8. Dezember – Literarischer Adventskalender 2024
Hinter Tür Nummer 8 verbirgt sich mit das Das letzte Einhorn von Peter S. Beagle ein Fantasy-Klassiker. Das Buch ähnelt hinsichtlich seiner Struktur den mittelalterlichen Epen und ist angefüllt mit Volklore, Reimen und Versen, welche die Figuren aus ihrer fiktionalen Erinnerung vortragen und die der mythischen Atmosphäre zuträglich sind. Einhörner sind Fabelwesen, unwirklich und ein Symbol für Hoffnung, Liebe, Unschuld, Reinheit. Und doch macht sich dieses letzte Einhorn mutig auf den Weg aus seinem heimatlichen Wald heraus in die unbekannte Welt. Es erfährt, was Mitleid bedeutet, wie sich Trauer anfühlt, welche Wunde Liebe schlagen kann und wie es ist, ein Mensch zu sein.
Das letzte Einhorn von Peter S. Beagle ist lesenswert, weil …
👉 es eine zeitlose Geschichte über Hoffnung, Verlust, Sehnsucht und die Suche nach der eigenen Identität erzählt.
👉 Peter S. Beagle mittels poetischer Sprache eine faszinierende und melancholische Welt erschafft, in der wir viel von dem uns tradierten Wissen erkennen können.
👉 die Schicksale der Figuren – vom Einhorn über Molly Grue, dem Zauberer Schmendrick und sogar König Haggard authentisch und tiefgründig gestaltet sind.
👉 es die Grenzen zwischen Märchen, moderner Literatur, Fiktion und Realität, Wissen und Tradition kunstvoll verschwimmen lässt.
👉 es ein Klassiker der Fantasy-Literatur ist, der Leserinnen und Leser jeden Alters zum Nachdenken und Träumen anregt.
Ein beschreibendes Zitat: Wer ist eigentlich Das letzte Einhorn?
Das Einhorn lebte in einem Fliederwald, und es lebte ganz allein. Es war sehr alt, ohne etwas davon zu wissen, und es hatte nicht mehr die flüchtige Farbe von Meerschaum, sondern eher die von Schnee in einer mondhellen Nacht. Seine Augen aber waren frisch und klar, und noch immer bewegte es sich wie ein Schatten über dem Meer.
Es hatte keine Ähnlichkeit mit einem gehörnten Pferd, wie Einhörner gewöhnlich dargestellt werden; es war kleiner und hatte gespaltene Hufe und besaß jene ungezähmte, uralte Anmut, die sich bei Rehen nur in schüchternscheuer Nachahmung findet und bei Ziegen in tanzendem Possenspiel.
Sein Hals war lang und schlank, wodurch sein Kopf kleiner aussah, als er in Wirklichkeit war, und die Mähne, die fast bis zur Mitte seines Rückens floss, war so weich wie Löwenzahnflaum und so fein wie Federwolken. Das Einhorn hatte spitze Ohren und dünne Beine und an den Fesseln Gefieder aus weißem Haar. Das lange Horn über seinen Augen leuchtete selbst in tiefster Mitternacht muschelfarben und milchig. Es hatte Drachen mit diesem Horn getötet und einen König geheilt, dessen vergiftete Wunde sich nicht schließen wollte, und für Bärenjunge reife Kastanien heruntergeschüttelt. Einhörner sind unsterblich. Es ist ihre Art, allein an einem Ort zu leben, gewöhnlich in einem Wald, in dem es einen klaren Teich gibt, worin sie sich spiegeln können; sie sind nämlich ein wenig eitel, wohl wissend, dass sie auf der ganzen Welt die schönsten Geschöpfe sind, und zauberische obendrein.
Aus: Beagle, Peter S.: Das letzte Einhorn. Aus dem Amerikanischen von Jürgen Schweier. Stuttgart 2024, S. 13-14.
Und hier der Trailer zum Film von 1982
Worum geht es in Das letzte Einhorn von Peter S. Beagle?
In Peter S. Beagles Roman The Last Unicorn erfährt ein Einhorn, dass es möglicherweise das letzte seiner Art ist. Verunsichert, aber entschlossen, macht es sich auf die Suche nach den anderen Einhörnern. Auf seiner Reise trifft es den Zauberer Schmendrick, „das glücklose Wunder“, der zwar Talent besitzt, seine Magie jedoch nicht kontrolliert einsetzen kann und Molly Grue, eine desillusionierte Frau, die einst von Abenteuern träumte. Gemeinsam begegnen sie zahlreichen Gefahren und gelangen schließlich in das Ödland des tyrannischen Königs Haggard. Hier lebt der rote Stier, dessen Gebieter der grausame Herrscher ist. Er trieb die Einhörner einst auf den Befehl Haggards ins Meer, wo er sie zu seiner Unterhaltung ansieht, weil ihn sonst nichts auf der Welt glücklich machen kann. Als der rote Stier das Einhorn bedroht, verwandelt Schmendrick es in eine menschliche Frau, an der der Stier kein Interesse hat. In cognito gelangen sie an den Hof Haggarts und suchen nach einer Lösung zur Befreiung der anderen Einhörner. Diese Verwandlung konfrontiert das einst unsterbliche Einhorn mit neuen Eindrücken, darunter auch Emotionen wie die Liebe zum Prinzen LÃr, König Haggards Sohn. Doch schließlich muss es sich entscheiden, ob es sein Schicksal als Einhorn erfüllen oder ein Mensch bleiben will. The Last Unicorn ist eine bittersüße Geschichte über Verlust, die Vergänglichkeit von Schönheit und die Suche nach dem Selbst.
Peter S. Beagle und sein Werk Das letzte Einhorn
Peter S. Beagle wurde am 20. April 1939 in New York City geboren. Bereits in jungen Jahren begann er zu schreiben und veröffentlichte seinen ersten Roman, A Fine and Private Place mit 19 Jahren. Das letzte Einhorn (1968) zählt zu seinen bekanntesten Werken, das mittlerweile Kultstatus hat. Der Animationsfilm von 1982 brachte die Geschichte einer noch größeren Fangemeinde näher. Neben The Last Unicorn hat Beagle zahlreiche andere Werke geschrieben, darunter A Fine and Private Place, The Innkeeper’s Song und Tamsin. Beagles Werke zeichnen sich durch ihre lyrische Qualität, authentische Figuren und Verbindung von Märchenhaftem mit universellen Themen aus. Sein literarisches Schaffen hat die Fantasy-Literatur nachhaltig beeinflusst, und er wird oft in einem Atemzug mit Autoren wie J.R.R. Tolkien oder Ursula K. Le Guin genannt. Trotz seines Erfolgs kämpfte er stets darum, die Rechte an seinen Werken zu schützen.
Einhörner und Wissen über sie im kulturellen Gedächtnis
Man hat so seine Vorstellungen von Einhörnern. Zum Beispiel kommen sie nur zu Jungfrauen auf eine Lichtung und legen sich schlafend in ihren Schoß. Wen die Geschichte der Einhörner interessiert, für den mag das informative Werk: Das Einhorn. Geschichte einer Faszination von Bernd Roling und Julia Weitbrecht passend sein.
Zitat 1: Das letzte Einhorn und der eigene Bezug zu Märchen
„Warst du noch nie in einem Märchen?“ Die Stimme des Zauberers war freundlich und betrunken, und seine Augen glänzten so hell wie sein neu erworbenes Geld. „Der Held muss eine Prophezeiung erfüllen, und der Bösewicht ist derjenige, der ihn daran hindern muss – obwohl es in einer anderen Art von Geschichte oft umgekehrt ist. Und ein Held muss von dem Moment an, in dem er geboren wird, in Schwierigkeiten sein, sonst ist er kein echter Held. Es ist eine große Erleichterung, etwas über Prinz LÃr zu erfahren – ich habe darauf gewartet, dass diese Geschichte endlich einen Hauptdarsteller bekommt.“
Das Einhorn war plötzlich da, wie ein Stern, der unerwartet am Himmel erscheint, und bewegte sich ein Stück vor ihnen her, wie ein Segel in der Dunkelheit. Molly sagte: „Wenn LÃr der Held ist, was ist sie dann?“
„Das ist etwas anderes. Haggard, LÃr, Drinn, du und ich – wir sind in einem Märchen und müssen dahin gehen, wohin es uns führt. Aber sie ist echt. Sie ist wirklich echt.“
Ãœbersetzt aus: Beagle, Peter S.: The Last Unicorn. London 2008, S. 127-128.
Das letzte Einhorn und die Selbstreferenzialität des Genres
Interessant ist für mich, dass Das letzte Einhorn mit seiner Fiktionalität spielt und die Figuren die Funktionsweise eines Märchens torpedieren. Darüber hinaus ist auch klar, dass man nicht einfach aus einem Märchen aussteigen kann, denn Märchen folgen gewissen Parametern, die wir alle kennen. Ich bin sicher, dass jeder mindestens einen wichtigen Aspekt kennt, den Märchen besitzen. Und ebendies wird hier von der Figur des Zauberers auch so erklärt. Jeder muss seine Rolle spielen, sonst gäbe es ja keine Geschichte zu erzählen, wobei auch der Begriff »real« in Bezug auf das Einhorn als Fabelwesen eine interessante Position einnimmt. Man könnte die Handlung also auch als eine Art Heldenreise einstufen, ähnlich wie Frodo in Der Herr der Ringe muss das Einhorn eine Aufgabe erledigen, die nur es selbst schaffen kann. Und am Ende ist auch das Einhorn um die Erfahrungen des Menschseins reicher, ist insofern in seiner unsterblichen Seele verwundet worden wie der Hobbit Frodo, der durch den Einfluss des Rings nicht mehr so unbeschwert in seine Heimat zurückkehrt. Das machen Heldenreisen mit Helden. Dann könnte man aber auch fragen, ob nicht der Drachen tötende Prinz der Held ist, sondern das Einhorn, das ja sowieso schon als reales Element in der fiktionalen Welt eine Schlüsselrolle einnimmt.
Zitat 2: Gefangen in der Geschichte – Das letzte Einhorn als Fiktionsfolie
„Ich wurde als Sterbliche geboren und war für eine lange, törichte Zeit unsterblich, und eines Tages werde ich wieder sterblich sein; deshalb weiß ich etwas, das ein Einhorn nicht wissen kann. Alles, was sterben kann, ist schön – schöner als ein Einhorn, das ewig lebt und das schönste Geschöpf der Welt ist. Verstehst du mich?“
„Nein“, sagte sie.
Der Zauberer lächelte müde. „Du wirst es verstehen. Du bist jetzt mit dem Rest von uns in der Geschichte, und du musst ihr folgen, ob du willst oder nicht. Wenn du dein Volk finden willst, wenn du wieder ein Einhorn werden willst, dann musst du dem Märchen folgen – bis zu König Haggards Schloss und wohin auch immer es dich führt. Die Geschichte kann nicht ohne die Prinzessin enden.“
Ãœbersetzt aus: Beagle, Peter S.: The Last Unicorn. London 2008, S. 151-152.
Bildquellen
- Peter-S-Beagle-The-Last-Unicorn: Cover design by Elizabeth Phillips, Image of unicorn © Sergey Pryguv/ Shutterstock Images
Schreibe einen Kommentar