich bei der im Text inszenierten Begebenheit um die literarische Kleinform des Kasus handelt, der als „ein vorliterarisches Strukturmuster für außergewöhnliche Einzelfälle der menschlichen Lebenspraxis [gilt], deren Subsumption unter allgemeine Begriffe, Regeln oder Gesetze Schwierigkeiten bereitet.“[22] Nun wird Camillus und Emilia als Novelle und mit Goethes nachträglichen Worten als eine „‘unerhörte Begebenheit’ (Goethe, Gespräche mit Ekkermann, 29. Januar 1827) aus der wirklichen Welt in konflikthafter Zuspitzung und meist mit einer überraschenden Wendung“[23] kategorisiert. Bei der ‘unerhörten Begebenheit’ scheint es sich oberflächlich betrachtet um den Ehebruch zu handeln, eine Handlung, die innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung verpönt ist, sogar in zeitgenössischen Zucht- und Policeyordnungen als Strafbestand aufgeführt ist.
Novelle und Kasus definieren
Im Reallexikon der Literaturwissenschaft wird die Novelle definiert als „[z]yklisch angelegte Kurzform offenen Erzählens mit betontem Geschehnismoment.“[24] Für die frühe Novelle sei distinktiv die Tendenz zur Zyklenbildung und die Zuspitzung auf ein markantes Mittelpunktereignis, das menschliches Verhalten als Kasus aufwerfe.[25] Gattungspoetologisch sind Novelle und Kasus nicht immer trennscharf voneinander abzugrenzen. Die Betrachtung dieser weiteren Kasus könnte ebenfalls Gegenstand für weitere Untersuchungen sein. André Jolles führte den Begriff des Kasus 1930 mit seinen Einfachen Formen in die Literaturwissenschaft ein und verbindet sie mit einer Geistesbeschäftigung der Rezipienten, die sich mit dem narrativ inszenierten Thema auseinandersetzen:
„Das Eigentümliche der Form Kasus liegt nun aber darin, daß sie zwar die Frage stellt, aber die Antwort nicht geben kann, daß sie uns die Pflicht der Entscheidung auferlegt, aber die Entscheidung selbst nicht enthält — was sich in ihr verwirklicht, ist das Wägen, aber nicht das Resultat des Wägens.“[26]
Der Kasus ist eine „[e]lementare Bauform des Erzählens: zu beurteilender Stellungnahme auffordernde Falldarstellung.“[27]
„Obligatorische Kennzeichen kasuistischer Textorganisation sind die problematisierende Umsetzung der Regel-Fall-Struktur, das in seinem Ausnahmestatus realitätsbezogene Fallbeispiel sowie der daran geknüpfte Appell zur Normen- und Wertereflexion. Fakultativ sind alle weiteren formalen und funktionalen Merkmale (Rahmengattung und -situation, Gestaltung der Konfliktstruktur, Funktionsgebung u. a.). Unter den kleineren Formen des Erzählens grenzt sich der Kasus durch seinen Problemgehalt von den illustrativen Typen des Exempels ab, durch den Verzicht auf Anthropomorphisierung oder Allegorisierung zusätzlich von Fabel und Parabel. Im Theoriekontext der nicht an Gattungen oder Textsorten gebundenen Einfachen Formen begründet der Denkhabitus des Abwägens und Beurteilens den Unterschied zu Legende, Memorabile und Sage.“[28]
Interessant mag im Zusammenhang mit meinen folgenden Überlegungen die Grundbedeutung des lateinischen Wortes casus als ‚das Fallen‘ oder ‚der Fall‘ sowie im metonymischen Gebrauch das ‚Ereignis‘ oder das ‚Vorkommnis‘ sein.[29] Der Kasus ist in der Novelle präsent als eine (in Goethes Worten) ‘unerhörte Begebenheit‘. Innerhalb der Novelle sind aber neben diesem sinnkonstituierenden unerhörten Ereignis einzelne Kasus vorhanden, die sich in der Handlung, den Figurenreden bzw. Briefen und Handlungen manifestieren.
Der Kasus als Präzendenzfall
Peter von Moos bezeichnet den Kasus sogar als einen Präzedenzfall, der selbst gesetzgeberisch aktiv wirken kann.[30] Unterschieden werden muss laut von Moos deutlich zwischen einem Beispiel und einem Fall, der sich durch Diskussion oder Reflexion auf ein Allgemeines beziehen kann und damit entweder offene Fragen stellt oder zu einem lösbaren Problem wird.[31] Als die großen Fälle der Literatur bezeichnet er Boccaccios Griselda und Dantes Francesca da Rimini, die aber primär auch eine historische Person war und aufgrund seiner Darstellung im Inferno seiner Commedia in die Literatur und Kunst eingezogen ist.[32]
Es geht bei einem Fall oder einem Kasus darum, das Abweichende als Objekt der zentralen Betrachtung, und damit entgegen der geltenden Denkgewohnheiten und Gesetzmäßigkeiten (einer spezifischen Gesellschaft oder Gemeinschaft), in Frage zu stellen.[33] Laut von Moos ist es hierfür unerlässlich, Fallarten zu unterscheiden. Es gebe die Regelfindung und Abstraktionsbildung einerseits; ein Fall werde auf ein normatives System hin angelegt und geprüft sowie das Erkenntnisziel des eigenen Erfahrungswissens andererseits, das sich der Klassifizierung entziehe und sich in historischer Einmaligkeit der lebenspraktischen Erwägung empfehle.[34]
Im Fall von Camillus und Emilia ist beides zutreffend. Die in der Novelle inszenierten Kasus werden an den Figuren dargestellt, die sich zu den Geschehnissen in der fiktiven Welt äußern und verhalten, zudem kommentiert die Erzählinstanz ebenfalls das Geschehen mehr oder weniger subjektiv. Die Figuren kommen auch in der Diegese mit Gesetzen und Normen in Kontakt und richten sich letztlich nach dem, was gesellschaftlich anerkannt ist, nach den Werten, die im kulturellen Gedächtnis tradiert wurden und die als allgemein bekannt gelten. Diesbezüglich kann sogar von einer Wechselwirkung zwischen Diegese und zeitgenössischer Realität ausgegangen werden. Denn was in der Novelle letztlich als unerhört gelten kann, das könnte unter der von Jolles‘ angeführten Geistesbeschäftigung betrachtet und ganz anders bewertet werden, vor allem mit Bezug auf antike philosophische Werke. So könnte angenommen werden, es ginge weniger um die unerhörte Begebenheit des Ehebruchs, sondern allein um die Darstellung und Feier der Liebe der Protagonisten. Auch Ingrid Bennewitz sieht die Liebesbeziehung zwischen Camillus und Emilia im Zentrum der Erzählung.[35] Dann wäre es aber kein unerhörtes Ereignis, zumindest nicht nach gattungstheoretischen Definitionen. Und es bleibt weiterhin die Option zur Reflexion des Gelesenen unter Einnahme einer anderen Perspektive.
Weitere Überlegungen
Ich gehe davon aus, dass in Camillus und Emilia nicht die Verwerflichkeit der Liebe mit moraldidaktischen Intentionen gezeigt werden soll. Meiner Ansicht nach geht es gerade um die Liebe, die an den beiden Protagonisten zentral inszeniert wird, trotz des Ehebruchs, der hier eben notgedrungen ein beiläufiges Übel ist.
Zum Verständnis erfolgt daher ein weiterer Rückgriff auf ein antikes Werk, das neben Ovids Metamorphosen für das Verständnis der Novelle relevant ist. Es handelt sich um Platons Symposium, dessen zentrales Thema neben anderem ebenfalls die Liebe ist. Das Werk ist in Dialogform gestaltet, die Anwesenden diskutieren bei einem Symposium (das weniger ein Gastmahl ist, sondern eher ein Trinkgelage) über die Macht des Eros. Insbesondere der Standpunkt des Aristophanes mit seinen Ausführungen zu den Kugelmenschen ist mit Blick auf Camillus und Emilia relevant. Eros ist für Aristophanes die Sehnsucht darstellende Kraft zwischen den Menschen.
„Zuerst aber sollt ihr die menschliche Natur und ihre Geschichte kennenlernen. Unsere Natur war nämlich vor Zeiten nicht die gleiche wie jetzt, sondern andersartig. Erstens gab es dreierlei Geschlechter unter den Menschen, nicht nur zwei wie jetzt, das männliche und das weibliche, sondern es gab noch ein drittes dazu […].“[36]
Die Kugelmenschen aus der Erzählung des Aristophanes
Die Rede ist von zweigeschlechtlichen Wesen, die eine kugelförmige Gestalt besaßen sowie zwei Köpfe und Hälse, vier Arme und Beine und auch zwei Geschlechtsteile. Die Kugelmenschen wurden Zeus zu mächtig, sodass er sie in der Mitte in zwei Hälften zerteilte, um sie zu schwächen. Der Gott Apollo heilte die Schnittwunden, indem er die Bäuche verband, die Geburtsstunde des Nabels. Doch daraus folgte eine Konsequenz:
„Da nun das Ursprüngliche entzweigeschnitten war, sehnte sich ein jedes nach seiner Hälfte und gesellte sich zu ihr; da umarmten und umschlangen sie einander voller Begierde, zusammenzuwachsen, und starben vor Hunger und überhaupt vor Untätigkeit, weil sie nichts getrennt voneinander tun wollten. Und wenn eine von den Hälften starb und die andere am Leben blieb, dann suchte die überlebende irgendeine andere und umschlang sie, ob sie nun auf eines ganzen Weibes Hälfte traf – also das, was wir jetzt ein Weib nennen – oder auf eines Mannes Hälfte; und so quälten sie sich zu Tode.“[37]
Zeus erbarmte sich schließlich und versetzte ihre Geschlechtsteile, sodass sie durch körperliche Vereinigung sexuelle Befriedigung erlangen und Kinder miteinander zeugen konnten. Aristophanes schlussfolgert aus seiner Erzählung nun auf das Wesen des Eros:
„So ist denn jeder von uns Menschen nur ein Teilstück, denn er ist entzweigeschnitten wie die Flundern, aus einem zwei; da sucht denn ein jeder immer sein Gegenstück. Alle Männer nun, die ein Teil von jenem Gesamtwesen sind, das damals Mannweib genannt wurde, fühlen sich zu Frauen hingezogen, und die meisten Ehebrecher stammen aus diesem Geschlecht; und andererseits stammen von da alle Frauen, die sich zu Männern hingezogen fühlen, und auch die Ehebrecherinnen.“[38]
Die Sehnsucht zweier Menschen zueinander wird auch mit der vormaligen Einheit der Seelen verbunden, es sei nicht nur die sexuelle Erfüllung, wegen der zwei Menschen sich zueinander hingezogen fühlen. „Vielmehr ist es offenbar, daß bei beiden die Seele etwas anderes will, was sie nicht aussprechen kann — nein, sie erahnt und errät nur, was sie will.“[39] Darüber hinaus begehre ein jeder „nämlich vereint und verschmolzen mit dem Geliebten aus zweien eins zu werden. Das liegt nämlich daran, daß dies vor Zeiten unsere Natur war und daß wir einmal ganz waren; das Begehren und der Drang nach dem Ganzen also, das heißt Eros.“[40]
Camillus und Emilia als Halbteile einer Seele
Der Rückgriff auf antike Vorbilder ist im Humanismus nichts Ungewöhnliches. Dass Franciscus und Enea Silvio entsprechend gebildet waren und sich auf antike Vorbilder bezogen, steht außer Frage. Ich gehe davon aus, dass ihnen Platons Werke, natürlich auch das Symposium, bekannt waren. Denn Franciscus bezieht sich bei der Figurenkonzeption explizit auf das antike Gleichnis, wenn er Camillus und Emilia beschreibt:
Es war vnter jhnen jhrer Leib vnnd Gemuͤhter so eine grosse gleichnuß / […] Eine Seel regiere zwey Leible. (BdL, fol. 108r) Diese natürliche Zusammengehörigkeit, auch erkennbar an der Schoͤnheit in zweyer liebhabenden Menschen Leiber / als in Camillo vnnd Emilia (BdL, fol. 108r) ist so offensichtlich, daß jhr jetweders wolbekennen mocht (BdL, fol. 108r). Die durch Schönheit der Körper offenbarte Zusammengehörigkeit wird durch das Einkleiden als weren sie Geschwister (BdL, fol. 108r) noch unterstrichen. Emilia richtet sich in ihren Briefen an Camillus mit G O T T bewar dich du halbtheil meiner Seel (BdL, fol. 109v) oder du mein seel (BdL, fol. 109v) an Camillus, der einen Brief ebenfalls mit der Anrede EMilia du mein Seel (BdL, fol. 111r) beginnt. Markiert wird eine physische und seelische Zusammengehörigkeit, zusätzlich zu der von Gott gelenkten Natur:
Das dritte Jar war noch nicht verschienen / da der Allmaͤchtige Gott / was die Natur in diesen zweyen Lieblin vermocht / erzeigen wolt / deñ die grosse schoͤne / so fast mit Camillo vnnd Emilia auffwuchs / daß sie aller zusehenden Menschen geneigte hertzen gantz leichtlich zu sich bekehrten / vnd verwundern machten / vnd gleichsam vber dem anschawen der wunderbaren lieb erstarreten (BdL, fol. 108r).
Gottes Schöpfungskraft und Natur
Gott ist im Text unmissverständlich der Schöpfer und Lenker allen Seins, daher unterliegt ihm auch die Gestaltung der Natur, die er an den Körpern von Camillus und Emilia veranschaulicht. Rüdiger Schnell hat auf die vier miteinander konkurrierenden Auffassungen von Natur in der literarischen Liebeskonzeption mittelalterlicher Werke hingewiesen.[41]
„1. Die Natur des Menschen ist seit dem Sündenfall verderbt (natura vitiata). Deshalb kann eine Liebesbeziehung, die dieser Natur folgt, nur als sündhaft gelten. Diese ‹Natur› des Menschen muß also überwunden werden. 2. Die Natur als Schöpferkraft aller Dinge und als die von Gott gewollte Natur ist gut. Denn da Gott alles schuf, kann die Natur nicht schlecht sein. Deshalb ist sexuelle Liebe, die sich im Einklang mit der Natur befindet, nicht zu verurteilen (dagegen ist homosexuelle Liebe und Analverkehr, weil gegen die Naturgesetze verstoßend, zu verdammen. 3. Unter Natur sind die Mensch und Tier gemeinsamen Triebe zu verstehen. Die Betätigung des Sexualtriebs ist also eine ‹natürliche› Angelegenheit, ja steht dem Menschen von ‹Natur› aus zu. 4. Die Natur des Menschen unterscheidet sich vom Tier durch die allein dem Menschen verliehene Vernunft (ratio). Infolgedessen ist das ‹natürliche› Verhalten des Menschen unabdingbar mit dem Gebrauch der ratio gekoppelt. Animalisches Ausleben des Geschlechtstriebes ist dem Menschen also nicht gestattet. Er muß die Triebe der ‹Natur› zügeln.“[42]
Die Liebe von Camillus und Emilia wird über den natura-Begriff eingeleitet, der vor allem in der lateinischen gelehrt-wissenschaftlichen Literatur zu finden ist, wohingegen in volksprachlich-höfischen Dichtung die Liebe meist allegorisch durch Frau Minne, Amor oder Venus eingeleitet wird. Die Natur steht somit als Drang nach geschlechtlicher Vereinigung der Amor-Liebe gegenüber. Sie ist aber dem Menschen zur Fortpflanzung in seine Natur hineingelegt, und zwar von Gott, um den Bestand der Menschheit zu sichern. Daher ist die menschliche Natur Ursache für das Entstehen von Liebe.
Es stellt sich hier bereits die Frage, wie eine von Gott geschaffene Liebe in der Welt sündig sein kann. Besteht hierin der Reflexionsgehalt der Novelle bzw. des Kasus?
Causa Amoris
Die gleiche Natur ist Voraussetzung für causa amoris, das heißt, die gleiche körperliche und seelische Konstitution sowie eine ähnliche natürliche Veranlagung, aufgrund der sich zwei Menschen zueinander hingezogen fühlen. Es besteht diesbezüglich eine Gemeinsamkeit zu Aristophanes‘ Erzählung, denn die sich sehnsüchtig zueinander hingezogen fühlenden Menschen waren vormals vereint, waren sich ‘gleich’. Diese gleiche Konstitution reicht nach der Definition für die Entstehung von romantisch fundierter Liebe aus. Ein Ritter- oder Minnedienst, wie er in der höfischen Literatur vorkommt, ist unnötig. Die Natur löst die Tugend ab.
Ob nun Rezipienten das Gleichnis des Aristophanes kannten oder nicht – in der Novelle wird anhand der Figurenkonzeption die Zusammengehörigkeit der beiden Liebenden trotz Ehebruch deutlich. Der Erzähler erwähnt, dass Camillus und Emilia zwei Hälften einer Seele sind und auch die Figuren erkennen sich als solche. Tatsächlich wird diese Seelengleichheit des Aristophanes auch in Euryalus und Lucretia herangezogen, als sie sich verabschieden und aufgrund der erneuten Trennung auch leiden.
„Denn im Tode leidet die Seele, weil sie den geliebten Körper verlassen muß. Ist aber die Seele entschwunden, so empfindet der Körper nichts mehr, und also auch keinen Schmerz. Wenn hingegen die Liebe zwei Seelen so zusammengeschmolzen hat, daß sie eins geworden sind, so ist die Trennung deswegen doppelt schmerzlich, weil die beiden geliebten Wesen auch empfindende Wesen sind. Und diese beiden waren ja wirklich nicht mehr zwei Seelen, sondern sie waren, wie Aristophanes es von Freunden sagt, eine Seele in zwei Körpern. Und daher trennte sich nicht eine Seele von der anderen, sondern eine Seele wurde in zwei Teile geteilt, ein Herz in Stücke gerissen. Ein Teil der Seele ging und ein Teil blieb, und alles, was sie miteinander verband, wurde abgeschnitten […].“[43]
Allerdings, und das hatte ich bereits erwähnt, verweist Piccolomini auf den Nutzen der Lektüre, nach der eben nicht der Becher der Liebe getrunken werden solle.[44] Dies fehlt bei Florentinus und er hatte schließlich auch vor, die Zeitgenossen von seinem Werk zu überzeugen. Die an Camillus und Emilia inszenierte Gleichheit ist meiner Ansicht nach von einer anderen Beschaffenheit, als die moralisch-didaktische Inszenierung in Euryalus und Lucretia, dient daher der reflexiven Erkenntnisleistung der Rezipienten oder soll möglicherweise einfach nur Wohlgefallen auslösen – eben die Liebe feiern, trotz Ehebruch.
Gleich und gleich gesellt sich gern
Die von Gott geschaffene Natur der Figuren, die auf die Einheit der Seelen verweist und die innige Liebesbeziehung vorwegnimmt, steht in Spannung zu den gesellschaftlichen Normen, Werten und Gebräuchen. Jedenfalls wird Emilia von ihrem Vater an einen Juͤngling / auß trefflichem vnnd fuͤrnemen Geschlecht geboren / auch fast reich (BdL, fol. 108r) verheiratet. Die Ähnlichkeit von Camillus und Emilia fällt aber auch auf dem Hochzeitsfest auf, bei dem
die edelsten vnd fuͤrnemsten der gantzen Statt zugegen waren / die verwunderten sich allsammen gar hoͤchlich / daß solche Schoͤnheit in zweyer liebhabenden Menschen Leiber / als in Camillo vnnd Emilia / moͤchte gefunden werden (BdL,fol. 108r).
Der Erzähler unterlässt es nicht die Zusammengehörigkeit zu festigen, indem er hinzufügt: Jn welcher geschicklichen formierung weder die Himmel noch die Natur im wenigsten verfehlt hetten (108r).
Es stehen also nicht nur die Figuren in einem Spannungsfeld von Werten und Normen, literarischer Tradition und Natur, sondern durch Lektüre und die damit einhergehende Geistesbeschäftigung werden möglicherweise auch Rezipienten zum Reflektieren, Urteilen und Bewerten angeregt. Dass die Handlung auf ein Minimum reduziert ist und die Liebenden im Zentrum der Novelle stehen, hat Ingrid Bennewitz festgestellt.[45] Sie konstatiert:
„Das eigentliche »Abenteuer« der Liebenden liegt nicht mehr in ihrer Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen und Hindernissen, die ihrer Liebe entgegentreten, sondern in ihrer Fähigkeit zur intellektuellen Bewältigung und Darstellung der gegenseitigen Zuneigung in den literarischen Medien von Klagemonolog und Brief.“[46]
Liebe vs. was gemeinhin so gehandhabt wird
Dies steht entgegen meiner Überlegungen zum Reflexionsgehalt des Kasus. Denn meiner Ansicht nach stellt sich die Liebe von Camillus und Emilia gerade in ihrer auf Zusammengehörigkeit verweisenden Deutlichkeit mit Bezug auf die Natur und Gottes Schöpferkraft gegen die Normen und Gebräuche der zeitgenössischen Gesellschaft, man könnte auch sagen, gegen die Feinde dieser Liebe. Nur weil die scheinbare Auseinandersetzung in der Handlung fehlt, bedeutet dies nicht, dass gerade die fokussierte Konzentration auf die Liebe der Protagonisten keine Auseinandersetzung mit entgegengerichteten Kräften darstellt. Denn es stellen sich weltliche Instanzen gegen diese von Gott natürlich angelegten und damit offenbar gewollte Liebe in den Weg (Ehemann, Eltern, Geistliche). Der Erzähler fährt fort:
Denn es geschicht gemeiniglich / daß in diesem das Gluͤck am meisten also schertzet / welches nimmer oder gar selten sorge hat / Mann vnd Weib / welche gleich vnd eynhaͤllig / zusammen zu fuͤgen / Sondern viel ehr in zweyen zusammen verbindung / frolockend vnd frewdig gesehen wirdt (BdL, fol. 108 r).
Emilias Vater hat seine Tochter an einen Mann aus gutem Hause verheiratet, das ist, was gemeiniglich geschicht (BdL, fol. 108r). Mit dem scherzende[n] Glück (BdL, fol. 108r) ist im Frühneuhochdeutschen auch das Schicksal gemeint[47], das sich gegen die göttliche Vorbestimmung (ich beziehe mich hier auf die offensichtliche Zusammengehörigkeit hinsichtlich der äußeren Natur sowie den Seelen in zwei Körpern) und gegen die Liebenden stellt.
Was sich die Rezipienten bei der Lektüre fragen könnten
Gott und das scherzende Glück (BdL, fol. 108r)können hier als zwei voneinander getrennte Instanzen bewertet werden. Wenn der in die Novelle eingelassene Kasus Reflexionspotenzial besitzt und laut André Jolles die Rezipienten zur Geistesbeschäftigung und damit Vergegenwärtigung der im Text verhandelten Problematiken anregen soll, dann könnten für diese folgende Fragen auftauchen:
1. Wie kann es sein, dass Gott ganz offensichtlich zwei füreinander bestimmte Menschen geschaffen hat, diese aber aufgrund der weltlichen geltenden Normen und Gebräuche nicht zusammen sein dürfen bzw. mit ihrem Zusammensein sündigen?
2. Und damit einher geht die Frage: Wieso sind die beiden letztlich dennoch schuldig vor Gott – zumindest für andere Figuren und vor sich selbst?
Denn sündig sind die Figuren bzw. bezeichnen sich selbst als sündig. Emilia beichtet vor ihrem Tod, nennt sich eine arme Suͤnderin (BdL, fol. 117v) und versöhnt sich (laut Erzähler) demuͤtiglich gegen G O T T [durch] Rew vnnd Beicht / vnnd andern nottuͤrfftgen Sacramenten (BdL, fol. 117r). Auch Camillus will Buß wegen [s]einer vnd Emilie Suͤnden (118r) leisten. Und sogar bei ihrem Ehemann muss Emilia sich entschuldigen: Die mit dem heyligen Oel bericht / bitten war vmb verzeihung vnd gnad von jhren Eltern / vnd von jrem Ehelichen Gemahel / vnd auch solches erwarb (BdL, fol. 117v). Ist es vielleicht diese Sündhaftigkeit, die im Angesicht der Schöpferkraft Gottes, die ja auf diese Liebe abgezielt hat, vor der Inszenierung dieser Liebe neu überdacht werden muss?
Gründe für die Zusammengehörigkeit
Ehebruch ist eine Sünde und zwar nicht nur im biblischen Sinne, sondern tatsächlich finden sich auch in der zeitgenössischen Gesetzgebung des Spätmittelalters Anordnungen, die Ehebruch und Hurerei zum Strafbestand machen. Der Ehebruch Emilias scheint jedoch in mehrfacher Hinsicht gerechtfertigt. Camillus und sie verbindet die von beiden angesprochene Einheit der Seele. Zudem hat die Natur bzw. Gott ihre Körper derart ähnlich beschaffen, dass die seelische Einheit sich auf die Leiber zu erstrecken scheint, legitimiert ist somit durch die Autorität der allerhöchsten Schöpfungsinstanz. Darüber hinaus behandelt Emilias Ehemann sie schlecht. Schon vor der Heirat macht der Erzähler entsprechende Andeutungen, wenn er erwähnt, dass er zwar aus gutem Hause stamme und fast reich sei, aber nicht einem solchen / nach dem die guten Sitten vnnd Geberd Emilie erforderten (BdL, fol. 108r). Sie klagt ihn später an:
An welchen orten hast du heynt geschlaffen? Bey welchem Bulen bist du heynt gelegen? Seyn das deine Eheliche Sitten? Ach ich arme / wem hat mich mein alter thoͤrichter Vatter geben zu einer Haußfrauwen? Andere Frauwen seyn an den trefflichen Hochzeiten mit jren Ehemannen allzeyt bey kurtzweilen / bey wunsamen Freuden vnd Gesang / Aber ich meines Manns beraubet / lige kalt / vnnd allzeit schier allein in einem weyten Bette / O daß mich vorhin der vnzeitige Todt vntergriffen hette / ehe denn mich das feindtselige vngefell verknuͤpffet hette / einem harten vnd groben Mann. (BdL, fol. 113v)
Zu dem Kasus der Liebe gesellt sich hier ein ‘Fall im Fall’; es ist der Kasus des buhlenden Ehemannes, der seine Ehefrau schlecht behandelt, der als Antagonist den Liebenden gegenübersteht und doch die weltliche Gesetzgebung, sogar die christlichen Normen und Werte auf seiner Seite hat. Es ist bezeichnend, dass der Ehemann keinen Namen erhalten hat, denn er vertritt im Narrativ das Übliche, die gängige Norm, dass, was gemeiniglich (BdL, fol. 108r) geschieht. Demgegenüber wird die Liebe von Camillus und Emilia anhand intertextueller Relationen auf die großen Liebesfälle der Literatur regelrecht sprachlich zelebriert.
