Zuletzt bearbeitet am 13. April 2025
Die siebte Sprachfunktion, ein Roman von Laurent Binet, setzt sich mit Sprache und Intertextualität auseinander und stellt unter Beweis, dass Literatur- und Sprachwissenschaftler eindeutig die besseren Detektive sind. In der folgenden Szene spricht der berühmte Roland Barthes im Delirium aus dem Krankenbett heraus von seinem unvollendeten Buch.
„Jeder Text ist in seiner Masse dem Sternenhimmel vergleichbar, flach und tief zugleich, glatt, ohne Randkonturen, ohne Merkpunkte. So wie der Seher mit der Spitze seines Stabs darin ein fiktives Rechteck herausnimmt (abteilt), um darin nach bestimmten Prinzipien den Flug der Vögel zu erkunden, zeichnet der Kommentator dem Text entlang Lektürebereiche auf, um darin die Wanderwege der Bedeutungen, die sanfte Berührung der Codes, das Vorbeigehen der Zitate zu beachten.“ –
Bayard blickt wütend zu Herzog, dessen ratloser Gesichtsausdruck ihm unmissverständlich bedeutet, dass er nicht in der Lage ist, ihm dieses Kauderwelsch zu übersetzen. Barthes ist nun am Rand der Hysterie und schreit, als ob es um sein Leben ginge:
„Alles ist Text! Verstehen Sie! Den Text wiederfinden! Die Funktion! Ach, das ist zu dumm!“ Dann fällt er zurück in sein Kissen und murmelt, fast psalmodierend: „Die Lexie ist nur die Kammlinie des pluralen Textes, der wie die Sandbank möglicher (aber geregelter, durch systematische Lektüre bezeugter) Bedeutungen unter dem Fluss des Diskurses liegt: die Lexie und ihre Einheiten werden somit so etwas wie einen facettenartigen Kubus bilden, der vom Wort, von Wortgruppen vom Satz oder vom Absatz, anders gesagt, von der Sprache, die sein ‹natürliches› Bindemittel ist, überlagert wird.“
Laurent Binet: Die siebte Sprachfunktion. Aus dem Französischen von Kristian Wachinger. 2. Auflage, Hamburg 2017, S. 77-78.
Zusammenfassung der Handlung Die siebte Sprachfunktion:
Die siebte Sprachfunktion von Laurent Binet ist ein faszinierender Roman, der das Genre des Kriminalromans mit intellektuellen und philosophischen Elementen verknüpft. Die Geschichte beginnt mit dem mysteriösen Tod des französischen Philosophen Roland Barthes, der 1980 tatsächlich durch einen Unfall verstarb. Dieser reale Vorfall bildet den Ausgangspunkt für die Erzählung.
Im Zentrum des Romans steht die Untersuchung des Todes von Barthes. Kommissar Bayard und der junge Philosophiedozent Simon Herzog werden beauftragt, den Fall aufzuklären. Sie stoßen auf ein geheimnisvolles Dokument, das eine bislang unbekannte siebte Sprachfunktion enthält. Diese Funktion verleiht ihrem Beherrscher die Fähigkeit, die Gedanken und Handlungen anderer Menschen zu kontrollieren. Dieses Dokument wird zum Dreh- und Angelpunkt der Handlung und führt die Charaktere auf die Spur einer gefährlichen Verschwörung.
FAQ – Die siebte Sprachfunktion von Laurent Binet
Worum geht es in Die siebte Sprachfunktion?
Der Roman ist ein literarischer Kriminalthriller und eine intellektuelle Satire. Im Zentrum der Handlung steht der Tod des französischen Semiotikers Roland Barthes im Jahr 1980. Binet konstruiert ein fiktives Szenario, in dem Barthes ermordet wird, weil er im Besitz eines Dokuments zur geheimen „siebten Sprachfunktion“ war – einer Sprache, die absolutes Überzeugen ermöglicht. Damit wird das Dokument natürlich in den Händen der falschen Leute äußerst gefährlich.
Ist das Die siebte Sprachfunktion eine wahre Geschichte?
Nein, der Roman ist Fiktion. Zwar verwendet Binet reale historische Figuren (z. B. Michel Foucault, Julia Kristeva, Umberto Eco), aber die Handlung ist erfunden. Es ist ein Spiel mit Fakten und Spekulationen, das Elemente von Thriller, Satire und intellektuellem Roman mischt.
Was ist die „siebte Sprachfunktion“?
In Die siebte Sprachfunktion ist es eine hypothetische Erweiterung der sechs Sprachfunktionen nach Jakobson – eine Art performativer Super-Sprechakt, der dem Sprecher die Macht verleiht, andere allein durch Sprache zu beherrschen. Sie steht metaphorisch für die Macht der Rhetorik und Sprache im politischen und gesellschaftlichen Kontext.
Muss man sich mit Semiotik oder Philosophie auskennen, um das Buch zu verstehen?
Nicht unbedingt. Ein Grundinteresse an Sprache, Philosophie und französischer Geistesgeschichte ist hilfreich, aber Binet erklärt vieles durch seinen ironischen Erzählstil und über die Figuren. Simon Herzog erklärt als Literaturwissenschaftler Bayard, worum es genau geht – das dient insofern als Übersetzer für Leserinnen und Leser, die sich in der Szene nicht auskennen. Wer bereit ist, sich auf ein wildes intellektuelles Spiel einzulassen, wird auch ohne Vorwissen Spaß haben.
Ist das Buch eher Krimi, Satire oder Intellektuellenroman?
Alles zugleich – und gerade das macht Die siebte Sprachfunktion besonders. Binets Werk funktioniert als intellektueller Thriller, ist aber zugleich eine literarische Parodie auf das französische Theorie-Establishment der 1980er Jahre. Aus diesem Grund ist es auch für ein breites Publikum interessant, weil sich jede Zielgruppe angesprochen fühlen kann.
Gibt es reale historische Ereignisse, die Binet verändert?
Ja. Zum Beispiel wird der tatsächliche Verkehrsunfall Roland Barthes’ zur Ausgangslage für einen fiktiven Mordfall gemacht. Auch die Darstellung der Pariser Intellektuellenszene ist überspitzt, spielt aber mit realen Debatten und Persönlichkeiten der Zeit. Das verleiht dem Roman allerdings eine unterhaltsame und humoristische Note, die auch Neugier auf die wissenschaftlichen Diskurse wecken kann.
Was sind die sechs Sprachfunktionen nach Roman Jakobson?
Roman Jakobson unterscheidet sechs grundlegende Funktionen der Sprache, je nachdem, worauf sich die Kommunikation konzentriert:
- Emotive (expressive) Funktion – Ausdruck der Gefühle oder Haltung des Sprechers
→ „Ich bin so müde.“ - Konative Funktion – Einfluss auf den Hörer, meist durch Befehle oder Aufforderungen
→ „Komm her!“ - Referentielle Funktion – Mitteilung von Informationen über die Welt
→ „Heute ist Montag.“ - Phatische Funktion – Herstellung oder Aufrechterhaltung des Kontakts
→ „Hallo? Hörst du mich?“ - Metasprachliche Funktion – Sprache über Sprache, z. B. Erklärungen
→ „‚Synonym‘ bedeutet ‚gleichbedeutend‘.“ - Poetische Funktion – Fokus auf den sprachlichen Ausdruck selbst, z. B. in Literatur, Werbung, Poesie
→ „Ein bisschen Spaß muss sein.“
Im Roman Die siebte Sprachfunktion geht es fiktiv um eine siebte Funktion, die über alle hinausgeht: eine Sprache mit magischer Überzeugungskraft, die jeden Diskurs gewinnt – eine Art rhetorische Supermacht. Und wie sich wohl jeder vorstellen kann ist solch ein Wissen in den Händen der falschen Leute natürlich sehr gefährlich!
Figurenübersicht und Rollen in Die siebte Sprachfunktion
Figur | Rolle im Roman | Reale Entsprechung / Kommentar |
---|---|---|
Roland Barthes | Semiotiker, angeblich im Besitz der siebten Sprachfunktion, stirbt bei einem mysteriösen Unfall | Realer französischer Theoretiker. Star der strukturalistischen und poststrukturalistischen Szene, tatsächlich 1980 bei einem Verkehrsunfall gestorben. |
Simon Herzog | Literaturwissenschaftler, Sidekick des Ermittlers Bayard, kennt sich mit Semiotik aus | Fiktiv. Dient als Vermittler zwischen Leser und Theorie. Könnte als Hommage an Sherlock Holmes‘ Dr. Watson gelesen werden – nur mit semiotischem Spezialwissen. |
Kommissar Bayard | Polizist, der mit Herzog zusammenarbeitet. Ungebildet, aber pragmatisch. | Fiktiv. Seine Figur parodiert den Gegensatz von Theorie und Praxis. |
Julia Kristeva | Philosophin und Linguistin, Figur im Verdacht | Reale bulgarisch-französische Intellektuelle. War mit Philippe Sollers verheiratet. |
Philippe Sollers | Schriftsteller, arrogant, verdächtig | Realer französischer Schriftsteller und Gründungsmitglied von Tel Quel. |
Michel Foucault | Philosoph, genießt Skandale, wird humorvoll dargestellt | Realer Philosoph, bekannt für Macht- und Sexualitätstheorien. Im Roman grotesk überspitzt, aber mit Wiedererkennungswert. |
Jacques Derrida | Philosoph, dekonstruiert alles | Realer Begründer der Dekonstruktion. Auch seine Figur ist eine Karikatur. |
Umberto Eco | Sympathischer Helfer, intellektueller Ermittler | Realer italienischer Semiotiker und Autor von Der Name der Rose. Im Roman eine Art spiritueller Mentor. |
François Mitterrand | Politiker, Präsident in spe, involviert in die Machenschaften um die siebte Funktion | Realer französischer Präsident (1981–1995). |
Giscard d’Estaing | Präsident, will Macht der Sprache | Realer Präsident vor Mitterrand. Auch hier: Fiktionalisierung historischer Figuren im Machtspiel. |
Dominique Strauss-Kahn | Aufstrebender Politiker | Reale politische Figur. Im Roman noch jung, schon ehrgeizig. |
Louis Althusser | Philosoph, spielt im Hintergrund eine Rolle | Real, tötete tatsächlich seine Frau – auch das findet Eingang ins Buch. |
Greimas, Benveniste, Jakobson | Theoretiker, treten am Rande auf oder werden erwähnt | Alles reale Linguisten/Semiotiker, die Einfluss auf Barthes hatten. |
Intertextualität in Die siebte Sprachfunktion
Die Intertextualität in Die siebte Sprachfunktion ist ein beeindruckendes Merkmal des Romans. Laurent Binet webt zahlreiche philosophische Theorien und literarische Werke geschickt in die Handlung ein. Dabei parodiert er nicht nur die Denkstile und Persönlichkeiten der Philosophen, sondern bringt auch humorvolle Elemente in die Erzählung ein. Die verschiedenen Zitate und Referenzen sind nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern dienen dazu, die philosophischen Ideen in die Handlung zu integrieren und den Leser zum Nachdenken anzuregen.
Der Roman zeichnet sich durch seine unterhaltsame und zugleich anspruchsvolle Herangehensweise aus. Binet verknüpft geschickt reale historische Ereignisse und Figuren mit fiktionalen Elementen und schafft so eine einzigartige Erzählung. Er bringt die Leser dazu, die Beziehung zwischen Sprache, Macht und Wissen zu hinterfragen.
Besonders bemerkenswert ist, wie Binet die Ideen der verschiedenen Denker in die Handlung einbettet und dadurch eine literarische Collage entstehen lässt. Der Roman ist nicht nur eine spannende Detektivgeschichte, sondern auch eine intellektuelle Reise durch die Welt der Philosophie und Literatur.
Die siebte Sprachfunktion ist ein intelligentes und humorvolles Werk, das die Verbindung von realen historischen Ereignissen mit fiktionalen Elementen auf meisterhafte Weise herstellt. Es ist ein literarischer Genuss für Leser, die sich sowohl von anspruchsvoller Intertextualität als auch von einer packenden Handlung faszinieren lassen.
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