Das Jesus Video – Andreas Eschbachs Science-Fiction-Thriller über Zeitreisen und Glauben

Andreas Eschbach: Das Jesus Video. Augsburg 1998.

Zuletzt bearbeitet am 24. Dezember 2025

Ich habe Das Jesus Video von Andreas Eschbach in meinen Adventskalender gerade für den 24. Dezember in meinen Adventskalender aufgenommen, weil ich das Buch aus mehreren Gründen sehr passend für diesen Tag finde. Der bereits 1998 erschienene Thriller verwebt Archäologie, Religion und Wissenschaft miteinander und zählt zu einem der erfolgreichsten deutschsprachigen Science-Fiction-Bücher. Er begeistert bis heute Leserinnen und Leser auf der ganzen Welt – trotz der Tatsache, dass Videos als veraltetes Medium gelten.

Andreas Eschbach: Das Jesus Video. Augsburg 1998.
Mein Exemplar ist schon sehr zerlesen: Andreas Eschbach: Das Jesus Video. Augsburg 1998.

Eschbach erzählt eine packende Geschichte, die zum Nachdenken anregt und gleichzeitig spannend unterhält. Was bedeutet Glauben für jeden einzelnen von uns? Inwiefern sind religiöse Institutionen am Bewahren christlicher Traditionen beteiligt? Mit welchen Mittel lenken sie die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit? Und was kann wahrer Glauben im Leben eines Menschen bewirken? Das Jesus Video ist bis heute eines der Bücher, die ich am meisten gelesen habe – darum sieht es auch so abgegrabbelt aus. Und so wie es mir einst empfohlen wurde, möchte ich es weiterempfehlen.

2014 erschien mit Der Jesus-Deal eine direkte Fortsetzung von Das Jesus Video, in der die Geschichte konsequent weitergedacht wird. Zu diesem Roman kann ich persönlich allerdings nicht sagen, da ich ihn nicht gelesen habe. Es geht in der Fortsetzung aber mit den bekannten Figuren weiter.

Das Jesus Video ist lesenswert, weil…

👉 es eine brillante Verbindung von historischen Fakten und spekulativer Fiktion schafft, die von der ersten bis zur letzten Seite in ihren Bann zieht.

👉 die im Erzählszenario aufgeworfenen philosophischen und theologischen Fragen zum Nachdenken anregen und zu Diskussionen über Glauben, Wissenschaft und Wahrheit inspirieren.

👉 die Figuren komplex und vielschichtig sind, sodass man mit ihnen mitfiebert und ihre moralischen Dilemmata nachvollziehen kann.

👉 die Handlung geschickt konstruiert ist und mit überraschenden Wendungen aufwartet, ohne dabei zu wirken.

👉 es zeigt, wie gute Science-Fiction auch tiefgründige Fragen über die menschliche Existenz abseits profaner Unterhaltungsliteratur stellt.

Ein kleiner Vorgeschmack auf Das Jesus Video

Kaun mischte sich wieder ein. »Wir denken, daß kein Betrug im Spiel ist. Ich schlage vor, ich zähle Ihnen alles auf, was wir momentan als gesichert annehmen, und sage Ihnen dann, welchen Schluß wir daraus ziehen. Und Sie sagen uns dann, was Sie davon halten.«

»Das klingt sinnvoll.«

»Erstens «, zählte der Medienzar auf, wobei er den ersten Finger der rechten Hand abspreizte und begann, auf und ab zu gehen, »die Schicht, in der das Skelett gefunden wurde, ist zweitausend Jahre alt und bei der Ausgrabung unverletzt gewesen. Zweitens, der Beutel besteht aus einem Material, das hierzulande vor zweitausend Jahren verwendet wurde, heute aber nirgendwo mehr zu finden ist. Drittens, das Material des zweiten Beutels ist eindeutig Plastikfolie; es scheint sich durch einen noch unbekannten Einfluß verfärbt zu haben. Viertens, auch das Papier, auf das die Betriebsanleitung gedruckt ist,scheint sehr alt zu sein, so seltsam sich das anhört. Wir werden veranlassen, daß alle Materialien – Stoff, Papier, Knochen – mit Hilfe der Radiokarbonmethode datiert werden; das wird jedoch noch einige Zeit dauern.«

