Hasenprosa von Maren Kames – Hase, Fiktion, Erinnerung

Hasenprosa von Maren Kames hat mich erinnert an einen rauschenden Roadtrip durch das Raum-Zeit-Gefüge der Weltgeschichte, überhaupt der Evolution, mit Einsichten in die individuelle Erinnerungsmotivik der Autorin und ihres (eines) Hasen. Ich selbst begebe mich in diesem Jahr auf einen literarischen Road-Trip, eine Art Buchpreis-Tour – Hamburg, Bremen, Frankfurt. Hasenprosa ist das erste Buch, das ich im Rahmen dieser Tour gelesen habe. Bevor ich also meine eigenen Leseeindrücke ins WWW sprenkle, will ich einige Informationen zur Autorin bereitstellen.

Zur Autorin Maren Kames

Maren Kames ist eine deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin, Jahrgang 84, die für ihre experimentelle und genreübergreifende Literatur bekannt. Sie studierte Kulturwissenschaften, Philosophie und Theaterwissenschaft und absolvierte den Studiengang ‚Literarisches Schreiben’ am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. 2016 erschien ihr Debütroman Halb Taube Halb Pfau, das Themen wie Identität, Migration und die Beziehung von Mensch und Natur behandelt. Innovativ ist die Gestaltung mit visuellen Elementen. Dieser Ansatz wird im zweiten Roman Luna Luna von 2019 fortgesetzt, indem es eine multimodale Leseerfahrung schafft. Maren Kames hat bereits mehrere Stipendien und Preise erhalten, darunter den Anna-Seghers-Preis im Jahr 2017. Kames ist eine der herausragenden Stimmen der modernen deutschen Literatur, bekannt für ihre innovative Herangehensweise an das Schreiben mit der Fähigkeit zum Verwischen verschiedener Kunstformen und Gattungen. Die Themen ihrer Werke sind vielfältig und beinhalten Fragen der Identität, des Raumes, der Zeit und der Existenz.

Hasenprosa ist bei Suhrkamp erschienen. Mein Beweisbild ist ein Abbild der Realität und ihr irgendwie fremd.

Hasenprosa – Everything Everywhere All at Once

Jedenfalls ist Hasenprosa ein intertextuelles, intermediales, multimodales Feuerwerk, nimmt Bezug auf Texte, Musik, Kunst, die Realität, Erinnerungen, Verblasstes und Deutliches, Festgehaltenes und Losgelassenes, Geliebtes, Gemochtes, Geregnetes. Hasenprosa ist Sprachkunst, in der verwebt vernetzte Fetzen Erinnerungen motivisch aufflackern und Funken flunkern. Man kann alles lesen. Man kann alles hören. Aber man kann nicht alles wissen. Weil man nicht alles gelesen hat (haben kann). Weil man nicht alles gehört hat (haben kann). Trotz Wissensliste bleiben Lektüre-Lücken. Weil Erinnerung Tücken birgt und ein Wiedersehen im Geiste oder Körper oder Auge nur dort stattfindet, wo das Gegenstück bekannt ist. Darum brummt Hasenprosa übervoll, ist forciert (mehr und weniger) fordernd hinsichtlich Erkennungsoptionen vielfältigster Art, auch explizit drängend zur sprachlichen Offenheit. Weil proppevoll mit klangmalerischen Neologismen. Es war ein Lesefest für mich! Denn wie erwähnt bin ich anders verdrahtet, nicht falsch, aber anders, ich spüre also Wörter am Körper, manchmal rieche oder schmecke ich sie. Es ist magisch! Klangmagisch! Orgiastisch bunt! Apokalyptisch hinreißend zum Schmelzen, zum Seufzen. Ich lese und spüre und erinnere und projiziere und sehe und erlebe und genieße ALLES zugleich: Everything Everywhere All at Once! Das Zeit-Raum-Gefüge ist verschoben, ist eine Zeitgleichzeitigkeit, doch immer noch da: das Lineare der Lektüre. Boah!

