16. Dezember | Einer der berühmtesten Sätze der Weltliteratur stammt aus William Shakespeares Hamlet: „Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage.“ Seit über vierhundert Jahren steht dieser Satz im Zentrum des Dramas und ich vermute, dass er zumindest vom Wortlaut her vielen Menschen bekannt sein dürfte. Hamlet hat sich nicht umsonst auf den Bühnen der Welt gehalten, wurde vielfach rezipiert und ist immer neu ein Highlight, das man sich einfach einmal angesehen haben sollte.
Shakespeares Stück ist dabei so viel mehr als nur ein Drama um Rache und Vergeltung oder Wahnsinn, es ist die Geschichten eines mit sich hadernden jungen Mannes, dazu noch Prinz, der eine ganz andere Verantwortung trägt als der einfache Typ von nebenan.
Hamlet ist lesenswert UND sehenswert, weil…
👉 das Stück die großen existenziellen Fragen der Menschheit in einer sprachlichen Dichte und psychologischen Komplexität stellt, die bis heute unerreicht ist und uns zwingt, über Leben, Tod, Schuld und Handeln nachzudenken.
👉 Hamlet als Figur in seiner innerlichen Zerrissenheit zum Prototyp zwischen Denken und Handeln gefangen ist und uns damit ein zeitloses Dilemma vor Augen führt.
👉 Shakespeare seine genialische Virtuosität vielfältig inszeniert, denn in Hamlet findet sich vom Geisterdrama über die Komödie bis zur Tragödie auch eine Liebesgeschichte – alles wird mit theatralischen Mitteln wie dem unter anderem dem Stück im Stück brillant dargestellt.
👉 das Stück sprachlich eine poetische Kraft besitzt, die neben ihrer emotionalen Wirkmacht auch zur philosophischen Reflexion anregen und zudem teilweise in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen sind.
👉 Hamlet ein Schlüsseltext der europäischen Kultur ist, weil viele Anspielungen in anderen Werken, Theaterstücken und Filmen ohne ihn nicht vollständig verständlich sind.
Worum geht es eigentlich in Hamlet?
Insgesamt geht es in Hamlet um die existenzielle Erkundung der Conditio humana: Was bedeutet es, zu handeln oder nicht zu handeln? Wie leben wir mit der Gewissheit des Todes? Kann man Gewissheit überhaupt erlangen? Aber geht es in Literatur nicht immer um solche Themen – von Ein Einhorn namens Oktober bis zu Gefährliche Liebschaften bis zu Dantes Göttliche Komödie. Jedenfalls verbindet das um 1600 entstandene Stück Geistererscheinungen mit Intrigen, echtem und gespieltem Wahnsinn, philosophischer Reflexion und brutaler Gewalt zu einem Theater, das die Grenzen zwischen Schein und Sein, Spiel und Wirklichkeit permanent in Frage stellt. Diese mannigfaltige Ambivalent spiegelt sich schon alleine im Namen des Protagonisten, nach dem das Stück zugleich benannt ist. Denn Hamlet ist keine gradlinige Figur: Er ist Melancholiker und scharfsinniger Denker, liebender Sohn und grausamer Rächer, Opfer der Umstände und Täter – und zwar alles zugleich. Diese Vielschichtigkeit mit der Option zur vielfältigen Deutbarkeit ist sicherlich einer der vielen Gründe, warum Hamlet ein Text mit unerschöpflichen Möglichkeiten ist, der immer wieder aufs Neue inspirierend wirkt und neue Kreationen hervorbringt.
Zum Vorfreuen auf Shakespeares Hamlet
Ein Auszug aus Hamlet, 3. Aufzug, 2. Szene
Trompeten, hierauf die Pantomime.
Ein König und eine Königin treten auf, sehr zärtlich; die Königin ummarmt ihn und er sie. Sie kniet und macht gegen ihn die Gebärden der Beteurung. Er hebt sie auf und lehnt den Kopf an [ihre Brust] ihren Hals; er legt sich auf ein Blumenbette nieder, sie verläßt ihn, da sie ihn eingeschlafen sieht. Gleich darauf kommt ein Kerl herein, nimmt ihm die Krone ab, küßt sie, gießt Gift in die Ohren des Königs und geht ab. Die Königin kommt zurück, findet den König tot und macht leidenschaftliche Gebärden. Der Vergifter kommt mit [zwei oder drei] drei oder vier Stummen zurück und scheint mit ihr zu wehklagen. Die Leiche wird weggebracht. Der Vergifter wirbt mit Geschenken um die Königin; sie scheint anfangs unwillig und abgeneigt, nimmt aber zuletzt seine Liebe an. Sie gehen ab.
OPHELIA
Was bedeutet dies, mein Prinz?
HAMLET
Ei, es ist spitzbübische Munkelei; es bedeutet Unheil.
OPHELIA
Vielleicht, daß diese Vorstellung den Inhalt des Stücks anzeigt.
Der Prolog tritt auf.
HAMLET
Wir werden es von diesem Gesellen erfahren. Die Schauspieler können nichts geheimhalten, sie werden alles ausplaudern.
OPHELIA
Wird er uns sagen, was diese Vorstellung bedeutet?
HAMLET
Ja, oder irgendeine Vorstellung, die Ihr ihm vorstellen wollt. Schämt Euch nur nicht, ihm vorzustellen, sa wird er sich nicht schämen, Euch zu sagen, was es bedeutet.
OPHELIA
Ihr seid schlimm, Ihr seid schlimm; ich will das Stück anhören.
PROLOG
Für uns und unsre Vorstellung
Mit untertänger Huldigung
Ersuchen wir Genehmigung.
HAMLET
Ist dies ein Prolog oder ein Denkspruch auf einem Ringe?
OPHELIA
Es ist kurz, mein Prinz.
HAMLET
Wie Frauenliebe.