»Übrigens haben wir«, fügte der Professor hinzu, »in den Zähnen des Schädels Amalgamfüllungen entdeckt. Für Zahnfüllungen wurde Amalgam erstmals 1847 in Frankreich verwendet.«

»Eine verlorengegangene Erfindung?«

»Nein. Der Tote hat zwei fachmännisch ausgebohrte und verplombte, ansonsten aber eine Menge gräßlich kariöser Zähne; viele fehlen auch. Wenn es im Jahr 50 einen so fortschrittlichen Zahnarzt gegeben hätte, wäre er wieder hingegangen.«

Eisenhardt atmete seufzend aus, verschränkte die Arme hinter dem Rücken, ging ein paar Schritte, drehte dann wieder um und ging denselben Weg zurück, blieb vor dem Grab stehen und sag auf die halb freigelegten Knochen hinab. Es roch nach heißem Staub. Der Schädel glänzte im Licht der Deckenlampen, nur die Augenhöhlen warfen dunkle Schatten.

»Sie denken, es ist ein Zeitreisender, nicht wahr?«

Einen Herzschlag lang Stille, dann hörte er John Kaun auflachen.

»Sehen Sie?« rief der dem Professor zu. »Was habe ich gesagt? Für einen Science Fiction-Schriftsteller ist das ein Kinderspiel. Wo wir uns die Köpfe heiß denken, schaut er einmal

hin und – zack, weiß er, was los ist!« Er klatschte in die Hände wie ein Kind, aber nicht einmal das sah lächerlich aus bei ihm, sondern bedrohlich. Eisenhardt spürte, wie sich etwas in seinem Magen verkrampfte.

»Das ist also Ihre archäologische Sensation«, meinte er.

»Das Skelett eines Zeitreisenden.«

Kaun hielt inne.

»Nein«, sagte er, in einem Tonfall, als werde ihm jetzt erst klar, daß Eisenhardt das Wichtigste noch gar nicht verstanden hatte. »Das ist noch nicht die Sensation.«

»Sondern?«

»Überlegen Sie doch«, forderte der Mann im dunkelblauen Anzug ihn auf. »Ein Zeitreisender. Mit einer Videokamera.«

Eisenhardt starrte ihn an. Er begriff.

»Oh, mein Gott«, entfuhr es ihm.

Kaun lächelte wölfisch. »Ja … was kann der wohl gewollt haben vor zweitausend Jahren?«

Aus: Andreas Eschbach: Das Jesus Video. Augsburg 1998, S. 66-67.

Eine kurze Zusammenfassung von Das Jesus Video

Bei archäologischen Ausgrabungen in Israel findet der junge IT-Unternehmer Stephen Foxx das Skelett eines Mannes aus dem ersten Jahrhundert entdeckt. Ungewöhnlich an dem Fund ist die Plastikverpackung und die beiliegende moderne Bedienungsanleitung für eine Videokamera, die noch gar nicht auf dem Markt ist. Der Fund ruft neben dem Medienmagnaten John Kaun auch die Kirche auf den Plan, wobei auch Foxx sich auf die Suche nach dem Verbleib des Videos macht. Denn immerhin muss es eine Kamera mit Aufnahmen geben, Aufnahmen von Jesus Christus. Foxx macht sich auf die Suche nach diesem mysteriösen Video, das möglicherweise bestimmte Ereignisse der Bibel zeigt, die vielleicht sogar die Kreuzigung. Der Science-Fiction Autor Peter Eisenhardt wird von Kaun engagiert, um mögliche Szenarien um den Fund und das Thema Zeitreisen zu erörtern. Als einer der führenden Medienunternehmer ist Kaun besonders an dem Video interessiert. Es beginnt ein spannender Wettlauf um den Fund des Videos, der die Figuren zurück in die Geschichte Jerusalems mit seinen historischen Orten führt und theologische Fragen aufwirft.