Whatever: Der Schlüssel bringt nichts ohne Tür. Das stülpt den Lesegenuss aber nicht um, sondern entflammt ihn. Es gibt viel zu entdecken in Hasenprosa. Mitunter die Autorin und ihr Selbst, den Hasen, Erinnerungsschnittmengen. Und daher – wie würdige ich nun diese unvergleichlich lichte Lektüre? Anders als sonst jedenfalls. Über zwei Themen:

1. Der Hase

2. Die Als-ob-Fiktion

Der Hase in Hasenprosa

Hasenprosa – das ist ja nun einmal auch der Titel. Hasenprosa – Prosa vom Hasen oder Prosa durch den Hasen geformt, Prosa vom Hasen inspiriert, Prosa erschaffen in Kollaboration mit dem Hasen … Klar, viele denken an Lewis Carrolls Alice im Wunderland – da gibt es einen Hasen, den Märzhasen. Das weiße Tier, dem Alice ins Wunderland folgt, das ist aber ein Kaninchen! Kein Hase. Ein Kaninchen. Karnickel! – nicht Hase. Intendierte Referenz ausgeschlossen. Wahrscheinlicher ist da sowieso die Referenz auf Ernst Herbecks Der Hase!!!!: Ausgewählte Gedichte. Mit Ausrufezeichen!!!! Wie kommt es dann zur draufgepflanzten Connection? Wahrscheinlich, weil es Gemeinsamkeiten gibt. Das gebe ich zu. Nicht nur sind in den zeitgleich verschiedenen Werken Kaninchen und Hase Initiatoren, Inspiratoren (wenn man so will), sondern sie sind auch Katalysatoren, Motivatoren, die vorauseilen und anstupsen, zum Vorwärts drängen – hinein in eine fantastische Welt. Bei Alice ist es das Wunderland. Bei Maren ein Zeitenquerschnitt durch die Welt und das Selbst. Und Träume, natürlich! Die Reise ins Wunderland ein Traum, das Kaninchen der Reiseführer. Und auch in Hasenprosa gibt es Träume, Hase ist Reisebegleiter. In Träumen ist alles möglich und die Zeit ist aufgehoben. Hase und weißes Kaninchen sind also Symbole für die Zeit, auch Symbole für den Übergang von der normalen Alltagswelt mit ihrer Vergangenheit, ihrer Gegenwart und ihrer Zukunft hin zur verrückten, surrealen Welt des fantastischen Wunderlands mit seinen absurden Regeln oder der häsischen Gleichzeitigkeit des Universums. Ach, guck an – dann scheint es wohl weniger wichtig, ob Hase oder Kaninchen. Gibt es weitere Schnittmengen? Ja. Denn wie in Alice im Wunderland geht es auch in Hasenprosa um individuelles Wachstum, Selbstentdeckung und die Auseinandersetzung mit dem Selbst, der eigenen Vergangenheit und dem eigenen Handeln, dem Abwägen von Entscheidungen, bedenkt man, dass man nicht alleine ist, kein Irrlicht in der Welt, sondern im Miteinander lebt. Und doch geht es auch um die Flucht in die Fantasie, weg von der Realität. Es folgt ein Verwischen der Grenzen von biografischer Realität und Fiktion durch das Erzählen von Geschichten, das Erzählen von der eigenen Identität, von Unsicherheiten, Rückblicken.

Ist der Hase in Hasenprosa inspiratives Alter-Ego oder geliebtes Kuscheltier?