Ein König und eine Königin treten auf.
KÖNIG im Schauspiel.
Schon dreißigmal hat den Apoll sein Wagen
Um Nereus‘ Flut und Tellus‘ Rund getragen,
Und zwölfmal dreißig Mond in fremdem Glanz
Vollbrachten um den Erdball ihren Tanz,
Seit unsre Herzen Liebe treu durchdrungen
Und Hymens Bande Hand in Hand geschlungen.
KÖNIGIN im Schauspiel.
Mag Sonn und Mond so manche Reise doch,
Eh Liebe stirbt, uns zählen lassen noch.
Doch leider seid Ihr jetzt so matt von Herzen,
So fern von vorger Munterkeit und Scherzen,
Daß Ihr mich ängstet; aber zag ich gleich,
Doch, mein Gemahl, nicht ängsten darf es Euch,
Denn Weiberfurcht hält Schritt mit ihrem Lieben:
In beiden gar nichts oder übertrieben.
Wie meine Lieb ist, hab ich Euch gezeigt;
Ihr seht, daß meine Furcht der Liebe gleicht.
Das Kleinste schon muß große Lieb erschrecken
Und ihre Größ in kleiner Sorg entdecken.
KÖNIG im Schauspiel.
Ja, Lieb, ich muß dich lassen, und das bald;
Mich drückt des Alters schwächende Gewalt.
Du wirst in dieser schönen Welt noch leben,
Geehrt, geliebt; vielleicht wird, gleich ergeben,
Ein zweiter Gatte –
KÖNIGIN im Schauspiel.
O halt ein, halt ein!
Verrat nur könnte solche Liebe sein.
Beim zweiten Gatten würd ich selbst mir fluchen;
Die einen totschlug, mag den zweiten suchen.
HAMLET
beiseit.
Das ist Wermut.
KÖNIGIN im Schauspiel.
Das, was die Bande zweiter Ehe flicht,
Ist schnöde Sucht nach Vorteil, Liebe nicht.
Es tötet noch einmal den toten Gatten,
Dem zweiten die Umarmung zu gestatten.
KÖNIG im Schauspiel.
Ich glaub, Ihr denket jetzt, was Ihr gesprochen,
Doch ein Entschluß wird oft von uns gebrochen.
Der Vorsatz ist ja der Erinnrung Knecht,
Stark von Geburt, doch bald durch Zeit geschwächt,
Wie herbe Früchte fest am Baume hangen,
Doch leicht sich lösen, wenn sie Reif erlangen.
Notwendig ists, daß jeder leicht vergißt
Zu zahlen, was er selbst sich schuldig ist.
Wo Leidenschaft den Vorsatz hingewendet,
Entgeht das Ziel uns, wann sie selber endet.
Der Ungestüm sowohl von Freud als Leid
Zerstört mit sich die eigne Wirksamkeit.
Laut klagt das Leid, wo laut die Freude schwärmet;
Leid freut sich leicht, wenn Freude leicht sich härmet.
Die Welt vergeht: es ist nicht wunderbar,
Daß mit dem Glück selbst Liebe wandelbar;
Denn eine Frag ists, die zu lösen bliebe,
Ob Lieb das Glück führt, oder Glück die Liebe.
Der Große stürzt, seht seinen Günstling fliehn;
Der Arme steigt, und Feinde lieben ihn.
So weit scheint Liebe nach dem Glück zu wählen.
Wer ihn nicht braucht, dem wird ein Freund nicht fehlen,
Und wer in Not versucht den falschen Freund,
Verwandelt ihn sogleich in einen Feind.
Doch um zu enden, wo ich ausgegangen,
Will und Geschick sind stets in Streit befangen.
Was wir ersinnen, ist des Zufalls Spiel,
Nur der Gedank ist unser, nicht sein Ziel.
So denk, dich soll kein zweiter Gatt erwerben.
Doch mag dies Denken mit dem ersten sterben.
KÖNIGIN im Schauspiel.
Versag mir Nahrung, Erde; Himmel, Licht!
Gönnt, Tag und Nacht, mir Lust und Ruhe nicht!
Verzweiflung werd aus meinem Trost und Hoffen,
Nur Klausnerbuß im Kerker steh mir offen!
Mag alles, was der Freude Antlitz trübt,
Zerstören, was mein Wunsch am meisten liebt,
Und hier und dort verfolge mich Beschwerde,
Wenn, einmal Witwe, jemals Weib ich werde!
HAMLET
zu Ophelia.
Wenn sie es nun brechen sollte –
KÖNIG im Schauspiel.
’s ist fest geschworen. Laß mich, Liebe, nun;
Ich werde müd und möcht ein wenig ruhn,
Die Zeit zu täuschen.
Schläft.
KÖNIGIN im Schauspiel.
Wiege dich der Schlummer,
Und nimmer komme zwischen uns ein Kummer!
Ab.
HAMLET
Gnädige Frau, wie gefällt Euch das Stück?
KÖNIGIN
Die Dame, wie mich dünkt, gelobt zu viel.
HAMLET
Oh, aber sie wird ihr Wort halten!
KÖNIG
Habt Ihr den Inhalt gehört? Wird es kein Ärgernis geben?
HAMLET
Nein, nein; sie spaßen nur, vergiften im Spaß, kein Ärgernis in der Welt.
KÖNIG
Wie nennt Ihr das Stück?
HAMLET
Die Mausefalle. Und wie das? Metaphorisch. Das Stück ist die Vorstellung eines in Vienna geschehnen Mordes. Gonzago ist der Name des Herzogs, seiner Gemahlin Baptista; Ihr werdet gleich sehen, es ist ein spitzbübischer Handel. Aber was tuts? Eure Majestät und uns, die wir ein freies Gewissen haben, trifft es nicht. Der Aussätzige mag sich jucken, unsre Haut ist gesund.
[Der Schauspieler, der den] Lucianus [spielt,] tritt auf.
Dies ist ein gewisser Lucianus, ein Neffe des Königs.
OPHELIA
Ihr übernehmt das Amt des Chorus, gnädiger Herr.
HAMLET
O ich wollte zwischen Euch und Eurem Liebsten Dolmetscher sein, wenn ich die Marionetten nur tanzen sähe.
OPHELIA
Ihr seid spitz, gnädiger Herr, Ihr seid spitz.
HAMLET
Ihr würdet zu stöhnen haben, ehe Ihr meine Spitze abstumpftet.
OPHELIA
Immer noch besser und schlimmer.
HAMLET
So wählt Ihr Eure Männer. – Fang an, Mörder; laß deine vermaledeiten Gesichter und fang an! Wohlauf:
Es brüllt um Rache das Gekrächz des Raben –
LUCIANUS
Gedanken schwarz, Gift wirksam, Hände fertig,
Gelegne Zeit, kein Wesen gegenwärtig.
Du schnöder Trank aus mitternächtgem Kraut,
Dreimal vom Fluche Hekates betaut:
Daß sich dein Zauber, deine grause Schärfe
Sogleich auf dies gesunde Leben werfe!
Gießt dar Gift in das Ohr des Schlafenden.
HAMLET
Er vergiftet ihn im Garten um sein Reich, sein Name ist Gonzago; die Geschichte ist vorhanden und in auserlesenem Italienisch geschrieben. Ihr werdet gleich sehn, wie der Mörder die Liebe von Gonzagos Gemahlin gewinnt.
OPHELIA
Der König steht auf.
HAMLET
Wie? Durch falschen Feuerlärm geschreckt?
KÖNIGIN
Wie geht es meinem Gemahl?
POLONIUS
Macht dem Schauspiel ein Ende.
KÖNIG
Leuchtet mir! Fort!
Licht ! Licht! Licht!
Alle ab, außer Hamlet und Horatio.
HAMLET
Ei, der Gesunde hüpft und lacht,
Dem Wunden ists vergällt;
Der eine schläft, der andre wacht,
Das ist der Lauf der Welt.
Sollte nicht dies und ein Wald von Federbüschen – wenn meine sonstige Anwartschaft in die Pilze geht – nebst ein paar gepufften Rosen auf meinen geschlitzten Schuhen, mir zu einem Platz in einer Schauspielergesellschaft verhelfen?
HORATIO
O ja, einen halben Anteil an der Einnahme.
HAMLET
Nein, einen ganzen.
Denn dir, mein Damon, ist bekannt,
Dem Reiche ging zugrund
Ein Jupiter; nun herrschet hier
Ein rechter, rechter – Affe.
HORATIO
Ihr hättet reimen können.
HAMLET
O lieber Horatio, ich wette Tausende auf das Wort des Geistes. Hast du’s gemerkt?
HORATIO
Sehr gut, mein Prinz.
HAMLET
Bei der Rede vom Vergiften?
HORATIO
Ich habe ihn genau beachtet.
HAMLET
Haha! Kommt, Musik, kommt, die Flöten! –
Denn wenn der König von dem Stück nichts hält,
Ei nun, vielleicht – daß es ihm nicht gefällt.
[Rosenkranz und Güldenstern kommen.]
Kommt, Musik!
Rosenkranz und Güldenstern kommen.
GÜLDENSTERN
Bester, gnädiger Herr, vergönnt mir ein Wort mit Euch!
HAMLET
Eine ganze Geschichte, Herr!
GÜLDENSTERN
Der König –
HAMLET
Nun, was gibts mit ihm?
GÜLDENSTERN
Er hat sich auf sein Zimmer begeben und ist sehr übel. […]
Aus: William Shakespeare: Hamlet. Prinz von Dänemark. Übersetzt von August Wilhelm Schlegel. Herausgegeben von Dietrich Klose. Stuttgart 2001, S. 69-74.
Online einsehbar unter anderem hier: http://www.william-shakespeare.de/hamlet/hamlet3_2.htm
Ja, Hamlets Aussage zur „Mausefalle“ (engl. „The Mousetrap“ – also das Theaterstück im Theaterstück) lässt sich sehr gut als mise-en abyme bezeichnen.
Definition „mise-en abyme“
Ich habe das mise en abyme als erzählerisches Prinzip bereits im Beitrag zu Michael Endes Die unendliche Geschichte oder in Sara Pennypackers Mein Freund Pax definiert. Im Reallexikon der Literaturwissenschaft werden drei Stufen unterschieden:
„–die ,Einfache Spiegelung (re’flexion simple, vgl. (1): die Schachtel in der Schachtel, der Fernseher im Fernsehen, die Binnenerzählung in der Rahmenerzählung); – die ,Unendliche Spiegelung (re’flexion a` L‘infini; vgl. (1a), (1b): die Puppe in der Puppe in der Puppe …, Tiecks Theater auf dem Theater auf dem Theater …); – die ,Ausweglose Spiegelung (re’flexion aporistique, vgl. (2): die einander zeichnenden Hände Eschers, die Romanfigur als Verfasser ebendieses Romans, die gegen ihre Darsteller rebellierenden Bühnenfiguren).“[1]
Kurz gesagt
Als „mise-en abyme“ bezeichnet man in Literatur und Kunst ein Spiegelbild oder eine Selbstreflexion des Werks im Werk: Ein kleineres Element (z.B. ein Bild, ein Text, ein Stück) verweist auf die Struktur oder Thematik des Hauptwerks zurück, wie ein Spiegel im Spiegel.
Im Falle von Shakespeares Hamlet wird das Theaterstück Die Ermordung von Gonzago im Sinne der Mausefalle umgedeutet und zur inszenierten Spiegelung der eigentlichen, umgebenden Handlung von Hamlets Welt – der Ermordung seines Vaters durch seinen Onkel Claudius.
Wie wird das Stück in Hamlet zur mise-en abyme?
- Hamlet lässt das Stück aufführen, um Claudius’ Schuld am Mord an seinem Vater zu entlarven, die Handlung des aufgeführten Theaterstücks ist die Falle, die zuschnappt, wenn der König sich darin wiedererkennt.
- Das Theaterstück innerhalb des Dramas spiegelt zudem die Handlung von Hamlet selbst: Auch hier geht es um Mord, Verrat, Macht und Gewissensprüfung.
- Die verschiedenen Ebenen überlagern sich: Das „kleine Drama“ bzw. die vielen kleinen Dramen im großen Drama sind ein Abbild des gesamten Werks und ermöglichen gleichzeitig die Reflexion über Wahrheit, Täuschung und Theater selbst.
- Hamlets ironischer Kommentar („Eure Majestät und uns, die wir ein freies Gewissen haben, trifft es nicht. Der Aussätzige mag sich jucken, unsre Haut ist gesund.“) zeigt, wie das kleine Stück zum moralischen Prüfstein für die Anwesenden wird und sinnbildlich für das ganze Königshaus steht.
Nach diesen Feststellungen lässt sich festhalten, dass Hamlets Mausefalle ein Paradebeispiel der mise-en abyme ist: Das Theaterstück im Stück spiegelt die reale Handlung, thematisiert Schuld und Entlarvung und führt die Selbstbezüglichkeit sowie die Funktion von Theater als Spiegel der Wirklichkeit vor Augen. Damit wird das Stück nicht nur inhaltlich relevant, sondern ist auch eine raffinierte Reflexion über die Rolle von Kunst und Illusion in der Welt von Hamlet selbst.
Zusammenfassung der Handlung: Hamlet von Shakespeare
Wie kann das sein? Der dänische König, Hamlets Vater, stirbt plötzlich und kurz nach seinem Tod heiratet seine Mutter Getrude seinen Onkel Claudius, der daraufhin den Thron besteigt? Da ist was faul, im Staate Dänemark! Das ist seltsam, findet auch Hamlet, der erschüttert ist über die Wiederheirat seiner Mutter mit dem Onkel, dem er – nicht verwunderlich – misstraut. Eines nachts erscheint ihm der Geist seines Vaters auf den Zinnen des Schlosses Elsinore und offenbart ihm die Umstände seines frühen Todes: Claudius hat ihn im Schlaf mit Gift ermordet. Doch nicht nur das, der Geist des Königs hat einen Auftrag für Hamlet: Er fordert Rache für seinen Tod. Von diesem Zeitpunkt an schwankt Hamlet zwischen Entschlossenheit und Zweifel, weil er nicht weiß, ob er der Geistererscheinung trauen kann. Er ersinnt einen Plan, um die Echtheit der Aussage auf die Probe zu stellen. Dafür gibt er sich, als sei er dem Wahnsinn verfallen und lässt ein Theaterstück aufführen, bei dem der Mord seines Vaters nachgestellt wird (die im Zitat erwähnte Mausefalle). Das Stück wird zur Hochzeit aufgeführt und Hamlet beobachtet seinen Onkel genau. Als dieser heftig reagiert, fühlt sich Hamlet in seinem Verdacht bestätigt.
Doch er handelt nicht, er zögert weiterhin, was die innere Zerrissenheit der Figur zwischen Moral, Pflicht und Gewissen ausmacht, ihn zwischen Handeln und Reflexion gefangen hält. Durch sein Zögern ergeben sich weitere Ereignisse, die möglicherweise durch direktes Handeln hätten vermieden werden können. So tötet Hamlet bei einem Streit mit seiner Mutter Getrude versehentlich den Vater seiner Geliebten Ophelia, Polonius.
Claudius ersinnt daraufhin einen Plan, auch Hamlet aus dem Weg zu schaffen und zwar auf der Reise nach England. Doch Hamlet durch schaut den Plan und kommt zurück. Ophelia ist mittlerweile aufgrund von Kummer und Leid in einem Bach ertrunken. Die Szene ist berühmt und viele Male auf unterschiedliche Weise künstlerisch in Szene gesetzt worden. Tatsächlich hat jüngst erst Taylor Swift mit dem Song The Fate of Ophelia und ihrer Nachstellung des berühmten Gemäldes Ophelia von Friedrich Heyser, das um 1900 entstand und dem Hessischen Landesmuseum interessierte Besucher beschert. Ophelias Bruder Laertes will sich nun auch für den Tod seines Vaters und seiner Schwester an Hamlet rächen. Claudius überredet ihn zu einem Duell mit Hamlet, doch mit einem vergifteten Dolch. Dabei werden beide verletzt und das Gift, welches für Hamlet bestimmt und auch in einem Becher gefüllt war, wird von Königin Getrude getrunken. Mit letzter Kraft tötet Hamlet Claudius und stirbt selbst. Das Königreich Dänemark wird von dem norwegischen Prinz Fortinbras übernommen. Tatsächlich hat mich diese ganze Intrigenspielerei auch an Gefährliche Liebschaften erinnert – zumindest in der Dramatik zum Ende hin – denn sämtliche Figuren erleiden den Tod oder sind auf immer gezeichnet.
Informationen zu William Shakespeare
William Shakespeare wurde 1564 in Stratford-upon-Avon, England, geboren und starb dort am 23. April 1616. Seine Karriere verbrachte er hauptsächlich in London, wo er als Schauspieler, Theaterunternehmer und Dramatiker für die Schauspieltruppe „Lord Chamberlain’s Men“ (später „King’s Men“) wirkte.
Viele seiner bekanntesten Dramen entstanden zwischen 1590 und 1613, unter anderem:
Romeo und Julia (1595)
- Tragische Liebesgeschichte zweier Jugendlicher aus verfeindeten Familien
- Themen: Liebe, Hass, Schicksal
Ein Sommernachtstraum (1595/96)
- Liebesverwirrung im Wald mit Feen, Zauber und Verwechslungen
- Themen: Fantasie, Verwandlung, Liebe
Hamlet (1600/01)
- Dänischer Prinz rächt den Mord an seinem Vater
- Themen: Rache, Wahnsinn, Fragen nach dem Sinn des Lebens
Othello (1603/04)
- Eifersuchtsdrama um einen schwarzen Feldherrn und dessen Frau
- Themen: Eifersucht, Intrige, Vertrauen
König Lear (1605/06)
- König teilt das Reich, Familientragödie mit Verrat
- Themen: Macht, Wahnsinn, Undankbarkeit
Macbeth (1606)
- Adliger ermordet König aus Machtgier und wird selbst zum Tyrannen
- Themen: Ehrgeiz, Schuld, Schicksal
Der Sturm (1611)
- Verbannter Magier Prospero inszeniert ein Schiffbruch und Versöhnung
- Themen: Versöhnung, Zauberei, Macht
Was ihr wollt (Twelfth Night) (1601/02)
- Verwechslungskomödie um eine als Mann verkleidete Frau
- Themen: Identität, Liebe, Geschlechterrollen
Viel Lärm um nichts (Much Ado About Nothing) (1598/99)
- Liebeskomödie voller Irrtümer und Intrigen
- Themen: Missverständnis, Ehre, Liebe
Julius Caesar (1599)
- Anschlag auf den Herrscher, Folgen des Tyrannenmords
- Themen: Macht, Verrat, Loyalität
Richard III. (1592/93)
- Aufstieg und Fall des skrupellosen englischen Königs
- Themen: Ehrgeiz, Manipulation, Bosheit
Heinrich IV. / Heinrich V. (1597-99)
- Königsdramen über Heinrich IV. und seinen Sohn
- Themen: Macht, Reifung, Verantwortung
Shakespeares wichtigster Förderer war Henry Wriothesley, der Earl of Southampton, dem er auch einige Gedichte widmete. In London prägte ihn die Zusammenarbeit mit bekannten Schauspielern wie Richard Burbage (legendärer Hamlet-Darsteller) und dem Komiker Will Kempe.
In seiner Theatertruppe, die ab 1603 „King’s Men“ hieß, förderte ihn zudem der Schutz König James I. Dank ihres Erfolgs konnte die Truppe im berühmten Globe Theatre in London auftreten.
Shakespeares Werke wurden oft erst 1623 im sogenannten First Folio gesammelt veröffentlicht und sind bis heute prägende Grundsteine der englischen (und Welt-)Literatur. „Nach wie vor wird seine, auch von der Filmindustrie gestützte, kulturelle Präsenz im englischen Sprachraum von keinem anderen Autor auch nur annähernd erreicht. Weit über das Englische hinaus ist seine weltliterarische Geltung unangefochten. In Deutschland, wo er im 18. Jahrhundert entscheidend zur Herausbildung einer eigenen Nationalliteratur beitrug, ist er der meistgespielte Dramatiker. Und angesichts jährlich etwa 5000 neuer Veröffentlichungen zu Sh. paßt Goethes Stoßseufzer noch immer: »Shakespeare und kein Ende«.“[2]
Literarische Querverweise zu Hamlet und Shakespeare
In seinem aktuellen Roman Was wir wissen können von Ian McEwan gibt es eine sehr interessante Passage, die ich hier andeuten möchte. Der Ich-Erzähler im Roman, ein englischer Literaturwissenschaftler aus dem 22. Jahrhundert vergleicht dabei die Quellen aus dem 16. Jahrhundert mit den ihm aus dem 21. Jahrhundert zur Verfügung stehenden Informationen. Daraus geht auch der Romantitel hervor. Was wir nämlich wissen können ist zwar in den Quellen enthalten, doch es handelt sich nur um punktuelle Spitzen, die höchstens als fragmentarisch und bruchstückhaft gelten können. Wenn dieser Literaturwissenschaftler dann den Vergleich der Quelle des Werkes Hamlet, in dem Hamlet sich als Protagonist prüfend und hinterfragend langatmig mit dem eigenen Ich auseinandersetzt mit vergleichbaren Quellen seines Schöpfers Shakespeares sucht, muss er feststellen, dass man so etwas wie handgeschriebene Reflexionen aus der Shakespear’schen Feder vermissen lässt. Zum einen gingen Briefe verloren, zum anderen interessiere sich niemand für die Gedanken eines „bloßen Stückeschreibers“. Keine Interviews, keine Instagram-Posts, keine herausgegebenen Briefwechsel oder gar YouTube-Videos. Ian McEwan ist ein wunderbarer Erzähler und immer gut für einen schockierenden Plot-Twist. Ich kann Was wir wissen können nur empfehlen – es befindet sich auch meinem literarischen Adventskalender 2025. Und ich kann vieles von dem, was der Protagonist als Literaturwissenschaftler erwähnt, sehr gut nachvollziehen.
Bedeutung und Wirkung von Hamlet
Hamlet bleibt eine der zentralen Tragödien der westlichen Literatur. Es behandelt die grundlegenden Fragen der menschlichen Existenz und ist zugleich eine scharfsinnige Analyse von Moral, Macht und der menschlichen Psyche. Der tragische Held, Hamlet, mit seinen inneren Konflikten und seiner philosophischen Auseinandersetzung mit der Welt, spricht immer noch die gleichen existenziellen Fragen an, die auch heute noch von vielen Menschen erlebt werden.
Das Stück hat nicht nur die Literatur beeinflusst, sondern auch die westliche Theatertradition geprägt. Es wird immer wieder auf den Bühnen der Welt gespielt und in zahlreichen Formen neu interpretiert. Auch die moderne Popkultur greift oft auf Hamlet zurück, da die Themen des Stücks weiterhin als relevant und bedeutungsvoll gelten.
Hamlet bleibt ein faszinierendes Werk, das sich immer wieder neu lesen und interpretieren lässt – als Tragödie, als philosophische Abhandlung und als psychologische Studie.
Wichtige Themen in Shakespeares Hamlet
- Rache und Gerechtigkeit: Hamlets zentrales Ziel ist die Rache am Mord seines Vaters. Damit zusammen hängen auch Fragen zur Herrschaftsverantwortung und Machtpolitik. Doch er ringt mit der moralischen Frage, ob Rache überhaupt gerechtfertigt ist und ob er als Mensch handeln kann. Das Thema der Rache wird dabei immer wieder hinterfragt und im Kontext von Recht und Unrecht, Tugend und Sünde reflektiert.
- Wahnsinn: Ein weiteres zentrales Thema ist Wahnsinn. Hamlet täuscht seinen Wahnsinn vor, weil es ihm der einfachste Weg scheint, an Informationen zu gelangen und seine Gegner zu täuschen. Doch im Verlauf des Stücks ist es schwer zu sagen, ob er wirklich nur spielt oder tatsächlich den Verstand verliert. Auch Ophelia verliert nach dem Tod ihres Vaters den Verstand, was das Thema von Wahnsinn und psychologischer Belastung verstärkt.
- Existentialismus und Selbstreflexion: Einer der bekanntesten Monologe der Literatur, „Sein oder Nichtsein“, stellt die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Todes. Hamlet ist von Zweifeln geplagt, was „besser“ ist und reflektiert über den Wert des menschlichen Lebens wie auch die moralischen Implikationen von Handeln und Unterlassen.
- Korruption und Verrat: Weiterhin erörtert das Stück die Auswirkungen von Korruption auf den Staat und die Menschen. Claudius, der neue König, ist das Symbol für politische Korruption und moralischen Verfall, während das Land Dänemark selbst als von Fäulnis und Verderbnis geprägt beschrieben wird. Man könnte behaupten, dass der neue König diesen Verfall spiegelt. Hamlets innerer Konflikt und die Morde, die er begeht oder herbeiführt, spiegeln diese Themen wider.
- Schicksal und freier Wille: Hamlet ist in einer Welt gefangen, in der Schicksal und persönlicher Wille ständig miteinander in Konflikt stehen. Man muss beachten, dass er ein Prinz ist und somit andere Arten der Verantwortung trägt als normale Bürger. Er fragt sich, ob er durch die Handlungen des Geistes seines Vaters zum Mörder wird und ob er selbst die Kontrolle über sein Leben und seine Entscheidungen hat. Es wird also mit der Idee gespielt, ob der Mensch von einer höheren Macht oder von seinen eigenen Handlungen bestimmt wird. Wie viel Gott steckt im Menschen, könnte man auch fragen.
- Moralische Ambivalenz: Die Frage, was „richtig“ und „falsch“ ist, zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Stück. Hamlet ist keinesfalls ein Held, auch wenn er der Hauptprotagonist ist. Er hinterfragt die moralische Richtigkeit seiner Handlungen und zeigt, dass selbst die scheinbar gerechte Rache kompliziert und von inneren Zweifeln begleitet ist.
FAQ: Hamlet von William Shakespeare
Basiert Hamlet auf wahren Begebenheiten?
Nein, aber sie hat historische Wurzeln. Shakespeare nutzte eine alte skandinavische Legende über „Amleth“, die bereits im 12. Jahrhundert aufgeschrieben wurde. Es gab auch ein früheres englisches „Hamlet“-Stück (der sogenannte „Ur-Hamlet“), das verloren ging. Shakespeare nahm diese Vorlagen und schuf daraus sein psychologisches Meisterwerk.
In welcher Reihenfolge sterben die Figuren in Hamlet?
Polonius wird von Hamlet versehentlich erstochen (Akt III). Ophelia ertrinkt (zwischen Akt IV und V – vermutlich Selbstmord). Rosencrantz und Guildenstern werden in England hingerichtet (berichtet in Akt V). Im großen Finale (Akt V): Gertrude trinkt versehentlich vergifteten Wein, Laertes und Hamlet verwunden sich gegenseitig mit einem vergifteten Degen, Hamlet tötet Claudius. Nur Horatio überlebt.
Was passiert im berühmten "Sein oder Nichtsein"-Monolog?
Hamlet meditiert über Leben und Tod, über Selbstmord und Leiden. Er fragt sich, ob es nobler ist, das Unglück zu ertragen oder sich dagegen aufzulehnen (und zu sterben). Er erkennt, dass die Angst vor dem Tod – vor dem unbekannten „Land, von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt“ – uns vom Selbstmord abhält. Der Monolog ist die Quintessenz von Hamlets existenzieller Krise.
Was ist das "Spiel im Spiel"?
Hamlet lässt Schauspieler ein Stück aufführen, das die Ermordung seines Vaters nachstellt („Die Mausefalle“). Er beobachtet Claudius‘ Reaktion, um seine Schuld zu bestätigen. Claudius bricht die Aufführung ab und flieht – für Hamlet der Beweis. Diese Meta-Theater-Szene ist genial: Shakespeare lässt Theater über Theater reflektieren und zeigt, wie Kunst Wahrheit enthüllen kann.
Warum tötet Hamlet Claudius nicht sofort?
Das ist DIE Frage des Stücks. Mögliche Antworten: (1) Er zweifelt, ob der Geist wirklich echt ist. (2) Er ist ein Denker, kein Täter – Reflexion lähmt Aktion. (3) Er sucht den perfekten Moment (Claudius soll verdammt werden, nicht im Gebet sterben). (4) Er ist depressiv und handlungsunfähig. (5) Shakespeare brauchte fünf Akte für sein Drama. Die Mehrdeutigkeit ist Absicht – jeder Schauspieler und Regisseur interpretiert es anders.
Ist Hamlet wahnsinnig?
Er spielt Wahnsinn („I am but mad north-north-west“), aber die Grenzen verschwimmen. Manche Szenen deuten auf echten psychischen Zusammenbruch hin – etwa wenn er Ophelia brutal beschimpft oder Polonius‘ Leiche zynisch behandelt. Andere zeigen kalte Berechnung. Shakespeare lässt es bewusst offen. Die Frage ist: Kann man Wahnsinn spielen, ohne wahnsinnig zu werden?
Ist Ophelia ein Opfer?
Ja, das klassische Opfer patriarchaler Verhältnisse. Sie hat keine eigene Stimme, wird von Vater, Bruder und Geliebtem kontrolliert. Ihr einziger Akt der Selbstbestimmung ist möglicherweise ihr Selbstmord (obwohl das Stück es als Unfall darstellt). Moderne Inszenierungen betonen oft ihre Tragödie – sie ist die einzige wirklich Unschuldige, die zerstört wird.
Was ist das Hauptthema von Hamlet?
Rache – aber verzögerte, reflektierte, problematisierte Rache. Im elisabethanischen Rache-Drama sollte der Held schnell und brutal zuschlagen. Hamlet denkt stattdessen nach: Ist Rache gerecht? Was kostet sie? Wie kann ich sicher sein? Daraus entstehen die großen Themen: Aktion vs. Kontemplation, Sein vs. Nichtsein, Wahrheit vs. Täuschung, Wahnsinn vs. Vernunft.
Was bedeutet "Sein oder Nichtsein"?
„To be or not to be“ ist die Grundfrage der Existenz. Hamlet fragt nicht nur nach Selbstmord, sondern nach dem Sinn des Lebens überhaupt. Sollen wir sein (existieren, handeln, leiden) oder nicht sein (aufhören, sterben, entkommen)? Es ist die philosophische Krise der Moderne: Wenn es keinen Sinn gibt, warum dann weitermachen? Hamlets Antwort: Angst und Unsicherheit halten uns am Leben.
Was symbolisiert der Geist?
Mehreres: (1) Die Vergangenheit, die die Gegenwart heimsucht. (2) Hamlets Gewissen oder Unterbewusstsein. (3) Zweifel – ist er echt oder ein Dämon? (4) Die alte Ordnung, die Rache fordert. (5) Die Unsicherheit der Wahrheit – wir sehen ihn, aber ist er real? Der Geist ist bewusst mehrdeutig – Shakespeare lässt offen, ob er objektiv existiert oder Hamlets Projektion ist.
Was bedeutet Wahnsinn im Stück?
Hamlet spielt Wahnsinn, Ophelia verfällt in echten Wahnsinn. Wahnsinn ist sowohl Maske als auch Wahrheit. In der verrückten Rede kann Hamlet Wahrheiten sagen, die sonst verboten wären. Ophelia spricht im Wahnsinn aus, was sie unterdrücken musste. Wahnsinn ist Zuflucht, Waffe und Symptom einer kranken Gesellschaft. Die Frage: Wer ist verrückter – die „Wahnsinnigen“ oder die „Normalen“ am Hof?
Welche Rolle spielen Täuschung und Spionage?
Fast jeder spioniert, täuscht, belauscht. Polonius hinter dem Vorhang, Rosencrantz und Guildenstern als falsche Freunde, Claudius‘ Spione, Hamlet selbst mit seiner gespielten Verrücktheit. Das Stück zeigt: In einer korrupten Welt kann niemand niemandem trauen. Wahrheit ist unmöglich zu finden, weil alle lügen. Das macht Hamlet modern – es ist ein Stück über epistemologische Krise, über die Unmöglichkeit von Gewissheit.
Was sind die berühmtesten Zitate?
- To be or not to be, that is the question (Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage)
- Something is rotten in the state of Denmark (Etwas ist faul im Staate Dänemark)
- The play’s the thing / Wherein I’ll catch the conscience of the King (Das Spiel ist der Schlüssel)
- Frailty, thy name is woman! (Schwachheit, dein Name ist Weib)
- Though this be madness, yet there is method in’t (Das ist Wahnsinn, doch hat es Methode)
- Alas, poor Yorick! I knew him, Horatio (Ach, armer Yorick!)
- The rest is silence (Der Rest ist Schweigen – Hamlets letzte Worte)
Was passiert in der Closet Scene?
Hamlet konfrontiert seine Mutter in ihrem Schlafzimmer (dem „closet“). Er beschuldigt sie der Unmoral, der schnellen Wiederheirat, der möglichen Komplizenschaft. Der Geist erscheint (nur Hamlet sieht ihn), um ihn zu mäßigen. Während der Szene ersticht Hamlet Polonius, der hinter einem Vorhang lauscht. Die Szene ist intim, gewalttätig, psychologisch intensiv – mit Untertönen von Ödipus-Komplex und sexueller Spannung.
Was ist die Friedhofszene?
In Akt V gräbt ein Totengräber Ophelias Grab. Er findet alte Schädel, darunter den von Yorick, dem Hofnarr aus Hamlets Kindheit. Hamlet meditiert über Vergänglichkeit und Tod. Dann kommt Ophelias Begräbnis – Hamlet springt ins Grab, streitet mit Laertes. Die Szene mischt Komik (der witzige Totengräber), Philosophie (Todesmeditation) und Drama (der Konflikt). Es ist die Ruhe vor dem finalen Sturm.
Warum zögert Hamlet?