Durchbohrt vom goldenen Pfeil der Liebe
Um einen Einblick in die Sprache der Liebenden zu gewähren und auch die intertextuellen Relationen aufzuzeigen, werde ich einige Textpassagen aus den Briefwechseln zitieren. Interessant ist, dass Camillus sich selbst in die literarische Tradition der Liebesgeschichten stellt, ähnlich Sigmund Feyerabend, dessen Einleitung zum Buch der Liebe ich zitiert habe. Auch der goldene Pfeil von Amor spielt eine Rolle, denn mit diesem sieht Camillus sich und Emilia verwundet und somit als verbunden an: wo ich nicht vormals auß deinen Zeichen vnd Worten / dich so wol als mich/ mit dem guͤlden Pfeil der begierdt verwundt seyn (BdL, fol. 108v). Auch Emilia ruft die typischen Bilder auf: Mich hat nicht der Gott der Liebe der massen mit seinem guͤlden Pfeil verwundt / dz mein vermeßlich Hitz / vnd die fewrigen Fackel der Liebe / ein jeglichs Wasser erloͤschen moͤge. (BdL, fol. 109v). Camillus ist selbst zu einer der übermäßig liebenden Figuren aus der literarischen Tradition geworden: Jch bin an mir selbs nun innen worden / solches warhafftige Historien seyn / die ich vormals vor Fabeln der Poeten gehalten. (BdL, fol. 108v) Wurden die beim Schulunterricht gelesenen Werke der Rhetorik und Poetery von ihm bis dahin als unglaubwürdig betrachtet, so kann er die erzählten Liebesgeschichten nun nachempfinden, hält das dort Erzählte für möglich, weil er sein Empfinden dazu in Beziehung setzen kann.
Ingrid Bennewitz sieht den Dialog zwischen den Liebenden fast ausnahmslos reduziert auf die Darstellung im Brief. „Dort, aber auch im direkten Redewechsel findet die gegenseitige Zuneigung Ausdruck in literarischer Stilisierung und in Rollenzitaten:“[48]
Du bist mir Apollo / sprach Emilia / du bist Ganymedes / du bist Narcissus/du bist nur allein Alcibiades / den ich ehre / den ich lieb hab / den ich vmbfahe / den ich nun brauch mit guͤnstigem Gluͤck / mit dem ich allein selig bin / ohn den ich arme nicht lang lebte auff Erdtrich. Du bist mir Helena (sprach widerumb Camillus) / du bist Chriseida / du bist mir Polixena / Priamus Tochter / O du selige Emilia/ von welcher aller zartesten anblick / ich nicht allein / der bey dir ist / selig bin / sondern ein jeglicher armer sich erfrewen mag vnd selig werden. (BdL, fol. 110r)
Rollenzitate – das Ich erkennen im literarischen Exempel
Mit jedem der aufgerufenen Namen von Figuren und Mythengestalten der literarischen Tradition verbinden sich spezifische Semantiken, dem Namen inhärente Bedeutungen, mit den Figuren verbundene Handlungen und im kulturellen Gedächtnis tradierte Episteme, die an sie gebunden sind und in literarischen Werken tradiert werden. Camillus und Emilia nutzen zur Erfassung ihrer Situation Exempel. Laut Bennewitz evoziere das Bildungszitat Emotionen und es erübrige sich dadurch auch die „individuelle sprachliche Gestaltung emotionalen Erlebens“[49], denn über die Rollenzitate werde nicht nur Leid, sondern auch Zuneigung abrufbar.[50] Über Exempel, ihre Funktion, ihren Nutzen, ihr Vorkommen und darüber hinaus existiert sehr viel Forschungsliteratur. Für eine kurze Einordnung des Begriffs greife ich auf eine allgemeine Definition zurück:
„Exempel meint allgemein eine in einem argumentativen oder narrativen Zusammenhang ,von außen‘ beigezogene, durch ihn in Sinn und Funktion festgelegte und von ihm isolierbare, zumeist narrative (kurze) Texteinheit, die über ein tertium comparationis auf den Kontext bezogen ist. Inseratcharakter, Isolierbarkeit und ein sinnstiftendes Analogans zum Verwendungszusammenhang Verwendungszusammenhang sind die konstanten Merkmale des Typus.“[51]
Ein Exempel kann für verschiedene Anwendungszwecke genutzt werden, etwa zur „Illustration, Persuasion, Problemlösung u. a.“[52] Camillus und Emilia wenden die Exempel meiner Ansicht nach zur Vergewisserung ihres Selbst in ihrer privaten Situation an. Die hinter den Exempeln stehenden Narrative, häufig handelt es sich um literarische Kleinformen, werden insofern instrumentalisiert und durch die Figurenrede als Beispielgeschichte mit der individuellen Situation verknüpft. Der Anwendung eines Exempels liegt
„die Vorstellung eines gleichförmigen, allgemeinen Regeln unterworfenen Laufs der Dinge, vergangener wie gegenwärtiger. Das illustrative Exempel (1) macht am faktischen Einzelfall eine schon bekannte Regel erfahrbar oder bringt diese in einem auf sie zugeschnittenen fiktiven Fall zur Anschauung; das rhetorisch-argumentative (2) sucht die noch unbestimmte Regel am historischen ,Präzedenzfall‘ erst zu gewinnen oder die noch strittige an ihm zu beweisen. Einen weiteren Typus (3) vertritt die elocutionell verwendete ,Vergleichs-‘ oder ,Beispielfigur‘ die Reduktion des Exempels auf den bloßen Namen einer beispielgebenden Person (stark wie Herkules, ein Beckmesser o. ä.).“[53]
Im Rahmen dieser allgemeinen Definition will ich hier eine exemplarische Deutung versuchen.
Apollo
Der Gott Apollo ist in seiner „Funktion als Heiler“[54] sowie „als Schutzgott der Dichter und Sänger“ [55] bekannt. Die unerwiderte Liebe als Krankheit mit einhergehenden Symptomen wie Schlaflosigkeit, Wechsel der Gesichtsfarbe, Abwesenheit, Melancholie oder Weinen ist ein in der Literatur verbreitetes Motiv. Insofern kann Camillus für Emilia der Heiler ihres Begehrens sein, der ihr durch seine Nähe und die körperliche Vereinigung Erfüllung schenkt. Darüber hinaus werden Apollo auch „Pfeil und Bogen“[56] (wie bereits bei Ovids Metamorphosen erwähnt) als Attribute zugeordnet, er kann verwunden wie auch Amor/Cupido, der allerdings mit Liebe oder Hass trifft.
Ganymed
Ganymed wird „um seiner Schönheit willen von den Göttern entführt, um Zeus in ewiger Jugend als Mundschenk zu dienen und die Bewohner des Olymp mit seinem Anblick zu erfreuen.“ [57] Zwar wird der Mythos seit der Antike im wesentlichen bestimmt von der „homoerotischen Liebe des Zeus zu G.“[58], das ist hier jedoch auszuschließen und, wenn überhaupt, nur implizit in der erwähnten körperlichen Gleichheit und Einheit der Seelen implizit. Allgemein erkenne ich hier den Übertrag auf die Schönheit Ganymeds und die Liebe, die aufgrund dieser zu ihm besteht, auch den Raub aus dem einfachen Leben sowie die Funktion des Mundschenks im Sinne eines Stillens von körperlichen Begehren.
Narcissus
Narcissus ist in der griechischen Mythologie ein schöner Jüngling, in den sich viele Frauen und Männer verlieben, der jedoch alle Liebesangebote stolz zurückweist.[59] Für seine Hartherzigkeit wird er von Nemesis bestraft, erblickt in einer Quelle auf der Wasseroberfläche sein eigenes Spiegelbild und verliebt sich. „Obwohl er nach einer Weile erkennt, daß es sich um ein Abbild seiner selbst handelt, kann er sich nicht von dem schönen Anblick lösen und stirbt vor Sehnsucht nach dem unerreichbaren Objekt seiner Begierde.“[60] Die im Narcissus-Mythos anzitierte Selbstverliebtheit bzw. Spiegelung funktioniert bei Camillus und Emila im positiven Sinne über das Anschauen des anderen, in dem das eigene Selbst aufgrund der Einheit der Seelen erkannt wird. Die seelische Einheit bestätigt sich an den Körpern.
Helena
Helena galt als die schönste Frau ihrer Zeit. „Der H.mythos wird in der Antike stets im Zusammenhang mit dem Trojanischen Krieg rezipiert. Im Mittelpunkt der Rezeption stehen zwei Themen: Erstens wird H. häufig die Kriegsschuld angelastet, da sie sich freiwillig von Paris entführen läßt. […] Zweites zentrales Thema ist die fatale Wirkung ihrer Schönheit auf die Männer.“[61] Im übertragenen Sinne raubt Camillus Emilia ihrem Mann, seelisch fühlt sie sich sowieso Camillus zugehörig. Allerdings ist die Frage nach dem Schuldbewusstsein, die auch mit Helenas Figur einhergeht, relevant. „Auf der einen Seite werden Vorwürfe gegen sie erhoben, nicht zuletzt von ihr selbst, ein persönliches Schuldbewußtsein ist damit vorauszusetzen; auf der anderen Seite wird aber der göttliche Einfluß auf H.s Handeln unterstrichen und ihr somit die Eigenverantwortlichkeit wieder abgesprochen.“[62] In Helenas Fall haben die griechischen Götter Anteil am Krieg und der Situation. In Camillus und Emilia ist die Liebe der Figuren, die auf der Einheit der Seelen und der körperlichen Ähnlichkeit beruht auch auf Gott als Schöpfer allen Seins zurückführbar.
Chriseida
Chriseida ist die Tochter des Apollopriesters Chryses, die „von Achilles auf einem Streifzuge erbeutet und dem Agamemnon als Sklavin zugeteilt [wird, der] ihre Schönheit und Tugend“[63] preist. Chryses fordert seine Tochter zurück, wird jedoch abgewiesen. Er bittet Apollon um Hilfe, der ihre Herausgabe durch Sendung der Pest erzwingt.[64] Als Ausgleich für sie fordert Agamemnon Briseis, die Konkubine Achilles‘, der daraufhin bekanntermaßen den Kriegsdienst verweigert. Ich vermute, dass Camillus eine Umdeutung mit Bezug auf die Parteien, denen Emilia zugehörig ist, vornimmt: Zu Chryses/Camillus gehört sie, Agamemnon/der namenlose Ehemann hält sie als Sklavin gefangen. Andererseits ist es auch einfach ein bekannter Name im Zusammenhang mit der Dramatik des Trojanischen Kriegs und könnte tatsächlich ohne hintergründige Funktion genutzt worden sein.
Polyxena
Polyxena ist bekannt als „Tochter des Priamos und der Hekabe“[65], auch wenn Homer sie nicht erwähnt.[66] Es gibt verschiedene Versionen ihrer Geschichte, die mit der Achills verbunden ist. Unter anderem wird Polyxena am Grab Achills geopfert, ein andermal verliebt sie sich in ihn und tötet sich selbst aus Kummer.[67] Ich vermute den Einsatz des Exempels aufgrund der Liebe über die Grenzen der Volkszugehörigkeit, denn Polyxena gehörte zu Troja, Achilles zu den Griechen.
Die Vielfalt der Exempel
Erzähler und Figuren greifen gleichermaßen auf Exempel zurück, die eine Vielzahl an Interpretationsmöglichkeiten unter Hinzunahme verschiedenster Methodiken zulassen. „Exemplum ist ein in pragmatischer, strategischer oder theoretischer Absicht zur Veranschaulichung, Bestätigung, Problemdarlegung und Problemlösung, zur Reflexion und Orientierung aus dem ursprünglichen Kontext ad hoc isolierter, meist (in einer historia) erzählter oder nur anspielend erwähnter (commemoratio) E r e i g n i s z u s a m m e n h a n g aus dem wirklichen oder vorgestellten menschlichen Leben naher oder ferner Vergangenheit“[68], fasst Peter von Moos zusammen. Figuren können Exempla sinngemäß ihrer eigenen Geschichte zuordnen, diese stehen im Zusammenhang mit den Reden und Handlungen der Figuren.
Was ist mit Alkibiades?
Es hat einen Grund warum ich den ebenfalls an Platons Symposium teilnehmenden Staatsmann Alkibiades erst jetzt aufführe. Anstatt wie die anderen auch Eros zu würdigen und sein Wesen zu preisen, hat er ein anderes Ziel, nämlich „Sokrates zu preisen, ihr Männer, will ich so versuchen – durch Vergleiche.“[69] Auf diese Vergleiche einzugehen würde an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Allerdings ist es genau das, was Camillus und Emilia machen – sie preisen sich und ihre Liebe über Vergleiche. Es sei auch erwähnt, dass zwischen Alkibiades und Sokrates eine homoerotische Anziehung besteht. Darüber hinaus scheint die primäre Referenz im Übertrag der Essenz des Symposiums zu liegen, denn in der Diskussion zwischen den Teilnehmern geht es um das Wesen der Liebe, die Suche nach Wahrheit und das Streben nach Unsterblichkeit.
Bekannte literarische Figuren, die Mythengestalten, biblische Figuren und historische Personen sind unsterblich geworden, weil sie weiterleben in der literarischen Tradition Erzählen. Im Dialog steht Alkibiades als vierte Figur von insgesamt sieben in der Mitte. Er nimmt eine gesonderte Position ein:
Du bist mir Apollo / sprach Emilia / du bist Ganymedes / du bist Narcissus/du bist nur allein Alcibiades / den ich ehre / den ich lieb hab / den ich vmbfahe / den ich nun brauch mit guͤnstigem Gluͤck / mit dem ich allein selig bin / ohn den ich arme nicht lang lebte auff Erdtrich. Du bist mir Helena (sprach widerumb Camillus) / du bist Chriseida / du bist mir Polixena / Priamus Tochter. (BdL, fol. 110r)
Philosophische Diskussion an Figuren inszeniert
Nicht nur handelt es sich bei ihm um keine Mythenfigur, sondern eine Figur aus einer philosophischen Abhandlung über das Wesen der Liebe. Alkibiades kann daher nicht als Exempel betrachtet werden, sondern als ein Prinzip oder Idee. Die weise Diotima, die einzige Frau in der Runde argumentiert:
„Nun, so will ich deutlicher sprechen, erwiderte sie. Trächtig von Samen sind alle Menschen, Sokrates, an Leib und Seele, und wenn sie in das bestimmte Alter gekommen sind, dann begehrt unsere Natur, etwas hervorzubringen; doch in Häßlichem kann sie nichts hervorbringen, wohl aber in Schönem. Denn die Verbindung von Mann und Frau ist Fortpflanzung; das ist etwas Göttliches, und es ist das Unsterbliche in dem sonst sterblichen Wesen, das Trächtigsein und die Zeugung. Das kann aber in dem Unharmonischen nicht geschehen; und unharmonisch ist das Ηäßliehe gegenüber allem Göttlichen, aber das Schöne harmoniert […]“[70]
Insofern erscheint Platons Symposium als ein Schlüsseltext für die Analyse von Camillus und Emilia. Wird die philosophische Diskussion um das Wesen des Eros und andere Ideen in die Analyse mit einbezogen, scheinen sämtliche Exempel und Referenzen auf ihre Funktion als ästhetischer Schmuck zurückzufallen. Dann wird weniger eine spezifische Semantik auf die Kontexte der Exempel impliziert, sondern die Schönheit der Sprache sowie die Liebe der Figuren ästhetisiert und auf die Liebe als Prinzip im Rahmen von Gottes Schöpferkraft verwiesen. In diesem Sinne werden die Figuren selbst zu dem Prinzip des Eros, an denen Schönheit, Wahrheit und Unsterblichkeit offenbar wird, letzteres vor allem durch die Einreihung der Figuren-Ichs in die literarische Tradition, ebenso wie Florentinus es sich schließlich für sein Werk gewünscht hatte.
Das Entdecken der heimlichen Liebe
Nach der Entdeckung der heimlichen Liebesbeziehung flieht Camillus und auch Emilia flüchtet in den Wald, nachdem sie von ihrem Ehemann fast zu Tode geprügelt wurde. Sie wird zum Stadtgespräch, zu einem Kasus: [D]ist so von dem fall Emilie schwerlich betruͤbet waren / die gaben sich alle in die Statt. (BdL, fol. 114r) Die Eltern veranlassen alles, um die Tochter wiederzufinden, der Vater lässt deß Morgens fruͤh außschreyen durch die Statt / mit einem offenen Bůttel (BdL, fol. 114r), sogar eine Belohnung von dreyhundert Guͤlden (BdL, fol. 114r) gibt es. Nach fünf Tagen wird angenommen, dass Emilia sich in einen Brunnen gestürzt habe, von wilden Tieren gefressen worden oder anderweitig umgekommen sei, sodass die Eltern Klagekleider anziehen. (BdL, fol. 114r)
Emilias Klage über die Liebe
Die Entwicklung der Liebe zwischen Camillus und Emilia, der Beginn ihrer Affäre und die letztendliche Entdeckung ist eine Geschichte, die so hätte passiert sein können bzw. die so laut Florentinus‘ eigener Aussage in seinem Widmungsbrief tatsächlich passiert ist. So erklärt auch Piccolomini, dass Euryalus und Lucretia „die wahre Geschichte einer unglücklichen Liebe“[71] sei. Und auch Florentinus erklärt, er habe Camillus und Emilia nicht erfunden, sondern es handele sich um „eine absolut wahre Geschichte“[72]. Er kennt „die angesehenen Zeugen sowie die Verliebten und ihre Eltern; nichts in diesem Werk ist erfunden, abgesehen von den Namen der jungen Leute und ihrer Eltern […].“[73]
Dass Emilia und Camillus sich in ihren Dialogen und Briefen auf Exempel der literarischen Tradition beziehen, beweist seine literarischen Kenntnisse, beweist auch die Bildung der Figuren, die sie beim gemeinsamen Studium der Grammatica (BdL, fol. 108r) und Virgilus (BdL, fol. 108r) erwarben. Sie sind in der Lage das durch Lektüre erworbene Wissen deduktiv auf ihre eigene Situation anzuwenden. Wie schon von mir exemplarisch am Dialog der Liebenden vorgeführt, sind literarische Figuren und die hinter ihnen stehenden Geschichten als Exempel situativ auf jedwede Situation anwendbar. Emilia hadert nach ihrer Flucht mit ihrem Schicksal: in Menschlichen dingen ist nichts den langen Weg glückselig / sondern armutseligkeit gantz ewig gefunden wirdt (BdL, fol. 114v). Interessant ist, dass sie sich selbst zu einer Fabel aus dem Volk macht, die als Exempel ausgelegt werden könnte und ihr Schicksal in die literarische Tradition von unglücklich Liebenden einreiht:
[K]keiner ist vnter den toͤdtlichen Menschen also ergeben worden dem beweglichem gluͤck / oder dem grimmigen vngefell / oder verspottung der Welt / Als nun ich arme Emilia/ die da jederman / gleich als ein Fabel deß Volcks / fuͤrgeleget wirdt zu einem Exempel. (114v).
Sie beklagt ihre gute Herkunft, ihren Reichtum, ihren schönen Körper, die ihr alle im Angesicht ihrer Situation nichts bringen. Klagend wendet sie sich auch an Venus als die Göttin der Liebe, die ihr jetzund feindt (114v) ist, das Nachjagen der fleischlichen Begierden führte sie zu einem bösen Ende.
Aus Lektüre lernen in Camillus und Emilia
Mich hetten wol die Geschicht der Alten moͤgen gescheid machen (BdL, fol 115r) konstatiert Emilia, wären ihr die Augen der Vernunfft nicht verschlossen (BdL, fol 115r) gewesen vor Begierde. Vorher habe sie nichts gesehen, jetzt sehe sie zu viel, sei dazu gezwungen, zu sehen, denn ihr sei so mancher vngluͤckhafftiger außgang der Liebhaberin (BdL, fol. 115r) bekannt:
Medea / gegen dem Jason / Phyllidis gegen Demophoontem / Hero gegen Leander / Thyßbes / gegen Pyramus (BdL, fol 115r), alle seien unselig im Erdreich geendet. Es folgt eine weitere Aufreihung verschiedener Exempel, darunter Dido, Deianira, Byblis, Penelope. Die grimmige Liebe, so klagt Emilia, habe Pasiphaem mit ewiger schand (BdL, fol. 115r) gestraft und Helenam / den glantz der schoͤnheit / dem fremden Paris vnterthaͤnig gemacht (BdL, fol. 115r).
Emilia besitzt neben dem Wissen über die literarischen Figuren der antiken Mythen ein gattungspoetologisches Bewusstsein, denn sie kategorisiert Fabeln und Historien als fiktional und wahr und stellt die antiken Sagen der Bibel gegenüber:
Aber etliche moͤchten jetzt vielleicht glauben / ich hette Fabeln / vnnd nicht ware Historien erzehlet / welcher (so er anders die Himmlische Heimlichkeit der heyligen Schrifft woͤlle durchfahren) in denselbigen erfindet / daß viel groͤssere ding geschehen seyn / von Liebe wegen (BdL, fol. 115r)
Überführt werden so die Macht und das Wesen des Eros auf den christlichen Glauben, weil die dortigen Ereignisse über die antike Mythologie gestellt werden. Emilias Klagen über die Liebe und ihre Situation verwandelt sie im Angesicht ihrer Situation in einen Exkurs über Fiktion und Wahrheit. Ich erkenne in ihren Worten die Überlegenheit der Bibel zu den antiken Mythen, denn sie erwähnt, dass die biblischen Inhalte nicht mehr allein der Liebe zugeordnet, sondern in einen weltbewegenderen Kontext eingebettet seien. Es folgen mit der Jacobstocher Dina, David und Batseba, Samson und Delila biblische Exempel, die sich auf die Sündhaftigkeit der Frau beziehen. Zur Lektüre empfiehlt Emilia dann die Geschichten der Römer, daraus könne gelernt werden, was entsprungen sey auß der Liebe Anthonij / gegen Cleopatra. (BdL, fol. 115r)
Sich von dem literarischen Wissen abgrenzen
Emilia stellt jedoch fest, dass sie gar nicht in dem Ausmaß der erwähnten Figuren betroffen ist. Im Selbstgespräch schlussfolgert sie:
es ist gleich also von der Liebe allsam vom Tode/ Deñ / wiewol wir sehen vnseren nechsten Nachbaurn vberwunden werden von dem Tod / vnd auch / ob schon wir selbst mit grosser Kranckheit bekuͤmmert vnnd beladen werden / so glauben wir doch mit nichten nicht zu sterben desseleben Siechtags. Also ist es auch mit der Liebe / so wir die andern sehen ein boͤß ende genommen haben wegen der Liebe / dennoch hoffen wir von vns nicht also / sondern zu gebrauchen eines seligern Gluͤcks (BdL, fol. 115r)
Nur, weil Camillus und Emilia sich bereits seit Kindertagen lieben, bleiben sie nicht von den negativen Ausgängen der literarischen Liebesfälle verschont. In der literarischen Tradition enden glückliche Liebesfälle in der Ehe, unglückliche Ehebruchslieben dagegen mit dem Tod der Frau wie etwa Isolde, die Tristan hinterherstirbt, bei Dante landet Francesca da Rimini in der Hölle.
Insofern ist Emilias Klagemonolog von besonderem Interesse, denn sie kommt zu einem anderen Ergebnis. Trotz der negativen Ausgänge der Liebe, die Venus für alle Menschen geplant hat, wird Emilia Camillus niemals vergessen, sondern ihn im Gedächtnis behalten. (BdL, fol. 115r) Sie ist vom Schicksalsrad gefallen, hätte sich sogar von einem Felsen stürzen können ob ihrer Lage, doch gerade in dieser Situation, durch den Fall des Rades am Boden der Tatsachen angekommen, erkennt sie, dass sie sich nicht mehr fürchten muss.
O Camille/vnter den verdampten die Pein bezahlen vnnd leyden/ denn in dieser Welt mit schanden sorgen vnnd marter/ gepeiniget werden. Darvmb von deinet wegen mir das Leben noch genem ist. Du muͤssest auch allzeit leben / O mein zartester Camille / mit welchem ich mich noch hoff vnnd getraw zu erfreuwen / vnd mich zu frolocken / auch ob es schon dem Gluͤck leyd ist (BdL, fol. 115r)
Aus ihrem Unglück erwächst neue Hoffnung den Geliebten wieder zu sehen, entgegen der Situation, in der sie sich befindet, gesteht sie sich Freude zu. Zusammenbleiben oder gar heiraten werden Camillus und Emilia aber nicht. Sie erhalten noch wenige Tage gemeinsam im Haus der Eltern Emilias, wo sie ihrem Begehren füreinander nachgeben können.
Das Reflexionspotenzial des Liebeskasus
Die Rezipienten können sich selbst ein Urteil zum narrativ inszenierten Liebesfall bilden, wenn der Erzähler eine Art Resümee zieht:
Was trosts vnd wollusts die Lieb vnnd die Begierdt den zweyen liebhabenden Menschen zu den zeiten behalten hat / vermeyn ich nicht leichtlich zu beschreiben seyn / vnd vberfluͤssig / so ein jeglicher vōjm selbst genug abnemmen mag / was wunsamkeit in dem let / en theil der Lieb die Begier de gestifft vnd gesetzt hab. Darumb wol acht tag lang klaubten die sichern liebhabendē Menschen die Frucht vnd Blumen der Lieb / Welche Lieb / wie offt sie entzuͤndt sey gewest vnd wider erloschen / verlaß ich zu vrtheilen nach anderer Leut geduncken (BdL, fol. 117r).
Die auf die Liebesgeschichte und die Emotionen des Liebespaares fokussierte Novelle lässt gerade aufgrund dieser Zentriertheit kaum Raum für andere Perspektiven. Rezipienten blicken durch diese Linse, werden durch einen perspektivischen Engpass gelenkt und quasi gezwungen, die Beziehung entsprechend wahrzunehmen. Dennoch ist das Reflexionspotenzial gerade in der Betrachtung der Liebesbeziehung präsent.
Die im Kasus und in der Novelle angelegte Option zur Geistesbeschäftigung ob des Dargestellten im Sinne der Formel Lernen-durch-Lesen ist auch in der Figurenrede sichtbar, denn Camillus und Emilia beziehen ihre Situation auf die ihnen bekannten Bildungszitate. Auch Sigmund Feyerabend thematisiert in seiner Widmung das Lesen und die Wirkung des geschriebenen Wortes. Tatsächlich entzündet sich die Liebe von Camillus und Emilia gerade durch das geschriebene Wort und über die Lektüre der Liebesbriefe immer wieder aufs Neue.
Diese kurtze Epistel oder Brieff mit seinē Ringverpettschafft / schickt [Camillus] seiner Emilien durch ein getrewe warhafftige Bottschafft traͤgerin / den sie noch nicht halbtheils vberlesen hett / daß die Fackeln der geschweigten Lieb Venus jetzt wider in jhr entzuͤndt / vnnd so fast die wunderlichen Hitz der Begierdt empfandt / daß sie kaum den kurtzen Brieff also vberlesen / auff daß sie Camillo widerumb antworte / also widerumb verschriebe. (BdL, fol. 111v).
Worte entfachen Liebe neben dem körperlichen Begehren und der seelischen Zugehörigkeit. Worte besitzen Macht in Liebesangelegenheiten – dies unterwandert die These, dass durch narrative Inszenierung negativer Exempel etwas aus den unglücklichen Fällen der Liebe gelernt werden könne. Ganz im Gegenteil wird die Liebe durch Worte und gerade über das Lesen angefacht. Auch die bereits erwähnte Francesca da Rimini und ihr Geliebter Paolo haben sich, wenn man Dante glauben kann, bei der Lektüre einer ganz bestimmten Passage des Lancelot nicht mehr halten können:
Wir lasen eines Tages zum Vergnügen
Von Lancelot, wie ihn die Liebe drängte;
Alleine waren wir und unverdächtig.
Mehrmals ließ unsre Augen schon verwirren
Dies Buch und unser Angesicht erblassen,
Doch eine Stelle hat uns überwältigt.
Als wir gelesen, daß in seiner Liebe
Er das ersehnte Antlitz küssten mußte,
Hat dieser, der mich niemals wird verlassen,
Mich auf den Mund geküßt mit tiefem Beben.
Verführer [Galeotto][74] war das Buch und ders geschrieben.
An jenem Tag lasen wir nicht weiter.[75]
Dantes Hölle bevölkern weiterhin Tristan (DGK, 5.67) und Paris (DGK, 5.67) Kleopatra (DGK, 5.63) und Helena (DGK, 5.64) und Dido (DGK,5.85) eben alte Ritter und der Frauen Namen (DGK, 5.70) bekannt aus Büchern und Historiographie. Schon Dante vermischt Personen seiner zeitgenössischer Lebenswelt mit Figuren der literarischen und mythologischen Tradition. Lesen von Liebesgeschichten kann Liebe entfachen. Wahrscheinlich sind darum so viele Werke mit einer moralischen Intention verbunden oder kündigen einen didaktischen Nutzen an, vor allem für Mädchen und Frauen?
Die Unmöglichkeit des Exempels
Das Klug-werden-durch Lesen und Lernen aus Exempeln versagt also bei den Figuren und in der literarischen Tradition. Sigmund Feyerabend geht in seiner Widmung im Buch der Liebe aber noch davon aus, dass das Lesen von negativen Fällen nicht zur Nachahmung verleite.
Es werden auch solch erbaͤrmliche faͤll dermassen mit iren umbstenden so augenscheinlich beschrieben / daß nicht glaͤublich/ jemand so gar in dergleichen Lieb ersoffen seyn/ wenn er selbige liset/ nicht in sich selbs gehn/ auch so viel muͤglich/ sich darauß zu wickeln/ und sein gewisses verderben zuvorkommen unterstehen werd. (BdL, Bl. 3r)
Die Beliebtheit der unglücklichen Liebesfälle in der Literatur scheint dem jedoch entgegenzustehen und zu beweisen, dass Lektüre keine moralischen Bedenken evoziert, sondern ganz im Gegenteil Emotionen und Begehren schürt – eben dies wird ja in Camillus und Emilia sogar unter Einbezug bekannter literarischer Liebesfälle bewiesen.
Beschluss für Camillus und Emilia
Die in der Novelle kunstvoll inszenierte Liebe von Camillus und Emilia kann als Kasus, als Präzedenzfall mit Reflexionscharakter betrachtet werden. Anhand verschiedener, in die Erzählung eingelassener Elemente wird die Liebe der Protagonisten und der damit einhergehende Ehebruch ästhetisiert und in ein Spannungsfeld zwischen göttlicher Lenkung, zeitgenössischen Normen sowie bekannten Liebesfällen aus Literatur, Geschichte und Mythologie gestellt, die Rezipienten zur kasuistischen Reflexion anregen können. Emilias Fazit aus ihrem Klagemonolog betrachte ich als modern, denn zwar scheint sie sich zuerst in die Reihe der ihr bekannten unglücklichen Liebesfälle einzureihen, enthebt sich jedoch zuletzt aus dieser Tradition und entwickelt Hoffnung für die Liebe – und zwar aufgrund einer individuellen Schlussfolgerung in Bezug auf das Gelesene.
Indem Emilia jung an einer Krankheit stirbt, wird sie als Blume in den Himmel versetzt, sodass Camillus sie ewig als jung imaginieren und ihre Seel gedechtniß [] nimmer vergessen (BdL, fol. 118r) wird. Man könnte anführen, dass Gott Gnade bewiesen hat, indem er Emilia durch die tödliche Krankheit aus dem Leben nimmt, damit sie eben nicht ein ganzes Leben ohne ihre zweite Hälfte verbringen muss in einer Lebensrealität, in der Gottes Schöpfung nicht anerkannt wird. Insofern ist aber auch Franciscus der Schöpfer seiner Kunst und hat, um Piccolominis Werk zu überbieten, einen anderen Weg für seine weibliche Protagonistin erschaffen als bloße Moraldidaxe, indem er sich intertextuell auf die philosophischen Diskussionen antiker Denker über die Schönheit bezieht: Dißmals entfuͤhret der Todt auß dieser Welt den Glantz der lieblichkeit/ vnd die Blumen der schoͤnheit/auff welcher Marmolsteinen Grab diese Wort eyngegraben seyn: Die schoͤn Emilia / ein zier deß gantzen Lands Jtalie. (118r)
Die Macht der Worte
Insofern hätte Franciscus Enea Silvio übertrumpft, indem er nämlich Figuren der antiken Mythologie, der Bibel und Literatur sowie historische Personen in einer Art philosophischem Dialog über die Figuren kunstvoll miteinander verknüpft, sie jedoch der bestehenden Tradition enthoben hat und sie für die Liebe und für die Schönheit handeln lässt. Zuletzt ist all dies ohnehin der Schöpferkraft Gottes zuzuschreiben, ihm wird die Ehre für das Wesen der Liebe zuteil.
Im übertragenen Sinne ist Camillus und Emilia also ein Kasus der Liebe, ein Exempel für eine Liebesgeschichte, die von Gott gewollt, doch durch weltliche Instanzen gefährdet wird und daher vor der ästhetischen sprachliche Inszenierung Wohlwollen erzeugen soll. Ebenso wie die Figuren sich von den Worten verführen lassen, können sich auch die Rezipienten für die Zeit der Lektüre entführen lassen und ihren Alltag vergessen durch die Macht schöner Worte und das Eintauchen in andere Welten. Sie können sich ebenso von Worten verführen lassen wie Emilia und Camillo durch ihre Briefwechsel oder Francesca und Paolo durch die Geschichte von Lancelot und Guinevere. Ist dann die Novelle von Camillus und Emilia nicht sogar eine Geschichte über Hoffnung, die Hoffnung auf gute Unterhaltung? Das aber scheint mir dann doch zu modern gedacht.
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Verwendete Literatur:
Quellen:
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Das Buch der Liebe : inhaltendt herrliche schöne Historien allerleÿ alten und newen Exempel, darauss menniglich zu vernemmen, beyde was recht ehrliche, dargegen auch was unordentliche Bulerische Lieb sey, … auffs new zugericht, und in Truck geben, dergleichen vor nie gesehen, daraus: Camillus und Emilia‘, nach Exemplar UB Basel (Signatur: UBH Wack 688): Frankfurt am Main: Sigmund Carln Feyerabendt 1587, fol. 107v‑118r, online unter: https://www.e-rara.ch/bau_1/doi/10.3931/e-rara-21652 (zuletzt aufgerufen am 05.02.2024).
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Sekundärliteratur:
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[1] Das Buch der Liebe : inhaltendt herrliche schöne Historien allerleÿ alten und newen Exempel, darauss menniglich zu vernemmen, beyde was recht ehrliche, dargegen auch was unordentliche Bulerische Lieb sey, … auffs new zugericht, und in Truck geben, dergleichen vor nie gesehen, daraus: Camillus und Emilia‘, nach Exemplar UB Basel (Signatur: UBH Wack 688, Frankfurt am Main: Sigmund Carln Feyerabendt 1587, fol. 110r, online unter: https://www.e-rara.ch/bau_1/doi/10.3931/e-rara-21652 (zuletzt aufgerufen am 05.02.2024). [2] Schmitt Anneliese: Camillus und Emilia. Zur Entstehung und Tradition einer Renaissancenovelle in Deutschland. In: Studien zur Buch- und Bibliotheksgeschichte. Hans Lülfing zum 70. Geburtstag am 24. Berlin 1976, S. 109–120, hier S. 113. [3] Ebd., S. 114. [4] Enea Silvio Piccolomini: Euryalus und Lucretia. Lateinisch / Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Herbert Rädle. Stuttgart 1993 (Universal-Bibliothek Nr. 8869). [5] Florius, Franciscus. Francisci Florij Florentini. De Amore Camilli [et] Emi||lie Aretinoru[m] Ad Guillermu[m] Tardinu[m] P[ro]logus Felici||ter Incipit. ..[Reutlingen]: [Michael Greyff], fol. 2v. [6] Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Lateinisch-deutsch. In deutsche Hexameter übertragen und herausgegeben von Erich Rösch. Mit einer Einführung von Niklas Holzberg. München/Zürich 1992, S. 29, „mille gravem telis“ S. 28 v. 443. [7] Ebd. [8] Ebd., S. 29, „umeros gestamina nostros, / qui dare certa ferae, dare vulnera possumus hosti, / qui modo pestifero tot iugera ventre prementem / stravimus innumeris tumidum Pythona sagittis.« / tu face nescio quos esto contentus amores / inritare tua, nec laudes adsere nostras.““ S. 28 v. 458-462. [9] Ebd., S. 29, „fugat hoc. facit illud amorem.“ S. 28 v. 469. [10] Schmitt: Camillus und Emilia, S. 113-114. [11] Gesamtkatalog der Wiegendrucke • © 1978 Anton Hiersemann, Stuttgart • https://gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/FLORFRA.htm • Letzte Änderung: 2013-12-03. [12] Schmitt: Camillus und Emilia, S. 114. [13] Rädle, Herbert: Nachwort. In: Enea Silvio Piccolomini: Euryalus und Lucretia, Lateinisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Herbert Rädle. Stuttgart 1993 (Universal-Bibliothek Nr. 8869). S. 126-127. [14] Ebd., S. 5. [15] Ebd., S. 9. [16] Ebd. [17] Ebd., S. 115. [18] Skow, Katya: Camillus vnd Emilia: A Modern Novel Before ist Time. In: Germanic Notes and Reviews 39/1 (2008), S. 37-46, hier S. 41. [19] Zeller, Rosemarie: Das Buch der Liebe im moralischen Romandiskurs. In: Fortunatus, Melusine, Genovefa. Internationale Erzählstoffe in der deutschen und ungarischen Literatur der Frühen Neuzeit. Hg. von Dieter Breuer und Gábor Tüskés. Bern 2010 (Beihefte zu Simpliciana 6), S. 147-166, S. 154. [20] Enea Silvio Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 115, Z. 18-21. [21] Florius, Franciscus. Francisci Florij Florentini. De Amore Camilli [et] Emi, fol. 3r. [22] Eikelmann, Manfred: ‚Kasus‘. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. 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In: Ordnung und Lust: Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Hans-Jürgen Bachorski. Trier 1991 (Literatur, Imagination, Realität 1, S. 185-210, hier S. 195. [36] Platon: Symposium. Griechisch und deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Franz Böll. Neu bearbeitet von Wolfgang Buchwald. München und Zürich 1989, S. 51. Ich verzichte hier auf das griechische Original und werde nur die deutsche Übersetzung zitieren. [37] Platon: Symposium, S. 55. [38] Ebd., S. 55 und 57. [39] Ebd., S. 57. [40] Ebd., S. 59. [41] Schnell, Rüdiger: Causa Amoris. Liebeskonzeption und Liebesdarstellung in der mittelalterlichen Literatur. Bern 1985 (Bibliotheca Germanica 27), S. 289-290. [42] Ebd., S. 289-290. Schnell setzt die verschiedenen Auffassungen von Natur auch mit verschiedenen Diskursen in Beziehung, etwa dem theologischen Diskurs um die Erbsünde. (S. 290). Zudem stellt er fest, dass das Entstehen von Liebe schon im 12. Jahrhundert auf naturbedingte Faktoren zurückgeführt werde. (S. 295). [43] Enea Silvio Piccolomini: Euryalus und Lucretia, S. 113, Z. 1-15. [44] Ebd., S. 115, Z. 17-19. [45] Bennewitz: „Du bist mir Apollo“, „Du bist mir Helena“, S. 195. [46] Ebd., S. 195. [47] Glück: In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch, online unter: https://fwb-online.de/lemma/gl%C3%BCk.s.2n?q=gl%C3%BCck&page=1 (zuletzt aufgerufen am 05.02.2024): 4. ›Schicksal unter dem vorherrschenden Aspekt seiner Unbeeinflußbarkeit, Unstetigkeit, Wechselhaftigkeit, Unberechenbarkeit, Willkür‹; es kann – mehrfach im Bilde des Rades (rad, scheibe) gesehen – gegenüber einem Betroffenen positiv (dann Nähe zu glük), vereinzelt neutral ausschlagen, wird aber eher als blindes Walten einer Schicksalsmacht, damit als ›Verhängnis, Los‹, auch als ›Zufall‹, verstanden; dieser Wortgebrauch steht – auch im Zusammenhang mit einigen anklingenden Personifizierungen – in antiker Tradition (,fortuna‘, ,fatum‘, ,sors‘). [48] Bennewitz: „Du bist mir Apollo“, „Du bist mir Helena“, S. 196. [49] Ebd. [50] Bennewitz, Ingrid: „Du bist mir Apollo“, „Du bist mir Helena“: „Figuren“ der Liebe im frühneuhochdeutschen Prosaroman. In: Ordnung und Lust: Bilder von Liebe, Ehe und Sexualität in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Hans-Jürgen Bachorski. Trier 1991 (Literatur, Imagination, Realität 1), S. 185-210, S. 196. [51] Dicke, Gerd: Exempel. In: RLW 1. Hg. von Klaus Weimar. Berlin/New York 2007, S. 534-537, hier S. 534. [52] Ebd. [53] Ebd. [54] Loyen, Ursula van: Apollon. In: Der Neue Pauly Supplemente | Online Band 5. Mythenrezeption: Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Maria Moog-Grünewald. Serie: Der Neue Pauly – Supplemente, 1. Staffel, herausgegeben von Hubert Cancik, Manfred Landfester und Helmuth Schneider, Band 5. Stuttgart, Germany. Copyright © J.B. 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Mythenrezeption: Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Maria Moog-Grünewald. Serie: Der Neue Pauly – Supplemente, 1. Staffel, herausgegeben von Hubert Cancik, Manfred Landfester und Helmuth Schneider, Band 5. Stuttgart, Germany. Copyright © J.B. Metzlersche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel Verlag GmbH (2008). Consulted online on 05 February 2024 http://dx.doi.org/10.1163/2452-3054_dnpo5_COM_0089, First published online: 2015 (zuletzt aufgerufen am 03.02.2024). [60] Ebd. [61]Schneider, Steffen: Helena. Der Neue Pauly Supplemente I Online – Band 5: Mythenrezeption: Die antike Mythologie in Literatur, Musik und Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart, Herausgegeben von Maria Moog-Grünewald. Serie: Der Neue Pauly – Supplemente 5. Hg. von Hubert Cancik, Manfred Landfester und Helmuth Schneider. 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Es handelt sich hier um einen Kunstgriff, der in der mir vorliegenden Übersetzung nicht deutlich wird. Galeotto ist zum einen eine Figur, die in der Tradition der Artusromane zwischen Lancelot und Guinevere vermittelt. Er ist ein Mittler. Zugleich bedeutet der Name aber sinngemäß ‘Schmeichler’ oder ‘Kuppler’. Das als ‘Kuppler’ benannte Buch mit der Geschichte von Lancelot wird zum Kuppler der Liebe zwischen Francesca und Paolo in Dantes Commedia, die zugleich aber auch historische Personen waren. Zudem ist das Motiv in der Kunst sehr beliebt. [75] Dante Alighieri: Die Göttliche Komödie. Übersetzt von Hermann Gmelin. Anmerkungen von Rudolf Baehr. Nachwort von Manfred Hardt. Stuttgart 2017, S. 25; 5.127-138.