Frühstück bei Tiffany – Truman Capotes zeitlose Novelle über Holly Golightly

Truman Capote: Frühstück bei Tiffany. Aus dem Amerikanischen von Heidi Zerning. 7. Auflage Juli 2024, Zürich/Berlin 2006/2015

Truman Capotes Novelle Frühstück bei Tiffany (Originaltitel: Breakfast at Tiffany’s von 1958) ist eine der ikonischsten Erzählungen der amerikanischen Nachkriegsliteratur – und zugleich eine der am meisten missverstandenen. Tatsächlich habe ich bis vor kurzem selbst nur den Film gekannt. Doch mittlerweile weiß ich die Differenzen zwischen Buchvorlage und Verfilmung zu deuten und damit auch zu schätzen.

Truman Capote: Frühstück bei Tiffany. Aus dem Amerikanischen von Heidi Zerning. 7. Auflage Juli 2024, Zürich/Berlin 2006/2015
Truman Capote: Frühstück bei Tiffany. Aus dem Amerikanischen von Heidi Zerning. 7. Auflage Juli 2024, Zürich/Berlin 2006/2015.

Es ist immer sehr interessant sich den zeitgenössischen Kontext und die ausführenden bzw. mitwirkenden Personen genauer zu betrachten. Was durch die Verfilmung von 1961 mit Audrey Hepburn zum Symbol für glamourösen Chic und romantische Leichtigkeit wurde, ist im Original etwas ganz anderes: eine melancholische, scharfsinnige Studie über Einsamkeit, Selbsterfindung und den hohen Preis der Freiheit.

Frühstück bei Tiffany ist lesenswert, weil…

👉 es die ikonische Holly Golightly als viel komplexere, dunklere und verletzlichere Figur zeigt als der Film – Capotes Holly ist keine romantische Heldin, sondern eine traumatisierte Überlebenskünstlerin, die zwischen Selbsterfindung und Selbstzerstörung balanciert.

👉 die Novelle die New Yorker Gesellschaft der 1940er Jahre seziert – das Milieu der Call-Girls, gescheiterten Künstler, homosexuellen Subkultur und reichen Gönner wird ohne Sentimentalität, aber mit großem Mitgefühl gezeichnet.

👉 Capotes Prosa von betörender Eleganz ist – jeder Satz sitzt, die Dialoge sind brillant, die Beschreibungen atmosphärisch dicht und der Ton changiert meisterhaft zwischen Leichtigkeit und Melancholie.

👉 es eine der eindringlichsten literarischen Darstellungen von Nicht-Zugehörigkeit und existenzieller Heimatlosigkeit ist – Hollys Angst (im Film und der deutschen Übersetzung der Novelle unterscheiden sich die Begriffe), ihre Weigerung, ihren Kater zu benennen, ihr Traum von einem „Tiffany“ sind Metaphern für die moderne Entfremdung.

👉 die Novelle bis heute aktuell ist in ihrer Darstellung von Selbsterfindung, prekärer Weiblichkeit und der Sehnsucht nach einem Leben jenseits gesellschaftlicher Konventionen – Holly ist eine Proto-Feministin, die den Preis für ihre Freiheit kennt und ihn trotzdem zahlt.

Zusammenfassung von Truman Capotes Frühstück bei Tiffany

Die Geschichte spielt im New York der frühen 1940er Jahre und wird rückblickend von einem namenlosen Ich-Erzähler erzählt, der sich an seine außergewöhnliche Nachbarin Holly Golightly erinnert. Holly ist eine junge Frau, die in einem Brownstone in Manhattan lebt, wilde Partys gibt, von reichen Männern ausgehalten wird und davon träumt, eines Tages nach Brasilien zu einem sagenhaft wohlhabenden Liebhaber zu ziehen. Sie ist charmant, exzentrisch, verletzlich und unnahbar zugleich.

Doch hinter der glitzernden Fassade verbirgt sich eine Frau auf der Flucht. Sie flieht vor ihrer Vergangenheit als Kindbraut namens Lulamae Barnes aus dem ländlichen Texas, vor Bindungen jeglicher Art und am meisten vor sich selbst. Als Holly Golightly hat sie sich quasi neu erfunden. Das Thema ist nicht neu, schaut man auf die Serie Inventing Anna und die wahre Geschichte einer Hochstaplerin, die die New Yorker High Society aufmischte. Diese sorgfältig konstruierte Identität zerbricht, als ihr Ehemann Doc Golightly sie zurückzuholen will und sie in einen Drogenschmuggel-Skandal verwickelt wird. Am Ende verschwindet Holly spurlos – vermutlich nach Afrika, vielleicht auch ins Nichts.

Capote zeigt sich in seiner Novelle Frühstück bei Tiffany als Meister der Beobachtung und des Unausgesprochenen. Präzise fängt er die Atmosphäre des Kriegs-New York ein, das Milieu der Society-Girls und gescheiterten Künstler, und vor allem das Rätsel einer Frau, die sich allen Versuchen, sie zu definieren oder zu besitzen, entzieht. Inwiefern dieses in der Novelle aufgerufene Weiblichkeitsbild in den zeitgenössischen Kontext oder Feminismusdebatten passen könnte, sind Fragen, die sicherlich beachtliche Antworten hervorbringen könnten.

Zum Autor Truman Capote

Truman Capote (1924-1984) war eine der schillerndsten und umstrittensten Figuren der amerikanischen Literatur. Geboren als Truman Streckfus Persons in New Orleans, hatte er eine schwierige Kindheit – seine Mutter war jung, überfordert und emotional instabil, sein Vater weitgehend abwesend. Er wuchs größtenteils bei Verwandten in Alabama auf, wo er Harper Lee (die spätere Autorin von Wer die Nachtigall stört) als beste Freundin fand. Es heißt, dass Harper Lee Truman in ihrem Werk als Freund von Scout und Jem literarisch mit eingebunden hat – und zwar als Dill Harris, mit dem sich die Kinder im Sommer anfreunden.

Schon früh zeigte sich sein literarisches Talent. Mit 23 Jahren wurde er mit der Kurzgeschichte Miriam berühmt, 1948 folgte sein Debütroman Andere Stimmen, andere Räume. Capote war offen homosexuell zu einer Zeit, als das gesellschaftlich und rechtlich gefährlich war. Er kultivierte eine exzentrische Persona – hochintelligent, witzig, selbstironisch, aber auch eitel und zunehmend selbstzerstörerisch.

Frühstück bei Tiffany erschien 1958 zunächst als Serie im Magazin Esquire und wurde zu einem sofortigen Erfolg. Der Durchbruch zum Weltstar kam 1965 mit Kaltblütig (In Cold Blood), einer bahnbrechenden Verbindung von Journalismus und Literatur über einen realen Mord in Kansas. Das Buch begründete das Genre des „New Journalism“ oder „Non-Fiction Novel“.

Doch Capotes späte Jahre waren von Alkohol, Drogen und gesellschaftlichem Fall geprägt. Sein geplantes Opus Magnum Answered Prayers, eine schonungslose Abrechnung mit der High Society, die ihn jahrelang hofiert hatte, blieb unvollendet. Die Veröffentlichung einzelner Kapitel führte zum Bruch mit seinen prominenten Freunden. Er starb 1984 mit 59 Jahren an den Folgen seines Lebensstils.

Capote bleibt eine der prägendsten Stimmen der amerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts – ein brillanter Stilist, ein scharfer Beobachter gesellschaftlicher Codes und ein Chronist der Außenseiter und Entwurzelten.

Der Übersetzungskontext im historischen Abgleich von Frühstück bei Tiffany

Eine der eindrücklichsten Szenen der Novelle ist Hollys Erklärung des Unterschieds zwischen dem „grauen Elend“ und dem „roten Elend“. Die Farbe Grau steht hier für gewöhnliche Traurigkeit – man ist deprimiert, weil es regnet, weil man kein Geld hat, weil etwas Konkretes schiefgegangen ist. Diese Form der Traurigkeit ist allgemein als Niedergeschlagenheit bekannt.

Dagegen unterscheidet sich das „rote Elend“ fundamental, weil es sehr viel bedrohlicher ist: Es ist eine grundlose, existenzielle Angst, die einen plötzlich überfällt. Es gibt physische Symptome, die Angst wird erfahrbar und teilweise am Körper sichtbar. Man weiß nicht mehr, wer man ist, wo man ist, was der Sinn von allem sein soll. Holly beschreibt es so, als würde man sich selbst verlieren, als würde die eigene Identität sich auflösen. Ich denke, man kann diese Angst auch als Panikattacke bezeichnen oder als existenzielle Angststörung.

Eine Schlüsselszene: Das „rote Elend“ und Tiffany als Zuflucht

Sie hielt immer noch den Kater im Arm. »Armes Schwein«, sagte sie und kitzelte seinen Kopf, »armes Schwein ohne Namen. Es ist ein bisschen unbequem, dass er keinen Namen hat. Aber ich habe kein Recht, ihm einen zu geben: Er wird warten müssen, bis er jemandem gehört. Wir haben eines Tages am Fluss irgendwie miteinander angebandelt, wir gehören einander nicht; er ist unabhängig, und ich bin’s auch. Ich möchte nichts besitzen, bis ich weiß, ich habe den Ort gefunden, wo ich und das ganze Drumherum zusammengehören. Ich bin mir noch nicht sicher, wo das sein wird. Aber ich weiß, wie das sein muss.« Sie lächelte und ließ den Kater fallen. »Es muss sein wie bei Tiffany«, sagte sie. »Nicht, dass ich mir was aus Schmuck mache. Aus Diamanten schon. Aber es ist geschmacklos, Diamanten zu tragen, bevor man vierzig ist; und selbst dann ist es gewagt. Sie sehen erst bei sehr alten Frauen richtig gut aus. Maria Ouspenskaya. Knochen und Falten, weiße Haare und Diamanten. Ich kann’s gar nicht erwarten. Aber deshalb bin ich nicht verrückt nach Tiffany. Weißt du, kennst du die Rage, wo du das rote Elend hast?«

»Genau wie das graue Elend?«

»Nein«, sagte sie langsam. »Nein, das graue Elend ist, weil man zu dick wird oder es zu lange regnet. Man ist traurig, das ist alles. Aber das fiese rote ist schrecklich. Man fürchtet sich, und man schwitzt wie ein Schwein, aber man weiß nicht, wovor man sich fürchtet. Bloß, dass etwas Schlimmes passieren wird, aber man weiß nicht, was. Hast du das Gefühl schon mal gehabt?«

»Ziemlich oft. Manche nennen es Angst.«

»Na schön. Angst. Aber was macht man dagegen?«

»Ein Schnaps hilft.«

»Damit hab ich’s probiert. Ich hab’s auch mit Aspirin probiert. Rusty meint, ich soll Marihuana rauchen, und das hab ich eine Weile lang getan, aber davon muss ich nur kichern. Ich hab herausgefunden, das Beste ist, in ein Taxi steigen und zu Tiffany zu fahren. Das beruhigt mich sofort, da ist es so still, und alles sieht so vornehm aus; dort kann einem nichts Schlimmes zustoßen, nicht bei diesen freundlichen Herren in ihren schönen Anzügen und diesem wunderbaren Geruch nach Silber und Krokodillederbrieftaschen. Wenn ich im richtigen Leben mal einen Ort finde, wo ich mich so fühle wie Tiffany, dann werde ich Möbel kaufen und dem Kater einen Namen g eben. Ich habe gedacht, vielleicht nach dem Krieg, wenn Fred und ich …« Sie schob die Sonnenbrille hoch, und ihre Augen, die blauen und grünen Tupfen, hatten eine weitblickende Schärfe angenommen.

Truman Capote: Frühstück bei Tiffany. Aus dem Amerikanischen von Heidi Zerning. 7. Auflage Juli 2024, Zürich/Berlin 2006/2015, S. 43-45

Die Farbmetaphorik ist dabei hochsignifikant: Grau ist die Farbe der Melancholie, des Nebels, der Unbestimmtheit – aber es ist eine passive, erträgliche Traurigkeit. Rot hingegen ist alarmierend, gefährlich, blutig – es signalisiert Notstand. Das „rote Elend“ ist nicht nur schlimmer als das graue, es ist qualitativ anders: existenzbedrohend.

Hollys Gegenmittel ist Tiffany, allerdings weniger wegen des Schmuckes, sondern wegen der Stabilität, Ruhe und Ordnung – die Dinge, die ihr im Leben fehlen.

Eine aufschlussreiche Entdeckung: Wenn der Film das Buch überschreibt

Ich hatte eigentlich gar nicht vor, mir diese Stelle genauer anzusehen. Doch ich habe mich gefragt, wie die Originalstelle in der Novelle lautet und ob es die Unterscheidung zwischen dem roten und grauen Elend dort auch so gibt. In der Tat ist dem nicht. Daraufhin habe ich mich gefragt, wie es dann sein kann, dass die Übersetzung entsprechend umformuliert wurde und habe mir eben diese Szene im Film angesehen – im englischen Original und ebenfalls der deutschen Übersetzung. Auch hier bin ich auf verschiedene Begriffe gestoßen. Allerdings stimmte die Begriffsbezeichnung des englischen Originals mit der deutschen Übersetzung der Novelle überein. Das ist für mich sehr interessant. Es bedeutet, dass die Übersetzer den Film kannten und diese Passage mit den konkreten Begriffen so relevant fanden, dass sie in die Übersetzung eingebaut wurden – obwohl sie nicht Capotes Originalformulierung wiedergeben!

Capotes Formulierungen von 1958 aus Breakfast at Tiffany‘s

She was still holding the cat. „Poor cat without a name,“ she said. „I can’t give him a name because he doesn’t belong to me. We met by the river one day and he came home with me. But he isn’t mine. I don’t want to own anything until I have the right place. I don’t know where that place is. Tiffany’s maybe.“ She smiled and dropped the cat on the floor. „Jewelry isn’t important to me. Well, I do like expensive jewelry. But you can’t wear the really expensive stones until you’re forty. They only look good on old women. But I love Tiffany’s for another reason. Listen. You know those days when you’re really unhappy and afraid?“

„Days when you’re sad?“

„Quite often.“

„What do you do about it?“

„A drink helps.“

„I’ve tried that – and drugs – but they don’t help. Only one thing works for me. I get into a taxi and go to Tiffany’s. It calms me because it’s so quiet. Nothing very bad will happen to you there, not with those kind men in their nice suits, and those wonderful, expensive smells. I want a place where I feel as good as in Tiffany’s. Then I’ll buy some furniture and give the cat a name. Maybe after the war, Fred and I -„

Truman Capote: Breakfast at Tiffany’s. Online unter: https://readerslibrary.org/wp-content/uploads/Breakfast-at-Tiffanys.pdf (aufgerufen am 14.12.2025).

Ich habe die bezeichnenden Begriffe markiert. Man erkennt also, dass im Original von „when you’re really unhappy and afraid“ im Gegensatz zu „sad“ die Rede ist und nicht von rotem und grauem Elend.

Woher kommen die Begriffe rotes und graues Elend in der deutschen Übersetzung von Frühstück bei Tiffany?

Die Begriffe „rotes“ und „graues Elend“ stammen aus der Verfilmung von 1961. Das Drehbuch zu Breakfast at Tiffany‘s von George Axelrod hat diese Szene dramatisch ausgebaut und die ikonische Formulierung geschaffen:

[Paul] starts for it and en route trips over the cat.

PAUL

Sorry! Didn‘t see him there… Is he alright?

HOLLY

Sure…Sure he is…You’re okay, aren’t you, Cat? Poor old Cat…

(She picks him up (Poor slob. Poor slob without & name. The way I look at it, I have no right to give him one.

Paul listens to this with growing fascination.

HOLLY

I mean, he’ll just have to wait till he belongs to somebody. We don’t belong to each other. We

just took up by the river one day. He’s an independent and so am I…

(Indicating room)

I don’t even want to own anything until I’ve found a place and things go together.

I’m not sure where that is. But I know what it’s like. It’s like Tiffany’s…

PAUL

(Amused)

You mean the jewelry store?

HOLLY

That’s right. I’m crazy aboutThat’s right. I’m crazy about Tiffany’s … Listen. You know those days when you’ve got the mean reds?

PAUL

The mean reds? You mean like the blues?

HOLLY

No. The blues are because you’re getting fat or maybe it’s been raining too long. Youire sad, that’s

all. But the mean reds are horrible.

Suddenly youre afraid, but you don’t

HOLLY

kmow what you’re afraid of. Except that something bad is going to happen, only you don’t kmow what it is. You ever get that feeling?

PAUL

Sure.

HOLLY

Well, when I gst it, the only thing that does any good is to jump in а cab and go to Tiffany’s. It calms

me down ight away. The quietness and the proud look of it. Nothing very bad could happen to you others. Not with those kind men in their nice suits, and that lovely smell of silver and alligator wallets…

George Axelrod: Breaktfast at Tiffany’s Screenplay vom 22. Juni 2960, im PDF S. 13 und 14, online auf: https://www.dailyscript.com/scripts/BreakfastatTiffany’s.pdf (zuletzt aufgerufen am 14.12.2025)

Die Szene im deutschen Film Frühstück bei Tiffany

Die deutsche Tonspur im Film dagegen nutzt nochmal ganz andere Begrifflichkeiten:

Paul: Verzeihung [zur Katze]. Hat’s wehgetan?

Holly: Ah, das macht dir doch nichts aus Kater, he? Armer alter Kater. Na, komm. Armes Vieh, hast keinen Namen. Ich finde, dass ich kein Recht hab, ihm einen Namen zu geben. Wir gehören eigentlich gar nicht zusammen, er ist mir mal über den Weg gelaufen. Und ich will auch gar keinen Besitz haben bevor ich nicht weiß, wo ich richtig hingehöre. Wie es da ungefähr aussehen müsste, das weiß ich genau. So wie bei Tiffany.

Paul: Tiffany? Meinen Sie den Juwelierladen?

Holly: Ja, genau. Ich bin ganz verliebt in Tiffany. Ach, kennen Sie das auch, wenn einem alles zum Hals raushängt?

Paul: Wie meinen Sie das? Wenn man Weltschmerz hat?

Holly: Nein. Den hat man, weil man zu dick wird oder weil es zu lange regnet. Man ist traurig, das ist alles. Das was ich meine ist viel schlimmer. Man hat plötzlich Angst und weiß nicht, wovor. Kennen Sie das Gefühl.

Paul: Sicher.

Holly: Wenn ich das Gefühl kriege, dann hilft nur eins: In ein Taxi springen und zu Tiffany fahren. Das beruhigt mich sofort. Da kann einem gar nichts Schlimmes passieren. Das beruhigt mich sofort. Das ist wie eine einsame Insel. Da kann einem gar nichts Schlimmes passieren. Wenn ich irgendwo ein Fleckchen finde, wo ich dasselbe Gefühl habe wie bei Tiffany, dann kauf ich mir eine Einrichtung und gebe der Katze einen Namen.

Breakfast at Tiffany’s. Regie: Blake Edwards. Drehbuch: George Axelrod, nach der Novelle von Truman Capote. Mit Audrey Hepburn, George Peppard, Patricia Neal, Buddy Ebsen. Paramount Pictures, USA 1961, 00:07:30-00:08:57.

Wofür stehen die vier verschiedenen Begriffe der Szene zur Traurigkeit von Holly in Frühstück bei Tiffany?

Diese englische Filmversion nutzt die Begriffe „red means“ für das „rote Elend“ und „the blues“ für das „graue Elend“. Scheinbar hat sich die spätere deutsche Übersetzung der Novelle eher am Film orientiert – obwohl Capote es selbst nie so geschrieben hatte. In der deutschen Synchronfassung dagegen gibt es wiederum andere Begriffe. Die „red means“ aus dem Original werden zu „wenn einem alles zum Hals raushängt“ und „the blues“ wird zu „Weltschmerz“. Interessant ist also die Orientierung am englischen Original. Möglicherweise war den Übersetzern das Original von Capote zu schwach oder zu wenig poetisch. Es wäre jedenfalls interessant, was Truman Capote selbst dazu sagen würde. Was er von der Besetzung der Rolle der Holly Golightly mit Audrey Hepburn hielt ist jedenfalls bekannt und dazu komme ich gleich noch.

Rückwirkende Überschreibung der Rezeption des literarischen Originals Frühstück bei Tiffany

Hier zeigt sich ein faszinierendes Phänomen der Literatur- und Kulturgeschichte: Eine Film-Adaption überschreibt rückwirkend die Rezeption des literarischen Originals. Die meisten Leser*innen „erinnern“ sich an eine Szene, die in dieser Form gar nicht bei Capote steht. Der Film Breakfast at Tiffany hat nicht nur die Handlung verändert (Happy End, heterosexualisierter Erzähler), sondern sogar die Sprache des Originals in der kollektiven Erinnerung und in Übersetzungen überformt.

Das ist kein Einzelfall – viele Klassiker werden heute durch ihre Verfilmungen gelesen und verstanden. Aber selten lässt sich der Prozess so konkret nachweisen wie hier: Eine prägnante Film-Formulierung wird zur vermeintlichen Original-Textstelle, weil sie so perfekt zum Werk zu passen scheint.

Capotes ursprüngliche Version ist eigentlich subtiler und literarisch interessanter:

Indem er Holly nur von „unhappy and afraid“ versus „sad“ sprechen lässt, verzichtet er auf plakative Metaphorik. Die Angst bleibt unbenannt, diffus, schwer zu greifen – genau wie Hollys gesamte Existenz. Sie versucht gar nicht erst, ihre Gefühle in griffige Bilder zu fassen. Das passt zu einer Figur, die sich selbst nicht festlegen lassen will, die ihren Kater nicht benennt, die keine Möbel kauft, weil sie noch nicht angekommen ist.

Die Film-Version mit „blues“ und „mean reds“ ist griffiger, einprägsamer, filmischer – aber sie ist auch didaktischer. Sie erklärt, was Capote andeutet. Sie macht explizit, was im Original implizit bleibt.

Ich denke, dass gerade das Unterschwellige, was in dem Original von Capote angedeutet wird, signifikant für die Figur und ihr Handeln ist. Aus dieser Perspektive macht die Verfilmung hier einiges kaputt. Zieht man die deutschen Übersetzungen hinzu, dann wird es nicht besser.

Kurz aufgelistet: Die vier Versionen im Vergleich:

  1. Capote Original (1958): „unhappy and afraid“ vs. „sad“
  2. Film-Drehbuch Englisch (1961): „mean reds“ vs. „blues“
  3. Deutsche Film-Synchronisation (1961): „wenn einem alles zum Hals raushängt“ vs. „Weltschmerz“
  4. Deutsche Buchübersetzung (aktuell): „rotes Elend“ vs. “graues Elend“
  5.  

Was hier passiert:

Die deutsche Filmsynchronisation hat versucht, kulturell angepasste Begriffe zu finden:

  • „Weltschmerz“ für „blues“ ist brillant – ein deutscher Kulturbegriff aus der Romantik, der die existenzielle Dimension einfängt
  • „wenn einem alles zum Hals raushängt“ für „mean reds“ ist umgangssprachlich und drastisch – passt zu Holly, verfehlt jedoch das ihrer Figur anhaftende Trauma und Existenzängste

Die deutsche Buchübersetzung ignoriert dann sowohl Capote als auch die deutsche Filmfassung und orientiert sich am englischen Film („mean reds“ → „rotes Elend“, „blues“ → „graues Elend“).

Das Ergebnis: Vier Versionen für dieselbe Stelle!

Für die Lektüre der Novelle Frühstück bei Tiffany bedeutet das:

Wer Frühstück bei Tiffany liest, sollte sich bewusst sein, dass vieles von dem, was wir zu wissen glauben über dieses Buch, eigentlich aus dem Film stammt. Die Novelle ist leiser, dunkler, offener, mehrdeutiger – und in ihrer Zurückhaltung oft literarisch stärker als die zugespitzte Film-Version, so brillant diese auch sein mag.

Die Übersetzungsstrategie für Breakfast at Tiffany – dem Film

Das Problem mit dem Begriff „Blues“:

„Blues“ im Englischen hat eine doppelte Bedeutung:

  1. Die Musikrichtung (Blues)
  2. Ein feststehender Ausdruck für „niedergeschlagen sein“ (to have the blues)

Im Deutschen der 1950er/60er Jahre (die erste deutsche Übersetzung erschien 1959) war „Blues“ als Wort für Niedergeschlagenheit nicht gebräuchlich. „Ich hab den Blues“ hätte damals niemandem etwas gesagt.

Der Übersetzer stand also vor dem Problem: Wie übertrage ich die Farbmetaphorik von „blues“ und „reds“, wenn „Blues“ im Deutschen nicht als Stimmungsbegriff funktioniert? Im Film wurde dies durch „zum Hals raushängen“ und „Weltschmerz“ gelöst – in der deutschen Übersetzung der Novelle wählte man als übergeordneten und verbindenden Begriff „Elend“ und eine differenzierende Farbmetaphorik mit „rot“ und „grau“.

Was verloren geht:

  • Die musikalische Konnotation des „Blues“ (melancholisch, aber auch schön, künstlerisch)
  • Die umgangssprachliche Leichtigkeit von „having the blues“
  • Das „mean“ in „mean reds“ (das „gemein/bösartig/intensiv“ bedeutet)

Auch wenn mich diese Wahl der Übersetzungen etwas irritiert hat, so kann ich sie im Nachhinein verstehen. Es ist keine perfekte Übersetzung, aber auch keine dumme. Es ist ein klassisches Übersetzungsdilemma, wo man sich für eine Bedeutungsebene entscheiden muss (hier: die Farbmetaphorik) und dafür andere opfert (die Blues-Konnotation).

Der Film Frühstück bei Tiffany von 1961 und seine Unterschiede zum Buch

Die Verfilmung von 1961 unter der Regie von Blake Edwards mit Audrey Hepburn als Holly Golightly wurde zu einem der erfolgreichsten und einflussreichsten Filme der 1960er Jahre. Der Film machte Holly zur Modeikone, Henry Mancinis Song Moon River zum Evergreen und prägte das Bild von New York als glamouröser Sehnsuchtsort. Tatsächlich besitze ich auch ein selbstgemaltes Bild von einem der stilisierten Filmposter nachempfunden typischen Szene aus dem Film. Doch zwischen Buch Frühstück bei Tiffany und Film Frühstück bei Tiffany liegen Welten.

Die größten Unterschiede vom Film Breakfast at Tiffany zur Novelle

Die Figur Holly wird romantisiert und entschärft

Audrey Hepburns Holly im Film ist eine bezaubernde, etwas schrullige junge Frau mit einem Herz aus Gold. Capotes Holly in der Novelle ist härter, berechnender, sexuell freizügiger und moralisch ambivalenter. Sie nimmt 50 Dollar für Toilettenbesuche von Männern, sie überlegt offen, reiche Männer zu heiraten und sie ist darüber hinaus noch in einen Drogenschmuggel-Ring verwickelt. Der Film macht aus der Escort-Dame eine Art Hippie-Prinzessin – der Weichzeichner-Effekt ist sicher dem prüden gesellschaftlichen Kodex vor dem größtmöglichen Gewinn geschuldet.

Das Ende im Film Frühstück bei Tiffany wird Happy

Der größte „Verrat“ an Capotes Novelle ist das Hollywood-Happy-End. Im Film Frühstück bei Tiffany findet Holly im strömenden Regen ihren namenlosen Kater (und damit symbolisch ihre Heimat), küsst Paul (den umbenannten Erzähler) und bleibt in New York. Im Buch verschwindet sie nach Südamerika oder Afrika, der Erzähler sieht sie nie wieder, und die Geschichte endet in melancholischer Ungewissheit. Diese unsichere Offenheit geht einher mit der Weigerung, die Figur der Holly zu domestizieren bzw. ihr eine Heimat zu geben. Was im Film romantisiert abgeschlossen wird macht jedoch die literarische Kraft von Truman Capotes Novelle aus.

Der Erzähler in Frühstück bei Tiffany wird heterosexualisiert

Capotes namenloser Ich-Erzähler ist implizit homosexuell oder zumindest queercoded. Er hat keinerlei sexuelles Interesse an Holly, sie sind viel mehr eine Art platonische Seelenverwandte. Der Film Frühstück bei Tiffany macht aus ihm Paul Varjak (gespielt von George Peppard), einen Gigolo, der von einer älteren Frau ausgehalten wird, aber natürlich heimlich in Holly verliebt ist. Insofern könnte man behaupten, dass der Film die in der Novelle dargestellte Seelenverwandtschaft auf eine andere Ebene schiebt und sie für den Großteil der Gesellschaft sichtbar macht, wohingegen weniger gern gesehene Anteile der Figuren „unter den Tisch des Mainstreamkinos gekehrt werden“. Die Heteronormalisierung zerstört die besondere Qualität ihrer Beziehung, wie sie in Capotes Novelle dargestellt wird: zwei Außenseiter, die einander verstehen, gerade weil sie keine romantischen Ansprüche aneinander haben.

Der gesellschaftskritische Biss wird geglättet

Capotes Novelle ist scharf in ihrer Beobachtung von Klasse, Geld, Prostitution und der Doppelmoral der feinen Gesellschaft. Der Film macht daraus eine romantische Komödie mit „schrulligen“ bzw. schillernden Figuren. Die rassistische Figur des japanischen Nachbarn Mr. Yunioshi (gespielt von Mickey Rooney in yellowface – heute zu Recht als skandalös angesehen) ist eine pure Film-Hinzufügung und ein peinliches Zeitdokument. Hier ließen sich weitere Aspekte des Anderen oder Fremden mit literaturwissenschaftlichen Kategorien analysieren sowie in den zeitgeschichtlichen Kontext versetzen.

Warum der Film Frühstück bei Tiffany trotz Unterschiede zur Vorlage ein Meisterwerk ist

Trotz aller Unterschiede hat der Film eigene Qualitäten: Audrey Hepburns Darstellung ist ikonisch, die Ästhetik zeitlos, Moon River eine perfekte emotionale Verdichtung – insofern kann der Film Frühstück bei Tiffany durchaus auch ganz losgelöst von der Novelle betrachtet werden. Tatsächlich kannte ich persönlich den Film auch vor der Novelle und diese These unterstützt natürlich auch meine Ausarbeitung weiter oben bezüglich der Übernahme bekannter Begriffe. Der Film ist ein Meisterwerk des Kinos der 1960er Jahre – er ist nur kein treues Abbild von Capotes Novelle. Man kann beide als eigenständige Kunstwerke schätzen. Allerdings sollte man sich meiner Ansicht nach dafür hüten, Film und Novelle gleichzusetzen – es gibt Gemeinsamkeiten und Differenzen, die im jeweiligen Kontext gewürdigt werden sollten.

Truman Capotes eigene Meinung zum Film Frühstück bei Tiffany

Capote hasste den Film zeitlebens. Er hatte Marilyn Monroe für die Rolle vorgeschlagen und war entsetzt über die Besetzung mit Hepburn, die er für zu „proper“ hielt. Es ist ja wirklich so, dass Schauspieler:innen nach dem Spielen einer bestimmten Rolle oftmals mit dieser identifiziert werden. Da ließe sich jetzt eine ganze Charakterstudie über die von Hepburn und Monroe verkörperten Figuren aufschlagen, vergleichen und mit Holly in Beziehung setzen. Vor allem das Happy End empfand Capote als Verrat an seiner Geschichte.

Katrin Beißner

Bildquellen

  • Truman Capote: Frühstück bei Tiffany. Aus dem Amerikanischen von Heidi Zerning. 7. Auflage Juli 2024, Zürich/Berlin 2006/2015: Truman Capote: Frühstück bei Tiffany. Aus dem Amerikanischen von Heidi Zerning. 7. Auflage Juli 2024, Zürich/Berlin 2006/2015

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