Das fragte ich mich. Hat nicht jeder Mensch irgendwann in seinem Leben mindestens im Säuglingsalter ein geliebtes Stofftier besessen? Die Erzählerin gibt an: „[A]ber einen Hasen habe ich wirklich im Bett.“ (S. 61) Ich hatte eine Ente – das hatte nachhaltige Folgen. Jedenfalls – an solche geliebten, vollgeschnodderten, vom übermäßigen Geknuddel und Gedrücke entstellte Plüschis sind Erinnerungen geklebt. Die Viecher sind überall dabei! Müssen mit. So ist es auch beim Hasen, der die Autorin Slash Erzählerin Maren auf dem Hasen-Roadtrip durch das Zeit-Raum-Gefüge der hasenprosaischen Welt begleitet. Wie kam ich auf meine Theorie des Plüschhasenkonstrukts:

„Ich lege meine Notizhefte auf die gesammelte Mayröcker-Prosa, sie sollen über Nacht sich unterhalten, ich drapiere den Hasen in meinem Bett, seine schlotterlangen Arme, Beine und ellenlangen Ohren jeden Morgen je nach Stimmung, bevor ich mich an die Texte setze […]. (S. 117) Hatte ich ein Bild im Kopf.

Der Hase als inspiratives Erzähler Alter-Ego

„Insgeheim, meine ich, ist der Hase der Meister von allem gewesen. Er wusste Bescheid.“ (S. 12). Mit ihm „auf der Rückbank in einem traktorähnlichen Leihwagen durch eine Gegend […], die Hollywood war oder eine abgewrackte Traumfabrik“ (S. 13) ist die Erzählerin scheppernd unterwegs. Und mal dachte ich, neben vielem anderen, der Hase sei Inspiration, die Stimme des Anstoßes zum Schreib-Dein-Ding aka Buch! Etwa, wenn er im Gespräch mit der Erzählerin sagt, sie müsse ihr Verflochtensein mit dem Schreiben schützen (S. 73). Oder der Faden, der rot ist im Volksmund, wobei die Farbe doch scheißegal ist, weil der Sinn des Fadens Farbe sein kann, aber meist weniger Farbe ist, sondern die Verbindung selbst darstellt, das Interreferenzieren zwischen allem, was es gibt. Weil die Erzählerin letztlich den Faden vom Hasen übernimmt (S. 148) und weitererzählt, was mit dem Hasen, durch den Hasen, über den Hasen mit der Prosa vom Hasen begann und zu Hasenprosa wurde – dem Buch, dem Text, aus dem ich neben vielen anderen am Mittwoch einen Abschnitt zu hören gelesen bekomme. Hase und Erzählerin erzählen am Faden entlang, einem Erzählfaden so dick wie die Zeit und so vernetzt wie die Welt.

Zur Als-ob-Fiktion in Hasenprosa

Der Begriff Als-ob-Fiktion, der stammt übrigens aus Hasenprosa. Bevor ich etwas zur Als-ob-Fiktion zitiere, geht es kurz thematisch um die Vernetztheit im Roman. Neben all den intermedialen und intertextuellen Verflechtungen gibt es nämlich Erinnerungsmotive, die wie kleine Inseln variationsreich in den Text eingeflochten sind und das Netz-Text-Werk aus Welt, Historie, Wörtern, Hase und Autorin vervollständigen. Löwenmaul, Donnerkeil, der lila Himmel, die nasse Bluse – sie und andere dieser Wortinseln begegnen den Leserinnen und Lesern bei der Lektüre hier und da erneut, sie blitzen auf im Text. Ein Wimmelbild für literarische Seelen. Das lässt aufhorchen und macht Spaß bei dem sonst vielleicht fremd anmutenden Spaziergang durch literarische Welten, musikalische Ergüsse, erklärende Definitionen, dem Näherkommen ans Leben der Erzählerin inmitten der Weltgeschichte, von der jeder ein Stück abbekommen hat – so oder so. Vielleicht fragt sich ja jemand: Kenne ich das nicht auch?