Über den Autor Andreas Eschbach

Andreas Eschbach, geboren 1959 in Ulm, ist einer der bekanntesten deutschen Science-Fiction-Autoren. Nach einem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik arbeitete er zunächst als Software-Entwickler, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete.

Eschbachs literarischer Durchbruch gelang 1998 mit Das Jesus Video. Das Buch wurde nicht nur zum Bestseller, sondern erhielt auch den renommierten Deutschen Science Fiction Preis und machte Eschbach über die Grenzen Deutschlands hinaus bekannt. Der Roman wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und sogar als Fernsehfilm adaptiert.

Zu bekannten Werken zählen Eine Billion Dollar (2001), Der letzte seiner Art (2003), Ausgebrannt (2007) und auch Herr aller Dinge (2011). Sein Roman NSA – Nationales Sicherheits-Amt (2018) verlegt das Überwachungssystem der NSA ins Nazi-Deutschland und wurde kontrovers diskutiert. Mit GIER (2022) lieferte er einen dystopischen Thriller über künstliche Intelligenz und Überwachungskapitalismus.

Eschbachs Werke zeichnen sich durch akribische Recherche, vielschichtige Figuren und komplexe Handlungsstränge aus. Er verbindet technische und wissenschaftliche Konzepte mit philosophischen und ethischen Fragestellungen, sodass sie einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Dabei stellt er auch unbequeme Fragen, die zum Nachdenken anregen. Für sein Gesamtwerk wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Kurd-Laßwitz-Preis, dem wichtigsten deutschen Science-Fiction-Preis, den er bereits mehrfach erhielt.

Zum Genre Science-Fiction

Wer den Begriff Science-Fiction hört, denkt oft an Aliens, Raumschiffe und fremde Planeten. Dabei bietet das Genre so viel. Oftmals sind wissenschaftliche oder technologische Spekulationen Ausgangspunkt für die Erörterung grundlegender Fragen über die menschliche Existenz, Gesellschaft und die Zukunft. Insofern dienen Science-Fiction-Stories als Gedankenexperimente, die sich durchaus an realen Szenarien orientieren und diese weiterdenken: Was wäre, wenn eine bestimmte Technologie existieren würde? Welche Konsequenzen hätte das für den Menschen und die Gesellschaft? Wie könnte unsere Welt in 50 Jahren aussehen? Insofern erlaubt das Genre den fiktionalen Rückgriff auf aktuelle gesellschaftliche, ethische oder philosophische Debatten, wobei die Szenarien in einem spekulativen Rahmen untersucht werden. Dabei unterhalten sie und regen zugleich zu kritischem Denken an.

Das Science-Fiction-Genre hat seine Wurzeln im 19. Jahrhundert. Zu den frühesten und bekanntesten Vertretern gehören Autoren wie Jules Verne und H.G. Wells. Mittlerweile haben sich auch viele Subgenres entwickelt, zu denen beispielsweise Hard Science-Fiction (mit Fokus auf wissenschaftliche Genauigkeit), Cyberpunk, Space Opera oder eben Zeitreise-Geschichten wie Eschbachs Jesus Video zählen. Insofern ist der Roman ein gutes Beispiel dafür, wie das Genre religiöse und wissenschaftliche Perspektiven in einen spannenden Dialog bringen kann.

Katrin Beißner

Bildquellen

  • Jesus Video: Andreas Eschbach: Das Jesus Video. Augsburg 1998.

Worum geht es?

Dieser Blog dient dem Interpretieren von Literatur, Filmen und Kunst, individuellen Erfahrungen und der Realität. Die Analysen und Interpretationen erfolgen als Gedankenexperimente im Rahmen einer Beschäftigung mit dem Erzählen, literarischen Figuren, historischen Personen sowie realen Menschen unter Anwendung literaturwissenschaftlicher Theorien und Methoden.

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