Die „Hamlet-Frage“ beschäftigt Literaturwissenschaftler seit 400 Jahren. Theorien: (1) Melancholisches Temperament – er ist zu depressiv. (2) Zu viel Reflexion – Denker können nicht handeln. (3) Moralische Bedenken – Mord ist falsch, auch als Rache. (4) Ödipus-Komplex (Freud) – unbewusste Identifikation mit Claudius. (5) Religiöse Zweifel – Angst um seine Seele. (6) Strukturell – Shakespeare brauchte fünf Akte. Wahrscheinlich: alles zusammen, bewusst mehrdeutig.
Liebt Hamlet Ophelia wirklich?
Umstritten. Manche sagen: Er liebte sie, aber seine Mission zerstört die Liebe. Seine Brutalität („Get thee to a nunnery!“) kommt aus Enttäuschung und Selbsthass. Andere: Er nutzt sie nur, seine „Liebe“ war oberflächlich. Seine Reaktion an ihrem Grab wirkt theatralisch, nicht echt. Das Stück gibt keine klare Antwort – typisch für Shakespeare, der emotionale Ambiguität liebt.
Was ist Hamlets "tragischer Fehler"?
In der klassischen Tragödientheorie hat der Held einen „hamartia“ (tragischen Fehler). Bei Hamlet: Zögern? Überdenken? Grausamkeit gegenüber Ophelia? Unfähigkeit zu handeln? Oder ist sein „Fehler“ eigentlich seine Stärke – dass er ein moralischer Mensch in einer unmoralischen Welt ist? Shakespeare macht es unmöglich, Hamlet auf einen „Fehler“ zu reduzieren. Er ist zu komplex.
Warum ist Hamlet als Stück so wichtig?
Es gilt als der Höhepunkt des englischen Dramas und eine der größten literarischen Schöpfungen überhaupt. Hamlet ist die komplexeste, psychologisch tiefste Figur Shakespeares. Das Stück verbindet Action (Geister, Morde, Fechtkampf) mit Philosophie (Existenz, Tod, Moral), Politik mit Psychologie. Es ist gleichzeitig unterhaltsam und intellektuell herausfordernd – zugänglich und unergründlich.
Was macht Hamlet zur ersten "modernen" Figur?
Hamlet hat ein Innenleben, ein Selbstbewusstsein, eine Fähigkeit zur Selbstreflexion, die vor Shakespeare kaum existierte. Er denkt über sein Denken nach, zweifelt an seinen Zweifeln, spielt Rollen und weiß es. Er ist innerlich gespalten, nicht eindeutig gut oder böse. Diese psychologische Komplexität macht ihn modern – er fühlt sich an wie ein Mensch des 20./21. Jahrhunderts, nicht des Mittelalters.
Soll ich Hamlet lesen oder als Aufführung sehen?
Beides! Shakespeare schrieb für die Bühne – das Stück lebt von Schauspielern, Tempo, visueller Wirkung. Aber beim Lesen kann man die Sprache genießen, zurückblättern, nachdenken. Ideal: Erst eine gute Verfilmung sehen (z.B. Kenneth Branagh 1996, David Tennant 2009, oder die RSC-Produktion mit Paapa Essiedu), dann das Stück lesen, dann wieder eine andere Inszenierung sehen.
Was lerne ich aus Hamlet?
Über die großen Fragen: Leben, Tod, Rache, Moral, Wahnsinn, Wahrheit. Über menschliche Komplexität – Menschen sind niemals einfach. Über die Macht und Gefahr des Nachdenkens. Über Freundschaft (Horatio), Verrat (Rosencrantz und Guildenstern), Liebe und ihre Grenzen. Und: Über die Schönheit der Sprache – Shakespeare zeigt, was Worte können.
Warum sollte ich Hamlet im 21. Jahrhundert lesen?
Weil die Fragen zeitlos sind: Wie soll ich handeln angesichts von Ungerechtigkeit? Wie finde ich Wahrheit in einer Welt der Täuschung? Ist das Leben lebenswert? Was schulde ich den Toten? Wie bleibe ich integer in einer korrupten Welt? Hamlet ringt mit denselben Problemen wie wir – nur in schönerer Sprache. Das Stück ist nicht alt, es ist zeitlos. Es spricht zu jeder Generation neu.
Verwendete Literatur
William Shakespeare: Hamlet. Prinz von Dänemark. Übersetzt von August Wilhelm Schlegel. Herausgegeben von Dietrich Klose. Stuttgart 2001, S. 69-74.
Online einsehbar unter anderem hier: http://www.william-shakespeare.de/hamlet/hamlet3_2.htm
Höfele, Andreas: Shakespeare, William. In: Metzler Lexikon englischsprachiger Autorinnen und Autoren. Sonderausgabe. 631 Porträts. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Hg. von Eberhard Kreutzer und Ansgar Nünning. Stuttgart/Weimar 2006, S. 516-519.
Weiterführend
Ina Schabert: Shakespeare-Handbuch. Die Zeit – Der Menschen – Das Werk – Die Nachwelt.
- Shakespeares Hamlet: Die berühmteste Tragödie der Weltliteratur im Überblick – 16. Dezember 2025
- Wenn alle Katzen von der Welt verschwänden: Eine Liebeserklärung an das Leben – 15. Dezember 2025
- Das Erdbeben in Chili – Heinrich von Kleists literarisches Meisterwerk – 14. Dezember 2025
[1] Fricke, Harald: Potenzierung. In: RLW 2. Hg. von Harald Fricke. Berlin/New York 2007, S. 144-147, hier S. 145.
[2] Höfele, Andreas: Shakespeare, William. In: Metzler Lexikon englischsprachiger Autorinnen und Autoren. Sonderausgabe. 631 Porträts. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Hg. von Eberhard Kreutzer und Ansgar Nünning. Stuttgart/Weimar 2006, S. 516-519, hier S. 519.
Bildquellen
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