Reflexionen zur Als-ob-Fiktion in Hasenprosa

Ich erwähnte, dass es in Hasenprosa auch die Reflexion, die Auseinandersetzung mit dem eigenen Handeln, auch dem Schreibakt an sich geht, der Frage: Was darf ich schreiben von mir und anderen? Die Autorin reflektiert über „die Penetranzen und Hyperpräsenzen von Biografie und Autofiktion hin und her wälzend, wuchtend“ (S. 109) eben darüber:

„So – wie viel erzählst du, von den Leuten in deiner Familie? Was wählst du aus, wie formst du das? Führst du deinen Opa, Bruder vor, und wenn du’s noch so gut meinst, mit noch so vollem Herzen? Ja. Und darfst du das, wer sagt, du darfst, und willst du das? Weshalb fühlen sich Zugriffe auf nahezu jede Art von Realität, Biografie, Betrieb und Weltgeschehen jenseits aller hasenhaft verpulten Rahmenhandlung anmaßend, wie ein Übergriff, ein Benutzen mindestens an? Stehst du, frage ich mich, nein, ich frage mich, steh ich nicht eigentlich, diese Personen, Weltausschnitte beschreibend, Analogien, Zusammenhänge erzeugend, wie mit der Sprühdose vor einer Mauer, mit tief in die Stirn gezogener Kapuze, nachts, rasch, linkisch und praktisch ohne Licht vorgehend, im Wissen, dass alle Schrift, jedes Zeichen auf diesem Hintergrund Zugabe ist, überzählig und hoffnungslos unvollständig, weil mein Hintergrund schon gelebt hat und parallel zu meinen nächtlichen Versuchen (I Schmierage, Vandalismus) weiter existiert, haltlos und voller, lebendiger und ganz anders, als ich kritzle, schnitzel, schreibe denn in dem Maße, in dem der Grund nicht sauber ist, hat Roland Barthes ja längst gesagt, ist er fürs Denken unpassend (im Gegensatz zum weißen Blatt des Philosophen) und daher sehr passend für den Rest (die Kunst, die Trägheit, der Trieb, die Sinnlichkeit, die Ironie, den Geschmack: alles, was der Intellekt als ästhetische Katastrophen empfinden mag), und also für den Stoff, aus dem zum Beispiel mein Familiengraffiti, die Wandleute, Wandverwandtschaften hier gemacht sind – meinerseits, meine ich, rein meinerseits, eigenhändig, verhuscht und nächtlich, ohne viel Licht, aber voller Absicht. Weil ich sie, wenn ich schlicht bin, gerade einfach brauche, gegen die Konkretation der Zumutungen, die randalierenden Infrastrukturen, oder weil der um seine Federn trauernde Kauz in mir danach ruft, rufe ich, bei aller grundlegenden, gleichzeitigen, sonst herrschenden Skepsis gegenüber den meisten Sorgen, Rudel, Sippen oder Schulen. Wenn ich an der Wandverwandtschaft oder der Jetztwelt, Gegenwart, diesem großen hohlen, viel zu vollen Zustand und den Unwuchten, krummen Traumfabriken meines eigenen Kleinlebens schreibe, habe ich kein weißes Blatt, Roland, verstehst du, und dann denk ich nicht, nicht dominant, ich scribble.
Ja genau, sagt Roland Barthes.
Ja ja genau!, ruft Jule, aber fand du ja nicht auch an, Anfangsbuchstaben für Namen zu nehmen, Marotte!, ruft sie, dieser um sich greifende, grassierende, dieser leidige Initialenwahn!
Niemals!, rufe ich zurück.
Gut!, ruft Jule, das geht mir nämlich so sehr auf die Nerven, diese Als-ob-Fiktion, vermaledeite.
(S. 109-110)

Das lasse ich mal so stehen.

Autofiktion, Biografie, Fiktion – Definitionen der Literaturwissenschaft

Autofiktion, Fiktion, Biografie – was hat es damit auf sich? Bevor ich hier Fachbegriffe fachgerecht erläutere, will ich mich an eine umgangssprachliche Deutung wagen: Die Biografie schreibt jemand anders über eine Person, die Autobiografie schreibt diese Person selbst. Fiktion ist fingiert, fiktionale Geschichten sind fingierte Geschichten über fingierte Personen – die heißen in der Literaturwissenschaft Figuren. Fingiert ist gleich erfunden ist gleich gestellt. Und Autofiktion – das ist gerade voll im Trend – das ist das fingierende Spiel mit der Autobiografie, den Fakten des realen Autoren-Ichs und erfundenen Sachverhalten, die in einem narrativen Rahmen stimmig zueinander in Beziehung gesetzt werden, häufig noch mit politischen, gesellschaftlichen und sozialen Bezügen aus dem Weltgeschehen, die allesamt aber stimmen, nicht bis kaum fingiert sind (denn immerhin, woher soll jemand wissen, was wirklich der Wahrheit entspricht, sofern man doch jemand völlig anderer ist und nicht dabei war?)

Das mit der Autofiktion ist interessant. Darum hier zwei Linktipps:

Deutschlandfunk: Literaturgattung Autofiktion

NDR: Pro und Kontra zur Autofiktion

Was ist eine Autobiografie in der Literaturwissenschaft?

Das Reallexikon der Literaturwissenschaft weiß zum Begriff der Autobiografie Folgendes zu erörtern:

„Eine Autobiographie ist ein nichtfiktionaler, narrativ organisierter Text im Umfang eines Buches, dessen Gegenstand innere und äußere Erlebnisse sowie selbst vollzogene Handlungen aus der Vergangenheit des Autors sind. Diese werden im Rahmen einer das Ganze überschauenden und zusammenfassenden Schreibsituation sprachlich so artikuliert, daß sich der Autobiograph sprachlich handelnd in ein je nach Typus verschiedenes (rechtfertigendes, informierendes, unterhaltendes u. a.) Verhältnis zu seiner Umwelt setzt.“[1]

Was hat es mit der Fiktion in der Literaturwissenschaft auf sich?

Bei einer Fiktion handelt es sich um einen erfundenen oder fingierten Sachverhalt oder eine Zusammenfügung solcher Sachverhalte zu einer erfundenen Geschichte. Das Reallexikon der Literaturwissenschaft unterscheidet im entsprechenden Artikel noch zuwischen dem Dasein und Sosein sowie der Präsentation. Es gibt Figuren, die Bewohner der fingierten Welt, die ebenfalls fingierte Personen darstellen und es gibt Beschreibungen und Handlungszusammenhänge, die ebenfalls fingiert sind.

„(1) Dasein: Jemand kann so sprechen, als ob er über bestimmte Personen und Objekte redet, obwohl diese gar nicht existieren.

(2) Sosein: Jemand kann so sprechen, als ob ein bestimmter Sachverhalt (zwischen als existierend anerkannten Objekten) besteht, obwohl dieses gar nicht der Fall ist.

(3) Präsentation: Jemand kann so sprechen, als ob er einen Sachverhalt in bestimmter Weise präsentiert (z. B.: behauptet), obwohl er dieses gar nicht tut.“[2]

Was ist eine Autofiktion in der Literaturwissenschaft?

„Eine ›Autofiktion‹ ist ein Text, in dem eine Figur, die eindeutig als der Autor erkennbar ist (durch den gleichen Namen oder eine unverkennbare Ableitung davon, durch Lebensdaten oder die Erwähnung vorheriger Werke), in einer offensichtlich (durch paratextuelle Gattungszuordnung oder fiktionsspezifische Erzählweisen) als fiktional gekennzeichneten Erzählung auftritt. In einer weiten Definition versteht man darunter Erzähltexte, die sich selbst zur Fiktion erklären – z. B. durch die Gattungsbezeichnung ›Roman‹-, in denen jedoch der Autor als Figur auftritt; in einer engen Definition Erzähltexte, die dem Leser sowohl den autobiografischen Pakt als auch den Fiktionspakt anbieten.“[3]

Darüber hinaus unterscheidet Frank Zipfel in seinem Lexikonbeitrag zwischen drei Arten von autobiografischem Schreiben. Erstens, die „›Autofiktion‹ als besondere Art autobiografischen Schreibens. Manche als ›Autofiktion‹ bezeichneten Texte befolgen den ›autobiografischen Pakt‹, also die Verpflichtung des Autors nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit über sein Leben zu erzählen, verwenden dabei jedoch Erzähltechniken, die in der Regel dem fiktionalen Erzählen vorbehalten sind.“[4]

Zum Zweiten die „›Autofiktion‹ als besondere Art des fiktionalen Erzählens. Der frz. Literaturwissenschaftler Genette versteht unter ›Autofiktion‹ fiktionale Texte, in denen der Autor unter dem eigenen Namen in das fiktionale . Universum seiner Erzählung eintritt. Im fiktionalen Universum einer Erzählung kommt also eine fiktive Figur vor, die den Namen des Autors trägt und möglicherweise ein paar Persönlichkeitsmerkmale mit ihm teilt.“[5]

Und zum Dritten die „›Autofiktion‹ als Kombination von autobiografischem Pakt und Fiktionspakt. Die frz. Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Darrieussecq vertritt einen engen Begriff von ›Autofiktion‹. Wirkliche Autofiktionen sind nach ihrer Ansicht nur Texte, die den Leser im Unklaren darüber lassen, ob es sich um eine autobiografische oder um eine fiktionale Erzählung handelt. Autofiktionen zeichnen sich dann da durch aus, dass dem Leser sowohl der autobiografische Pakt, also die Verpflichtung des Autors gegenüber dem Leser, nur tatsächliche Fakten des Lebens darzustellen (vgl. Lejeune), als auch der Fiktions-Pakt, also die Versicherung, dass es sich um eine erfundene Geschichte ohne direkten Bezug zu wirklichen Ereignissen handelt, angeboten wird.“[6]

Ich glaube ja sowieso nicht, dass diese Definitionen jemand liest. Aber es ist doch total spannend, wenn man sie in Beziehung zum Gelesenen setzen kann?! Wie bei Hasenprosa!

Beschluss zu Hasenprosa

Der Hase ist Begleiter, Fragender, Reflexionsmotivator, Kritiker, Freund, Beifahrer, Aufbruchskünstler, Erörterungsgenie, Freudianischer Tiefseelentaucher, Igelstupser, Lollilutscher, Wissender, Weiser, Vertrauter und was sonst nicht noch. Ich bin gespannt, was die Autorin bei der Lesung in Hamburg zum Hasen und seiner Ontologie sagt. Vielleicht ist sie ja auch bei der Bremer Blind-Date-Lesung am kommenden Samstag. Dort könnte ich direkt selbst nachfragen. Das bleibt aber noch Überraschung, wer da kommt. Und zuletzt: Maren Kames‘ Hasenprosa überzeugt durch kreative Klangkreationen, komplexe Kompositionsnarrative und kraftvolle Klangkunst, die konventionelle Konzepte konsequent konfrontieren. Bis dahin – fröhliches Buchstabenmümmeln!

Verwendete Literatur

Gabriel, Gottfried: Fiktion. In: RLW 1. HG. von Klaus Weimar. Berlin/New York 2007, S. 594-598.
Lehmann, Jürgen: Autobiographie. In: RLW 1. HG. von Klaus Weimar. Berlin/New York 2007, S. 169-173.
Maren Kames: Hasenprosa. Berlin 2024.
Zipfel, Frank: Autofiktion. In: Handbuch der Literarischen Gattungen. Hg. von Dieter Lamping. Stuttgart 2009, S. 31-36.


[1] Lehmann, Jürgen: Autobiographie. In: RLW 1. HG. von Klaus Weimar. Berlin/New York 2007, S. 169-173, hier S. 169. [2] Gabriel, Gottfried: Fiktion. In: RLW 1. HG. von Klaus Weimar. Berlin/New York 2007, S. 594-598, hier S. 595. [3] Zipfel, Frank: Autofiktion. In: Handbuch der Literarischen Gattungen. Hg. von Dieter Lamping. Stuttgart 2009, S. 31-36, hier S. 31-33. [4] Ebd. S. 32. [5] Ebd. S. 33. [6] Ebd.

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