Catch 22 – Joseph Heller: Paradoxes und Absurdes

Textmosaik - Catch 22 - Figuren und Literatur

Grundlegendes zum Verständnis

Worum es sich bei einem Catch 22 genau handelt, soll in einem der folgenden Textmosaik-Episoden besprochen werden. Für den Anfang reicht eine allgemeine Herangehensweise und die Erklärung des Begriffs, wie er umgangssprachlich verwendet wird.

Begriffsdefinition ›Catch 22‹

Der Begriff ‘Catch 22’ hat seit der Veröffentlichung des gleichnamigen Buches im Jahre 1961 Karriere gemacht und ist zum fliegenden Wort geworden.
Laut dem ›Merriam Webster-Dictionary‹ wird Catch 22 folgendermaßen definiert:
1: a problematic situation for which the only solution is denied by a circumstance inherent in the problem or by a rule the show-business catch-22—no work unless you have an agent, no agent unless you’ve worked—Mary Murphy
also the circumstance or rule that denies a solution
2a: an illogical, unreasonable, or senseless situation
b: a measure or policy whose effect is the opposite of what was intended
c: a situation presenting two equally undesirable alternatives
3: a hidden difficulty or means of entrapmentCATCH.“[1]

Das ›Cambridge Academic Content Dictionary‹ definiert einen Catch 22 als „a situation in which there are only two possibilities, and you cannot do either because each depends on having done the other first.“[2]

Widersinnige Kommunikation

Und auch der bekannte Psychotherapeut, Soziologe und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik greift den Begriff auf und erklärt: „Zugegeben, das Beispiel ist fiktiv, und es gibt den Catch-22 in der amerikanischen Luftwaffe nicht. Es handelt sich um eine Art Karikatur militärischer Logik, doch wie bei jeder guten Karikatur wird der Kern der Sache getroffen: Die Wirklichkeit des Kriegs oder jede andere, auf totalitärer Gewalt beruhende Wirklichkeit ist von einem Wahnwitz, dem sich niemand entziehen kann, und in dieser Wirklichkeit wird Normalität zum Ausdruck von Wahn oder Heimtücke umgedeutet.“[3] Wer im englischsprachigen Raum also von Catch 22 spricht, der meint eine absurde Regelung oder Situation, in der es für etwaige Betroffene nur Nachteile gibt und hinter denen häufig Kalkül, diskriminierende und gewalttätige Berechnung stecken.

Die Kapitel in Hellers ›Catch 22‹

Da im Zuge der folgenden Kapitel- und Strukturanalysen und die damit verbundenen Themen sowie Figuren wiederkehrend eingegangen wird, soll hier eine Auflistung der einzelnen Kapitel erfolgen. Bei der Nennung der Namen kann eigentlich nicht viel falsch übersetzt werden. Der Vollständigkeit halber sollen aber auch hier die deutsche und englische Version aufgeführt werden.

Die Struktur der Kapitel in ›Catch 22‹

1. Der Texaner
2. Clevinger
3. Havermeyer
4. Doc Daneeka
5. Häuptling White Halfoat
6. Hungry Joe
7. McWatt
8. Leutnant Schittkopp
9. Major Major Major Major
10. Wintergreen
11. Captain Black
12. Bologna
13. Major – de Coverley
14. Kid Sampson
15. Piltchard & Wren
16. Luciana
17. Der Soldat in Weiß
18. Der Soldat, der alles zweimal sah
19. Colonel Cathcart
20. Korporal Whitcomb
21. General Dreedle
22. Milo, der Bürgermeister
23. Natelys alter Mann
24. Milo
25. Der Kaplan
26. Aarfy
27. Schwester Duckett
28. Dobbs
29. Peckem
30. Dunbar
31. Mrs. Daneeka
32. Yo-Yos Bettgeher
33. Natelys Hure
34. Thanksgiving
35. Mili, der Militante
36. Der Keller
37. General Schittkopp
38. Schwesterchen
39. Die ewige Stadt
40. Der x-Haken (Ja, richtig: Catch 22 wurde mit x-Haken übersetzt)
41. Snowden
42. Yossarian

Englische Version

1. The Texan
2. Clevinger
3. Havermeyer
4. Doc Daneeka
5. Chief White Halfoat
6. Hungry Joe
7. McWatt
8. Lieutenant Scheisskopf (man beachte die diametrale Übersetzung)
9. Major Major Major Major
10. Wintergreen
11. Captain Black
12. Bologna
13. Major – de Coverley
14. Kid Sampson
15. Piltchard & Wren
16. Luciana
17. The Soldier in white
18. The Soldier who saw everything twice
19. Colonel Cathcart
20. Corporal Whitcomb
21. General Dreedle
22. Milo the Mayor
23. Nately’s old Man
24. Milo
25. The Chaplain
26. Aarfy
27. Nurse Duckett
28. Dobbs
29. Peckem
30. Dunbar
31. Mrs. Daneeka
32. Yo-Yo‘ Roomies
33. Nately‘s Whore
34. Thanksgiving
35. Milo the Militant
36. Der Celler
37. General Scheisskopf
38. Kid Sister
39. The Eternal City
40. Catch-22
41. Snowden
42. Yossarian

Thesen für die Analyse von ›Catch22‹

Der jeweilige Begutachtung der Einzelkapitel sowie der Betrachtung des Gesamtwerkes liegen bestimmten Annahmen und Thesen zugrunde. Dazu gehören unter anderem:

  • Jedes Kapitel behandelt primär ein gesellschaftlich relevantes Thema, unter das auch die namengebende Figur aufgrund der ihr jeweils konzeptuell auf den Leib geschriebenen Programmatik einbezogen wird.
  • Die Kapitelstruktur ist nicht chaotisch, sondern sehr durchdacht nach signifikanten Maßstäben angelegt, die es herauszuarbeiten gilt.
  • Hellers Roman mag vordergründig als Kriegssatire daherkommen, es handelt sich jedoch auch allgemeiner um eine Gesellschaftskritik, die in sämtliche Lebensbereiche übertragen werden kann.
  • Joseph Heller hat eigene Erfahrungen in den Roman einfließen lassen, daher besitzt er autobiografische Anteile.
  • Hellers Beobachtungen über bestimmte Verfahrensweisen in hierarchisch organisierten Institutionen und Organisationen sind damals wie heute gültig und lassen sich unter intertextuellen sowie soziokulturellen und diskursiven Fragestellungen sowie Methoden mit anderen Werken vergleichen.
  • Grundsätzlich geht es um die Frage nach dem Wert eines Menschenlebens und der Suche nach einer vermeintlich verloren gegangenen Humanität.

Zum Autor – Joseph Heller

Das ›Kindler Literatur Lexikon‹ beschreibt das Leben von Joseph Heller (geb. 1.5.23 in New York, gest. 13.12.1999 in East Hampton) kurz und bündig:
„Im Zweiten Weltkrieg Bomberpilot; nach literaturwissenschaftlichem Studium und einer kurzen Anstellung als Professor an der Pennsylvania State University Wechsel in die Werbebranche; zunächst Autor von Kurzgeschichten, 1961 großer Erfolg mit dem ersten Roman Catch-22, an den er mit späteren Werken nicht anknüpfen konnte; ab den frühen 1980ern stark geschwächt durch das Guillain-Barre-Syndrom.“[4]

Autobiografische Aufarbeitung in Literatur

Tatsächlich sind viele Inhalte und sogar konkrete Textpassagen aus ›Catch 22‹ autobiografisch. Heller war 2nd Lt. der 340th Bombardment Group des 488th Squadron und hat 60 Einsätze fliegen müssen. Eine Szene, die auch für die Hauptfigur Yossarian traumatisch ist, hat Heller selbst erlebt und in seinem Buch verarbeitet. Er wurde allerdings dafür kritisiert, nicht realistisch über die Figuren in seinen Werken zu schreiben. „‘One might say that [early trauma], never fully faced, led to a certain hollowness, which became a part of [his literary] style … an unbearable lightness ballasted by melancholy“’[5], schrieb ein Rezensent.

Die Struktur der Traumata

Tatsächlich stimmt diese Beobachtung mit meinen Annahmen überein, die Kapitelstruktur gleiche den Erinnerungslücken eines Traumatisierten (Heller) sowie der von ihm erschaffenen Figur Yossarian. Ihn als Alter Ego Hellers zu betrachten, ginge zu weit. Ein konkretes Erlebnis ist Angelpunkt des gesamten Werkes. Es bietet Sinnstiftung für die scheinbar absurden Handlungen von Yossarian, die erst zum Schluss Sinn ergeben. Am Anfang des Schreibprozesses steht jedoch Heller selbst mit seinen eigenen Erlebnissen. Eines davon muss so traumatisch für ihn gewesen sein, dass er Schreiben musste. Und zwar wütend und voller Ironie. Vielleicht hat er einerseits Genugtuung verspüren können beim Schreiben dieser perfiden Figuren, deren moralisch verwerfliche und blasierte, emotionslose Charakterzüge er aus ihm bekannten Menschen abgelesen und übertragen haben muss. Inwiefern es als Rache gelten kann, eine Satire zu schreiben, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Ausblick

Aber wenn einem nur das Schreiben bleibt, um aktiv etwas gegen sämtliche Ungerechtigkeiten dieser Welt zu tun bzw. Ungerechtigkeiten auf jedwede Weise überhaupt darstellbar zu machen … Was sollte man sonst tun?


Quellen:
Joseph Heller: Catch 22. Aus dem Amerikanischen von Irene und Günther Danehl. Mit einem Nachwort zur deutschen Neuausgabe von Joseph Heller. Frankfurt am Main 1999.
Joseph Heller: Catch-22. London 1962.

Literatur:
Daugherty, Tracy: Just one Catch. A Biography of Joseph Heller. New York 2011.
https://www.merriam-webster.com/dictionary/catch-22 (zuletzt abgerufen am 20.08.2023).
https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/catch-22 (zuletzt abgerufen am 20.08.2023).
Kelleter, Frank: Heller, Joseph. In: KLL. Hg. von Arnold, H.L. (Hg.), Stuttgart (2020). https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_5455-1 (zuletzt abgerufen am 20.08.2023).
Watzlawick, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen. München 1976.


Fußnoten:
[1] https://www.merriam-webster.com/dictionary/catch-22 (zuletzt abgerufen am 20.08.2023).
[2] https://dictionary.cambridge.org/de/worterbuch/englisch/catch-22 (zuletzt abgerufen am 20.08.2023).
[3] Watzlawick, Paul: Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn – Täuschung – Verstehen. München, S. 38.
[4] Kelleter, Frank: Heller, Joseph. In: KLL. Hg. von Heinz Ludwig Arnold. Stuttgart 2020. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05728-0_5455-1 (zuletzt gesehen am 21.08.2023).
[5] Daugherty, Tracy: Just one Catch. A Biography of Joseph Heller. New York 2011, S. 5.


Dies ist Teil 1 der Serie „Textmosaik“, in der jeweils ein Buch in verschiedenen Beiträgen hinsichtlich verschiedener Elemente analysiert wird.

Bildquellen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert