Tür 17 – Der Weihnachtsabend: Eine Geistergeschichte von Charles Dickens

Hinter Tür 17 steckt der allseits bekannte Klassiker Der Weihnachtsabend von Charles Dickens.

17. Dezember – Literarischer Weihnachtskalender 2024

Hinter Tür Nummer 17 verbirgt sich mit Der Weihnachtsabend: Eine Geistergeschichte von Charles Dickens ein weiterer Klassiker. Man kennt die Geschichte auch als Die Geister der Weihnacht bzw. ist vielen auch der Name Scrooge geläufig. Der kaltherzige Geschäftsmann Ebenezer Scrooge wird von dem Geist der Vergangenheit, dem Geist der Gegenwart und dem Geist der Zukunft aufgrund seines unbarmherzigen Lebensstils heimgesucht. Und immerhin ist auch die Verfilmung Die Geister, die ich rief von 1988 mit Bill Murray alle Jahre wieder zu sehen – ähnlich wie Dinner for One. Viele kennen aber gar nicht die Originalgeschichte von Charles Dickens, die erstmals bereits 1843 veröffentlicht wurde. Darum – und weil das Thema eben passt – gehört Der Weihnachtsabend: Eine Geistergeschichte in diesen literarischen Adventskalender.

Der Weihnachtsabend: Eine Geistergeschichte von Charles Dickens ist lesenswert, weil …

👉 der Text eine zeitlose Botschaft über Mitgefühl, Nächstenliebe und persönliche Veränderung vermittelt.
👉 es uns daran erinnert, wie wichtig es ist, Verantwortung für unser Handeln zu übernehmen.
👉 die Geschichte zeigt, dass es nie zu spät ist, sein Leben zum Positiven zu verändern.
👉 die drei Geister uns dazu inspirieren, unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kritisch zu betrachten.
👉 sie eine eindringliche Kritik an sozialer Ungleichheit im Gewand einer fesselnden Geschichte liefert.
👉 die Erzählung durch ihre dichte Atmosphäre und pointierten Figuren einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
👉 sie uns ermutigt, über die Werte nachzudenken, die wirklich zählen.

Ein Vorgeschmack auf Der Weihnachtsabend: Eine Geistergeschichte

Scrooge fiel auf die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. „Gnade!“ rief er, „furchtbare Erscheinung, warum verfolgst du mich?“
„Du weltlich gesinnter Mensch“, erwiderte der Geist, „glaubst du an mich oder nicht?“
„Ich glaube an dich“, sagte Scrooge, „ich muß es ja! Aber warum gehen Geister auf Erden um und warum kommen sie zu mir?“
„Von jedermann wird verlangt“, entgegnete der Geist, „daß seine Seele mit seinen Mitmenschen wandle weit und breit und teilnehme an ihnen; und wenn sie dies zu Lebzeiten nicht tut, so ist sie verurteilt, durch de Welt zu wandern und zuzusehen – oh, weh mir! – wo sie nicht mehr helfen kann, doch hätte helfen können und Glück bringen, als sie noch auf Erden war.“
Wiederum stieß das Gespenst einen Schrei aus, schüttelte seine Ketten und rang seine geisterhaften Hände.
„Du bist gefesselt“, sagte Scrooge zitternd, „sag mir, warum?“
„Ich trage die Kette, die ich mir im Leben geschmiedet habe“, antwortete der Geist, „Glied um Glied und Elle um Elle habe ich sie gemacht. Freiwillig habe sich sie um mich  geschlungen und aus freiem Willen habe ich sie getragen. Erscheint sie dir fremd?“
Scrooge erzitterte mehr und mehr.
„Oder willst du wissen“, fuhr der Geist fort, „wie schwer und lang di Fessel ist, die due selber trägst? Sie war vor sieben Weihnachten genau so schwer und lang wie diese hier. Du hast seitdem weiter an ihr gearbeitet. Es ist eine gewichtige Kette!“
Scrooge schielte auf den Boden hinunter, in der Erwartung, sich von einem fünfzig oder sechzig Faden langen Eisenkabel umgeben zu sehen, doch er konnte nichts erblicken.
„Jakob“, sagte er flehentlich, „alter Jakob Marley, erzähl mir mehr. Sprich mir Trost zu, Jakob!“
„Ich habe keinen zu vergeben“, antwortete der Geist, „der kommt aus andern Regionen, Ebenezer Scrooge, und wird von andern Boten überbracht und an eine andere Art von Menschen. Auch darf ich dir nicht sagen, was ich möchte. Nur ein Weniges noch ist mir erlaubt. Ich kann nicht rasten und nicht ruhen und kann nirgends verweilen. Mein Geist ging niemals hinaus über unser Kontor – merk wohl auf! –, im Leben schweifte meine Seele niemals über die engen Grenzen und Schacherhöhle hinaus; und mühselige Wanderungen liegen nun vor mir.“
Scrooge hatte die Gewohnheit, wenn er nachdenklich wurde, die Hände in die Hosentaschen zu stecken. Dem nachgrübelnd, was der Geist gesagt hatte, tat er dies auch jetzt, doch ohne aufzublicken oder sich von den Knien zu erheben.
„Da mußt du aber schon lange dahinterher sein“, bemerkte Scrooge geschäftsmäßig, wenn auch voll bescheidener Ehrerbietung.
„Eine lange Zeit“, sagte der Geist.
„Sieben Jahre tot, und die ganze Zeit auf Reisen“, grübelte Scrooge.
„Die ganze Zeit über“, sagte der Geist, „keine Rast, keinen Frieden. Unaufhörliche Qualen der Reue. […]
Oh, gefangen, gefesselt und zweifach in Eisen geschlossen“, schrie das Gespenst, „oh, und nicht gewußt zu haben, daß noch lange Zeiten ununterbrochener Bemühungen unsterblicher Wesen vergehen müssen, ehe all das Gute, das auf Erden möglich ist, sich enthalten kann. Ich, nicht gewußt zu haben, daß jeder christlich Gesinnte, der liebreich in seinem kleinen Kreise wirkt, was immer es sei, das irdische Dasein zu kurz finden wird, gegenüber den den weiten Möglichkeiten Gute s zutun. Oh, nicht gewußt zu haben, daß keine noch so bittere Reue die ungenützten Gelegenheiten eines Lebens wiedergutmachen kann. Aber so ging es mir! O ja, so war ich!“
„Aber du warst doch immer ein guter Geschäftsmann, Jakob“, stammelte Scrooge, der nun anfing, all diese auf sich zu beziehen.“ Geschäft, schrie der Geist und rang wieder die Hände. „Die Menschlichkeit hätte mein Geschäft sein sollen. Das allgemeine Wohl, Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Nachsicht und Gutes tun, das alles hätte mein Geschäft sein sollen. Meine Tätigkeit als Kaufmann hätte nur ein Tropfen in dem Meer meiner Geschäfte sein sollen!“
[…]
Mit Entsetzen hörte Scrooge das Gespenst in dieser Weite fortfahren und er zitterte immer heftiger.
Aus: Dickens, Charles: Der Weihnachtsabend. Ein Weihnachtslied in Prosa oder Eine Geistergeschichte zum Christfest. Übersetzung von Trude Geissler. Nachwort von Richard Mummendey. Stuttgart 1954, S. 26-29.

Zusammenfassung der Handlung von Der Weihnachtsabend: Eine Geistergeschichte

Der Weihnachtsabend: Eine Geistergeschichte (im Original A Christmas Carol) ist eine der bekanntesten Erzählungen von Charles Dickens. Es handelt sich um eine Kurzgeschichte, die zu einem klassischen Bestandteil der Weihnachtsliteratur wurde und auch in zahlreichen Verfilmungen und Theaterstücken adaptiert wurde. Dickens verpackt zentrale Themen wie Menschlichkeit, Mitgefühl und die Bedeutung von Nächstenliebe in eine Weihnachtsgeschichte und nutzt die Angst vor der Sterblichkeit seines Protagonisten zur Reflexion der Leserinnen und Leser.

