Jane Austens Roman Stolz und Vorurteil bzw. im englischen Original Pride and Prejudice aus dem Jahr 1813 gilt als einer der meistgelesenen Romane der Weltliteratur. Die britische Autorin erzählt die Geschichte der stolzen Elizabeth Bennet und dem voreingenommenen Mr. Darcy (oder ist es andersherum?), deren anfängliche Abneigung sich nach einigem Wirren in Liebe verwandelt.
Hinter der romantisch anmutenden Liebesgeschichte steckt eine scharfsinnige Gesellschaftskritik: Offengelegt werden die ökonomischen Zwänge, unter denen Frauen im England der Regency-Ära lebten und weitere gesellschaftskritische Aspekte werden in Gesprächen anhand der Figuren diskutiert. Stolz und Vorurteil ist zugleich romantisch und realistisch, unterhaltsam und intellektuell anspruchsvoll – ein Meisterwerk, das an seiner Brillanz bis heute nichts eingebüßt hat.
Jane Austens Stolz und Vorurteil ist lesenswert, weil…
👉 … es zeitlose menschliche Schwächen entlarvt.
Wie erwähnt, ist es für mich nicht immer so einfach die Begriffe Stolz und Vorurteil nur einer Figur zuzuweisen. Allerdings könnte eine konkrete Zuweisung auf folgende Erkenntnisse verweisen: Elizabeth Bennet lernt, ihre vorschnellen Urteile zu prüfen, während Mr. Darcy letztlich seinen Stolz ablegt. Beide durchlaufen während der Handlung eine persönliche Entwicklung, ihre Liebesbeziehung am Ende wird erst durch ausreichend Selbstreflexion möglich. Aus dieser Perspektive wird deutlich, dass Liebe nur entstehen kann, wenn man sich seiner eigenen Fehler und eigenem Fehlverhalten bewusst wird. Vielleicht wirken gerade aus diesem Grund die Figuren bis heute so realistisch und hinsichtlich ihrer Denkweise und Handlungen nachvollziehbar. Denn die Überwindung des eigenen Egos ist ein zeitloses Thema.
👉 mit scharfem Witz gesellschaftliche Konventionen kritisiert werden.
Jane Austen seziert die englische Gesellschaft des frühen 19. Jahrhunderts mit ironischer Präzision und entlarvt Heuchelei, Standesdenken und Oberflächlichkeit. Insbesondere die scharfzüngige Protagonistin Elizabeth ist dabei Sprachrohr für Kritik an absurden Verhaltensregeln sowie Ehe- und Partnersuche. Allüren des Standes werden an Figuren wie Mr. Collins oder Lady Catherine de Bourgh karikiert, ihre Arroganz und Dummheit satirisch bloßgestellt. Austens Humor ist subtil und intelligent, nie plump oder falsch angesetzt. Wie schon erwähnt, ist diese Thematik zeitlos und historisch übertragbar, was dem Roman eine besondere Aktualität außerhalb der erzählten Liebesgeschichte verleiht.
👉 Elizabeth Bennet eine der stärksten weiblichen Figuren der Literaturgeschichte ist.
I said what I said – und trotzdem heiratet sie aber am Ende! Ich bin ja auch ein Fan von Austens Überredung. Über dieses Thema gibt es etliche wissenschaftliche Debatten und ich bin hier nicht die erste, die das anspricht. Ich will es aber für diejenigen erwähnen, die zu einseitig an diesen Aspekt herangehen. Also jedenfalls, ja, Elizabeth verweigert die Verheiratung mit Mr. Collins; sie will nicht aus finanziellen Gründen heiraten, besteht auf ihr Recht nach Selbstbestimmung, weil für sie eine Heirat nur aus Liebe in Betracht gezogen wird (gerade darin liegt ja der „Witz“, erhält sie am Ende den reichen und gutaussehenden Mann). Also vordergründig könnte man Elizabeth als Figur Mut, Integrität und Intelligenz zuschreiben, weil sie in einer Zeit, in der von Frauen genau das Gegenteil verlangt wurde, eben nicht gemäß den gesellschaftlichen Konventionen handelt. Sie lässt sich also nicht vom gesellschaftlichen Druck korrumpieren, auch nicht von materiellen Verlockungen. Ihre Gespräche mit Mr. Darcy sind schlagfertig, gewitzt und scharf – eine Freude bei der Lektüre.
👉 wie gesellschaftliche Strukturen und individuelle Wahrnehmung einander formen und wie Erkenntnis nur durch die Revision des eigenen Urteils möglich wird.
Vielleicht liegt der besondere Reiz von Austens Werk darin, dass es sich nicht um eine kitschige Lovestory handelt, weil die Beziehung zwischen Elizabeth und Darcy sich als realistischer Prozess voller Fehleinschätzungen langsam entwickelt. Beide müssen zuerst Empathie füreinander gewinnen, hinter die Fasse des anderen schauen und lernen, die eigenen Vorurteile zu überwinden. Austen zeigt, dass eigene Schlussfolgerungen auch immer mitgeprägt sind von gesellschaftlichen Erwartungen, die kommunikative Missverständnisse in Bezug auf das Gegenüber hervorbringen können und Beziehungen beeinflussen. Die langsame Annäherung von Elizabeth und Darcy wirkt daher authentisch und nicht überzogen, was ihre Liebesgeschichte glaubwürdig erscheinen lässt.
👉 jede Szene, jede Figur und jeder Dialog sich in die Gesamtkonstruktion der Erzählung nahtlos einfügen, ohne dass eine offensichtliche Mechanik konstruiert wird.
Die Eleganz des Romans liegt in seiner ökonomischen Präzision. Austen verschwendet keine Silbe: Die lächerlichen Anträge von Mr. Collins zeigen in ihrer Komik gleichzeitig den sozialen Druck, dem Elizabeth als unverheiratet Frau ausgesetzt ist. Die Arroganz der Lady Catherine de Bourghs dient der Charakterisierung von Menschen ihres Standes und ebnet den Weg für die Wandlung Darcys. Es wird deutlich, aus welchem Milieu er kommt und was es für ihn bedeutet, sich daraus zu lösen. Elizabeth muss Wickham näherkommen, damit sie ihre eigene Urteilsfähigkeit in Frage stellt. Jedes Element fügt sich ins Ganze, ohne dass der Text moralisch belehrend oder konstruiert wirkt.
Die Gespräche untermauern diese literarische Präzision: Sie sind Informationsvermittlung und Schauplätze der sozialen Auseinandersetzung zugleich. Man kann das daran erkennen, wer wann spricht, wer wann schweigt oder wer etwas ansprechen darf, definiert, erklärt, definiert oder bestimmt. Das ist nicht nur in Gesprächen zwischen Figuren unterschiedlichen Standes der Fall, sondern auch im Kleinen bei Gesprächen zwischen Elizabeth und Darcy, weil es letztlich um Deutungshoheit, Anerkennung und Selbstbehauptung geht – nicht nur zwischen Vertretern verschiedener Stände, sondern auch zwischen Frau und Mann. Dabei wird die Sprache selbst zur Handlung, was ohne die Figuren und ihr Sprechen nicht möglich wäre.
Dabei liest der Roman sich leicht, es ist ein Vergnügen, weil die Konstruktion unterschwellig und perfekt ist. Insofern beweist Jane Austen, dass literarische Intelligenz und Unterhaltung sich nicht ausschließen, sondern zusammen besonders stark wirken können.
Kleiner Tipp am Rande: https://www.youtube.com/watch?v=Zz767NyTX30&list=WL&index=1&t=262s
Bitte zu beachten, dass bei dem folgenden Auszug Elizabeth in Elisabeth übersetzt wurde – dies nimmt meiner Ansicht nach der Figur hinsichtlich der Aussprache die Scharfzüngigkeit, doch das ist nur eine persönliche Meinung.
Zitiert: Vorgeschmack auf eine begeisternde Lektüre von Stolz und Vorurteil
Herr Bingley sah gut aus und machte einen vornehmen Eindruck. Er hatte ein angenehmes Äußeres und gab sich zwanglos und natürlich. Seine Schwestern waren schöne Frauen von ausgeprägt vornehmlicher Lebensart. Sein Schwager, Herr Hurst, sah aus, wie ein Gentleman eben aussieht. Doch sein Freund Darcy stand bald im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des ganzen Salles, was nicht nur auf seine schöne, stattliche Gestalt, sein hübsches Gesicht und seine edlen Züge zurückzuführen war, sondern auch auf die Nachricht, die innerhalb von fünf Minuten nach seinem Eintritt die Runde machte, daß er nämlich ein Einkommen von jährlich zehntausend Pfunde habe. Die Herren stellten fest, er wirke stattliche und männlich, und die Damen erklärten, er sein noch viel hübscher als Herr Bingley. Ungefähr den halben Abend lang wurde er angestaut, bis sein Verhalten einen derartigen Widerwillen erregte, daß die Flut der Beliebtheit wieder von ihm abebbte. Man fand nämlich heraus, daß er stolz, hochnäsig und viel zu blasiert war, als daß er sich wirklich hätte amüsieren können; und sein ganzes großes Besitztum in Derbyshire konnte ihn nicht davor bewahren, ein höchst abstoßendes, unangenehmes Gesicht zugeschrieben zu bekommen und für einen Vergleich mit seinem Freund einfach unwürdig befunden zu werden. Herr Bingley hatte sich bald mit allen maßgebenden Leuten im Saal bekannt gemacht. Er war munter und freimütig, tanzte jeden Tanz, war ungehalten darüber, daß der Ball so zeitig zu Ende ging und sprach davon, daß er selbst einmal einen in Netherfield veranstalten wolle. Solch liebenswürdige Eigenschaften mußten natürlich für sich selber sprechen. Welch ein Unterschied zwischen ihm und seinem Freund! Herr Darcy tanzte nur einmal mit Frau Hurst und einmal mit Fraulein Bingley, lehnte es ab, sich einer anderen Dame vorstellen zu lassen und verbrachte den ganzen übrigen Abend damit im Saal auf und ab zu gehen und gelegentlich mit einem seiner engeren Bekannten zu sprechen. Sein Charakterbild stand nun ein für allemal fest: Er war der stolzeste, unangenehmste Mann auf der Welt, und jeder hoffte, daß er nie wieder dorthin kommen würde. Zu denen, die am meisten gegen ihn aufgebracht waren, gehörte Frau Bennet, deren allgemeine Abneigung gegen sein Verhalten noch im besonderen dadurch gesteigert worden war, daß er eine ihrer Töchter hatte sitzenlassen.
Elisabeth Bennet hatte nämlich wegen des Herrenmangels zwei Tänze über sitzen müssen, und dabei hatte Herr Darcy eine Zeitlang so nahe neben ihr gestanden, daß sie eine Unterhaltung zwischen ihm und Herrn Bingley mit anhören mußte; Bingley hatte seinen Tanz für ein paar Minuten unterbrochen, um seinen Freund zum Mitmachen zu bewegen.
»Komm, Darcy«, sagte er, »laß dir gut zureden und tanze! Ich kann es kaum ansehen, wie due hier so albern allein herumstehts. Es wäre doch viel besser, du machtest mit!«
»Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Du weißt, wie ich es verabscheue, wenn ich mit meiner Partnerin nicht näher bekannt bin. Und in so einer Gesellschaft wie der hier wäre es ganz unerträglich. Deine Schwestern sind engagiert, und sonst ist keine Frau im Saal, mit der zu tanzen nicht eine Strafe für mich wäre.«
»Ich würde nicht so wählerisch sein wie du«, rief Bingley, »nicht für ein Königreich! Auf Ehre, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie so vielen reizenden Mädchen begegnet wie heute abend, und siehst du, einige davon sind ganz besonders hübsch.«
»Du freilich tanzt mit dem einzigen hübschen Mädchen im Saal«, sagte Darcy und schaute das älteste Fräulein Bennet an.
»O ja, sie ist das schönste Mädchen, das ich jemals gesehen habe! Doch da sitzt eine ihrer Schwestern direkt hinter dir, die auch sehr hübsch und auf jeden Fall sehr nett ist . Ich will meine Partnerin bitten, dich vorzustellen.«
»Welche meinst du denn?« Er wandte sich um und mustere einen Augenblick lang Elisabeth; doch als sich ihre Augen trafen, blickte er weg und sagte kühl: »Sie sieht ganz erträglich aus, doch nicht schön genug, um einen Mann wie mich in Versuchung zu führen; und ic bin augenblicklich nicht in der Stimmung, mich um junge Damen zu kümmern, die von anderen Männern sitzengelassen worden sind. Geh also lieber wieder zu deiner Tänzerin, und laß dich von ihrem Lächeln entzücken, denn mit mir vergeudest du nur deine Zeit.«
Herr Bingley folgte seinem Rat. Darcy entfernte sich und ließ Elisabeth mit nicht eben herzlichen Gefühlen für ihn zurück. Sie schilderte jedoch den Vorfall sehr witzig ihren Freundinnen, denn bei ihrem lebhaften, heiteren Temperament griff sie entzückt alles auf, was ihr lächerlich erschien.
Aus: Jane Austen: Stolz und Vorurteil. Aus dem Englischen von Werner Beyer. Mit einem Nachwort von Helmut Findeisen. 3. Auflage. Frankfurt am Main 2008, S. 14-16.
Informationen zu Jane Austen als Autorin – Leben und Werk
Unter dem Pseudonym „By a Lady“ veröffentlicht waren Austens Werke zu ihren Lebzeiten kaum bekannt. Dennoch gilt Jane Austen (1775-1817) als eine der bedeutendsten englischen Schriftstellerinnen. Sie wuchs als siebtes von acht Kindern eines Pfarrers in Steventon, Hampshire, in einem nicht wohlhabenden Umfeld auf. Doch hatte sie Zugang zu der Bibliothek ihres Vaters, was ihr intellektuelle Anregungen bot, die anderen Frauen ihrer Zeit verwehrt blieb. Mit dem Schreiben begann sie sehr früh, wobei sie zunächst im Familienkreis satirische Kurzgeschichten zeigte. Jane Austen blieb Zeit ihres Lebens unverheiratet und war daher finanziell von ihrem Vater und nach seinem Tod von ihren Brüdern abhängig. Die soziale und ökonomische Abhängigkeit mit dem daran geknüpften Druck zur Verheiratung in ein sicheres Verhältnis findet sich in verschiedenen Konstellationen in ihren Romanen verarbeitet wieder. 1817 starb sie im Alter von nur 41 Jahren. Es ist sehr schade, dass Jane Austens erst posthum Anerkennung und literarischen Ruhm für ihr Werk erhielt.
Jane Austens 6 vollendete Werke:
- Verstand und Gefühl (Sense and Sensibility, 1811) – ihr erster veröffentlichter Roman
- Stolz und Vorurteil (Pride and Prejudice, 1813) – ihr berühmtestes Werk
- Mansfield Park (1814) – komplexer, moralisch ambivalenter Roman
- Emma (1815) – Geschichte einer wohlhabenden jungen Frau als Kupplerin
- Northanger Abbey (postum 1817) – Parodie auf Gothic Novels
- Überredung (Persuasion, postum 1817) – reifster, melancholischster Roman
Zusammenfassung der Handlung von Stolz und Vorurteil
Die Geschichte spielt im ländlichen England um 1812, die Familie Bennet ist mit fünf Töchtern Jane, Elizabeth, Mary, Kitty und Lydia, gesegnet. Im Verlaufe der Handlung steht besonders Elizabeth als zweitälteste Tochter im Mittelpunkt. Die Mutter sorgt sich um die zukünftige Versorgung ihrer Töchter, denn das Familienerbe geht nur an männliche Nachfolger. Als der wohlhabende Mr. Bingley ins Nachbarhaus zieht, hofft man auf eine gute Partie. Man macht sich also bekannt und trifft sich fortan bei gesellschaftlichen Anlässen, wo Elizabeth Mr. Darcy begegnet, Bingleys Freund. Er verhält sich Elizabeth gegenüber zunächst stolz und abweisend, woraufhin sie ihn für arrogant hält, während Darcy Vorurteile gegenüber ihrer Familie und ihrer gesellschaftlichen Stellung hat. Durch Missverständnisse, Enthüllungen und Begegnungen werden die gegenseitigen Fehlurteile beider herausgefordert. Neben der Hauptliebesgeschichte werden Nebenfiguren und Familienkonflikte humorvoll und bedeutungsvoll in die Erzählung eingebettet. Am Ende überwinden Elizabeth und Darcy ihren Stolz sowie ihre Vorurteile und können gesellschaftliche Schranken überwinden.
Figurenliste Stolz und Vorurteil / List Characters Pride and Prejudice
Elizabeth Bennet
- Protagonistin, zweitälteste Bennet-Tochter, ca. 20 Jahre alt
- Funktion: Hauptidentifikationsfigur, moralisches Zentrum, Trägerin der Handlung
- Entwicklung: Überwindet ihr Vorurteil und lernt, differenzierter zu urteilen
- Intelligente, witzige, selbstbewusste Frau, die sich nicht verbiegen lässt
Fitzwilliam Darcy
- Protagonist, wohlhabender Gutsherr von Pemberley, ca. 28 Jahre alt
- Funktion: Held und anfänglicher Antagonist, Objekt von Elizabeths Vorurteil
- Entwicklung: Überwindet seinen Stolz und seine Standesvorurteile
- Zunächst arrogant wirkend, dann als integer und großzügig erkennbar
Jane Bennet
- Älteste und schönste Bennet-Schwester
- Funktion: Kontrastfigur zu Elizabeth, positive Parallelhandlung
- Sanft, schön, zurückhaltend – das traditionelle weibliche Ideal
- Ihre Liebe zu Bingley ist unkomplizierter als Elizabeths zu Darcy
Charles Bingley
- Darcys bester Freund, wohlhabend, mietet Netherfield
- Funktion: Liebhaber Janes, Kontrastfigur zu Darcy
- Freundlich, unkompliziert, leicht beeinflussbar
- Verkörpert sympathische Eigenschaften ohne Darcys Komplexität
Mr. Bennet
- Vater der fünf Töchter, Gutsherr von Longbourn
- Funktion: Ironischer Kommentator, aber auch verantwortungsloser Vater
- Intelligent und witzig, aber zynisch und passiv
- Seine Vernachlässigung der Familienpflichten hat Konsequenzen (Lydia)
Mrs. Bennet
- Mutter der fünf Töchter
- Funktion: Komische Figur, aber auch Verkörperung der ökonomischen Zwangslage
- Nervig, oberflächlich, statusbewusst – aber ihre Sorgen sind berechtigt
- Satire auf mütterlichen Heiratseifer, aber nicht nur karikiert
Mr. Collins
- Pfarrer, entfernter Vetter, wird Longbourn erben
- Funktion: Komische Figur, satirische Darstellung von Servilität und Selbstgefälligkeit
- Absurd devot gegenüber Lady Catherine, selbstgerecht und humorlos
- Sein Heiratsantrag an Elizabeth ist eine der komischsten Szenen
Charlotte Lucas
- Elizabeths beste Freundin, 27 Jahre alt
- Funktion: Realistische Alternative zu Elizabeths Idealismus
- Pragmatisch, intelligent genug zu wissen, was sie tut
- Ihre Ehe mit Collins zeigt die begrenzte Wahlmöglichkeit von Frauen
George Wickham
- Charmanter Offizier
- Funktion: Falscher Held, Verführer, Antagonist
- Oberflächlich attraktiv, aber charakterlos und verantwortungslos
- Verkörpert die Gefahr des schönen Scheins
Lydia Bennet
- Jüngste Bennet-Schwester, ca. 15 Jahre alt
- Funktion: Warnendes Beispiel für Verantwortungslosigkeit
- Frivol, unreif, von sexuellem Begehren getrieben
- Ihr Skandal (Durchbrennen mit Wickham) gefährdet die Familie
Lady Catherine de Bourgh
- Darcys Tante, aristokratische Witwe
- Funktion: Antagonistin, Verkörperung von Standesarroganz
- Herrschsüchtig, anmaßend, absurd in ihrer Selbstherrlichkeit
- Ihre Opposition gegen Elizabeth-Darcy führt paradoxerweise zur Vereinigung
Mr. und Mrs. Gardiner
- Elizabeths Onkel und Tante mütterlicherseits, aus dem Handelsbürgertum
- Funktion: Positive Elternfiguren, moralisch überlegene Bürgerliche
- Zeigen, dass Klasse nicht mit Wert gleichzusetzen ist
- Ermöglichen Elizabeths Reise nach Pemberley (Wendepunkt)
Caroline Bingley
- Bingleys Schwester, unverheiratet
- Funktion: Antagonistin, Rivalin um Darcy
- Snobistisch, intrigant, neidisch auf Elizabeth
- Verkörpert weibliche Konkurrenz und falsche Vornehmheit
Georgiana Darcy
- Darcys jüngere Schwester, ca. 16 Jahre alt
- Funktion: Opfer Wickhams, verbindet die Geschichten
- Schüchtern, talentiert, wurde fast von Wickham verführt
- Zeigt Darcys beschützende, liebevolle Seite
Mary, Catherine (Kitty) Bennet
- Mittlere Bennet-Schwestern
- Funktion: Nebenfiguren, Kontrastfolie
- Mary: gelehrt wirkend, aber ohne Verstand; Kitty: Lydias Mitläuferin
- Zeigen verschiedene Formen weiblicher Unzulänglichkeit
Populäre Rezeption von Janes Austens Stolz und Vorurteil
Wie gesagt, erhielt Jane Austen für Pride and Prejudice bzw. Stolz und Vorurteil nicht das Maß an Aufmerksamkeit und Anerkennung, die ihren Werken posthum zuteilwurden. Die populäre Rezeption des Romans hat besonders im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert explosionsartig zugenommen. Mittlerweile gibt es über 30 Film- und Fernsehverfilmungen – und alle betonen für sich verschiedene Aspekte des Romans, abgestimmt auf das Publikum und die Zielgruppe mit Blick auf die zeitgenössischen Hintergründe und das jeweilige Erscheinungsmedium.
Unter frühen relevanten Adaptionen befindet sich die MGM-Version von 1940 mit Greer Garson als Elizabeth und Laurence Olivier als Darcy. Die BBC-Verfilmung von 1980 mit Elizabeth Garvie und David Rintoul wurde lange als Standardadaption betrachtet, bevor sie von der sechsteiligen BBC-Serie von 1995 als Standard abgelöst wurde. Aus dieser Miniserie stammt auch der oben aufgeführte YouTube-Clip.
In dieser bis heute als populärste Version geltenden Adaption spielt Colin Firth den Mr. Darcy und Jennifer Ehle die Elizabeth Bennet. Die Serie ist auch mein persönlicher Favorit, um das am Rande einzustreuen. Colin Firths Darstellung des zunächst arroganten, dann verletzlichen Darcy (man achte auf die Szene, in der er voll bekleidet schwimmen geht) prägte das Bild der Figur für eine ganze Generation. Jennifer Ehle spielt die Elizabeth mit scharfer Intelligenz, Charme und Witz, sodass die Unabhängigkeit ihrer Figur besonders hervorsticht.
Der Kinofilm Pride and Prejudice von 2005 unter der Regie von Joe Wright mit Keira Knightley als Elizabeth und Matthew Macfadyen als Darcy wählte einen romantischeren, visuell opulenteren Ansatz. Mir gefällt die ununterbrochene Kamerafahrt durch die Feierszene auf Netherfield besonders gut. Keira Knightley brachte eine jugendliche Frische und Lebendigkeit in die Rolle, während Macfaydens Darcy verletzlicher und weniger distanziert wirkte als Firths Version. Einige Kritiker bemängelten die romantische Überzeichnung sowie Kürzungen, doch machte der Film Janes Austens Werk einem jüngeren und internationaleren Publikum wieder zugänglich.
Neben klassischen Adaptionen entstanden zahlreiche Neuinterpretationen, von denen Bridget Jones’s Diary (2001) wohl diejenige ist, die auch Nicht-Austen-Fans bekannt ist, da der Film die Geschichte ins moderne London überträgt. Das zeigt, dass Austens Themen nicht zeitgebunden, sondern universell gültig sind. In den Hauptrollen finden sich Renée Zellweger, Colin Firth (in ironischer Selbstreferenz als Mark Darcy) und Hugh Grant.
Ein aktueller Film ist die französische Komödie Jane Austen und das Chaos in meinem Leben (2024), die Jane Austens Werk mit gegenwärtigen Beziehungsfragen verbindet.
Eine Nummer schräger: Pride and Prejudice and Zombies (2016) mit Lily James und Sam Riley verband den Originaltext mit einem Zombie-Horror-Szenario. Fire Island (2022) mit Joel Kim Booster und Bowen Yang verlegte die Handlung in die queere Community und zeigte eindrucksvoll die Übersetzbarkeit von Austens Gesellschaftskritik in völlig neue Kontexte.
Indische Bollywood-Versionen wie Bride and Prejudice (2004) mit Aishwarya Rai, versetzten den Roman in einen interkulturellen Kontext. Die Webseries The Lizzie Bennet Diaries (2012-2013) erzählte die Geschichte als moderne Vlog-Serie und erreichte ein digitales Publikum von Millionen.
Über die Filme hinaus hat sich eine ganze Austen-Kultur, die sogenannte Austenmania entwickelt. Es gibt Fankultur, Kostümfeste, Jane-Austen-Tourismus (mit Besuchen von Austens Wohnorten und den Drehorten der Verfilmungen wie Chatsworth House oder Lyme Park), Fortsetzungen, Prequels, Perspektivwechsel (etwa aus Darcys Sicht) und Fan-Fiction. In der digitalen Kultur sind Austens Werke allgemein mit Memes, BookTock oder Podcasts präsent.
Quelle
Jane Austen: Stolz und Vorurteil. Aus dem Englischen von Werner Beyer. Mit einem Nachwort von Helmut Findeisen. 3. Auflage. Frankfurt am Main 2008, S. 14-16.
Originalausgaben sind auch online einsehbar und zwar unter diesem Link.
Literaturvorschläge:
Einführungen und Handbücher
Johnson, Claudia L. / Tuite, Clara (Hrsg.): A Companion to Jane Austen. 2009.
Todd, Janet (Hrsg.): The Cambridge Companion to Pride and Prejudice. 2013.
Copeland, Edward / McMaster, Juliet (Hrsg.): The Cambridge Companion to Jane Austen. 2011.
Le Faye, Deirdre: Jane Austen: A Family Record. 2004.
Tomalin, Claire: Jane Austen: A Life. 1997.
Zu Stolz und Vorurteil
Irvine, Robert P.: Jane Austen: Pride and Prejudice. 2010.
Tredell, Nicolas (Hrsg.): Pride and Prejudice: A Reader’s Guide to Essential Criticism. 2006.
Klassische literaturwissenschaftliche Studien
Butler, Marilyn: Jane Austen and the War of Ideas. 1975.
Poovey, Mary: The Proper Lady and the Woman Writer. 1984.
Tanner, Tony: Jane Austen. 1986.
Duckworth, Alistair M.: The Improvement of the Estate. 1971.
Online-Ressourcen und neuere Forschung
JASNA (Jane Austen Society of North America): Website mit Fachartikeln und Essays.
The Jane Austen Centre Blog: Fachbeiträge und Rezeption.
Persuasions: Wissenschaftliche Zeitschrift der JASNA.
- Stolz und Vorurteil – Jane Austens zeitloser Roman über Liebe, Missverständnisse und gesellschaftliche Konventionen – 11. Dezember 2025
- Die Schneekönigin – Andersens poetische Erzählung über die Rettung eines gefrorenen Herzens – 10. Dezember 2025
- Zauber der Stille: Illies‘ Hommage an Caspar David Friedrich – 9. Dezember 2025