Ebenezer Scrooge ist ein geiziger, hartherziger, fieser alter Mann, der in Grinch-Manier Weihnachten verachtet und niemandem Freude oder Wohlwollen entgegenbringt. Als erfolgreicher Geschäftsmann ist sein gesamtes Leben dem Streben nach Macht und Geld gewidmet. Daher lebt er einsam und hat weder Freunde, noch Familie. In der Nacht vor Weihnachten wird Scrooge von den Geistern der Weihnacht heimgesucht. Der Geist seines verstorbenen Partners Jacob Marley dient ihm als warnendes Beispiel für sein eigenes mögliches Schicksal, wenn er sein Leben nicht zum Besseren wandelt. Der Geist der vergangenen Weihnacht führt Scrooge in seine eigene Kindheit und Jugend zurück, wo der alte Mann sich selbst als jungen Menschen erlebt, der Liebe und Freundschaft erfahren hat. Durch Gier und Selbstsucht hat er diese menschlichen Beziehungen verloren. Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht zeigt, wie Scrooges hartherziges Verhalten seine Mitmenschen im Jetzt beeinflusst. Der Geist der zukünftigen Weihnacht zeigt Scrooge eine düstere Zukunft, in der er als einsamer, vergessener Mann stirbt, dessen Tod niemanden kümmert. Scrooge erkennt, wie wichtig Mitgefühl und Großzügigkeit sind, ändert sein Leben und wird zu einem geliebten und respektierten Mann in der Gemeinschaft.

Warum ist die Weihnachtsgeschichte von Dickens zeitlos gut?

Die Geister der Weihnacht spricht Menschen aufgrund der zeitlosen Themen wie Geiz und Selbstsucht, Nächstenliebe, Familie und gesellschaftliche Verantwortung auf emotionaler und moralischer Ebene an. Die Geschichte zeigt, dass Veränderungen und Reue jederzeit für jeden Menschen möglich sind, wenn man sich darauf einlässt. Dickens vermittelt die genannten komplexen sozialen und moralischen Themen in einer einfachen Geschichte, die sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht. Die zahlreichen Adaptionen zeigen, dass die Essenz der Geschichte in allen möglichen Varianten anderes inszeniert werden kann. Die Kurzgeschichte ist ein Klassiker, weil sie aufgrund der erzählerischen Darstellung Leserinnen und Leser zum Nachdenken anregt und gleichzeitig sehr unterhaltsam ist. Darüber hinaus ist natürlich auf einer breiten Ebene auch Kritik an der gesellschaftlichen Gleichgültigkeit gegenüber Armut sowie egoistischem und materialistischem Verhalten von Menschen in Machtpositionen erkennbar. Gleichzeitig gibt Dickens Hoffnung, dass jeder Mensch sich zu einem mitfühlenderen Menschen wandeln kann.

Über den Autor Charles Dickens

Als englischer Schriftsteller gilt Charles Dickens (1812–1870) gilt als einer der größten Romanciers des viktorianischen Zeitalters. Er wurde in Armut geboren und hatte als junger Mann selbst mit den harten Lebensbedingungen der unteren Gesellschaftsschichten zu kämpfen. Aus dieser Erfahrung heraus, so könnte man annehmen, verfasste er wohl seine sozialkritischen Werke. Zu seinen bekanntesten Romanen zählen Oliver Twist, David Copperfield und A Tale of Two Cities, in denen oft soziale Missstände und die Ungerechtigkeit gegenüber den Armen anprangert werden. A Christmas Carol ist bis heute ein bedeutender Bestandteil der typischen Weihnachtsliteratur.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Worum geht es?

Dieser Blog dient dem Interpretieren von Literatur, Filmen und Kunst, individuellen Erfahrungen und der Realität. Die Analysen und Interpretationen erfolgen als Gedankenexperimente im Rahmen einer Beschäftigung mit dem Erzählen, literarischen Figuren, historischen Personen sowie realen Menschen unter Anwendung literaturwissenschaftlicher Theorien und Methoden.

archive

  • 2024 (76)
  • 2023 (25)

Aktuelle Beiträge