Was haben das pixelige Uralt-Point-and-Klick-Adventure Monkey Island, der berühmte irische Autor James Joyce und der eigentliche Held von Troja, der listenreiche Odysseus, gemeinsam? Mit Sicherheit bin ich nicht die erste Person, die sich diese spannende Frage gestellt hat! Also gehen wir etappenweise die Beantwortung an:
Auf den ersten Blick scheinen hier keine großartigen Gemeinsamkeiten vorzuliegen. Aber wie so oft unterliegt man der Täuschung, List und Schein übernehmen den Rest. James Joyce hat beispielsweise ein Buch mit dem Titel Ulysses verfasst, das 1922 erschien. Ulysses ist das englische Äquivalent zu Odysseus (vom Lateinischen Ulixes). Von Homers Ilias ist der listenreiche Odysseus weithin bekannt, der sich auf Irrfahrten durch aufwogende Meere und gefahrenvolle Inselabenteuer mit schönen Zauberinnen oder gefräßigen Zyklopen seinen von Poseidon verhinderten Weg nach Hause bahnt. Und war da nicht auch etwas mit einem Riesenpferd aus Holz, das den Griechen nach zehn Jahren Krieg endlich die Einnahme von Troja bescherte? Ja, auch das war des listenreichen Odysseus Idee. Wie es der Zufall so will, heißt der Held aus dem antiquarischen Point-and-Klick-Adventure Monkey Island von 1990 Guybrush Ulysses Threepwood, der unbedingt ein mächtiger Pirat sein will.
Piraten – Alltag, Antike, Arbeit
Als Pirat wird jemand bezeichnet, der auf dem Meer, in Buchten, Flüssen oder sonstigen Gewässern plündert, kapert, raubt und mordet. In diesem Sinne kann der listenreiche Odysseus der Antike tatsächlich als Pirat bezeichnet werden, wie in einem Folgebeitrag ausführlicher besprochen werden wird. Der für eine Zeitung tätige Anzeigenverkäufer Leopold Bloom, der Hauptprotagonist aus Joyces Ulysses dagegen ist schwerlich ein Pirat. Allerdings könnte man ihn mit viel Fantasie als einen Alltagspiraten bezeichnen, der durch die städtischen ‘Gewässer’ Dublins navigiert auf der Suche nach etwas Glück und möglicherweise Ruhm, möglicherweise aber auch auf der Suche nach Rückrat und Identität mit List und Schein. James Joyce hat sich mit seinem berühmten Werk Ulysses von Homers Odyssee inspirieren lassen, lässt seinen Protagonisten Leopold Bloom zu Beginn des 20. Jahrhunderts Abenteuer in den Wirren Dublins erleben. Feststellen lässt sich also lose, dass Monkey Island, Homers Odyssee und das Werk von Joyce über den Namen Odysseus/Ulysses und daran geknüpfte Assoziationen verbunden sind.
Aber war das schon alles? Das kann ich nicht ganz glauben! Doch zunächst eine kurze Zusammenfassung zu jedem der drei Werke.
Homers Odyssee – Odysseus‘ Weg nach Hause durch List und Schein
Homer erzählt in der Odyssee die Abenteuer des griechischen Helden Odysseus auf seinem langen Weg nach Hause auf die Insel Ithaka. Die Geschichte beginnt zehn Jahre nach dem Beginn des Trojanischen Kriegs, als seine Frau Penelope und sein Sohn Telemachos ihn immer noch vermissen, und keinerlei Lebenszeichen von ihm erhalten haben. Die Situation ist ernst. Während Odysseus erst bei der Nymphe Kalypso festsitzt, dann mit seiner Crew auf dem Meer umherirrt und auf den Kyklopen Polyphem, die Zauberin Kirke, die Sirenen oder Ungeheuer wie Skylla und Charybdis trifft, hat Penelope es in der Heimat mit einer anderen Art von Monster zutun. Man(n) glaubt nämlich, Odysseus sei tot. Und so haben sich viele Freier versammelt, die Penelope den Hof machen und um das Erbe von Odysseus kämpfen. Nur mit List und Schein gelingt es ihr, die Freier auf Abstand zu halten, während sie weiter auf die Rückkehr ihres Mannes hofft. Odysseus kehrt letztlich nach vielen Jahren des Umherirrens und der Prüfungen in der Gestalt eines Bettlers nach Ithaka zurück. Mit Hilfe seines Sohnes Telemachos und einiger treuer Diener plant er einen Aufstand gegen die Freier. Es kommt zu einem blutigen Kampf um sein Zuhause, bei dem er letztlich siegt. Die Odyssee endet mit Odysseus‘ Wiederherstellung seiner Herrschaft über Ithaka, sodass er fortan in Frieden und Harmonie mit seiner Familie leben kann.
Und worum geht es in Ulysses von James Joyce?
Bei dem am 2. Februar 1922 erschienenen Roman Ulysses von James Joyce handelt es sich um ein modernistisches Meisterwerk, das Leserinnen und Leser durch einen einzigen Tag im Leben von Leopold Bloom in Dublin führt. Der Roman, der stark von Homers Odyssee inspiriert ist, folgt Bloom und anderen Figuren, während sie durch die Stadt wandern und ihre Gedanken, Gefühle und Begegnungen reflektieren. Mit seinem experimentellen Stil, der Stream-of-Consciousness-Technik und einer Vielzahl von Erzählstimmen bietet Ulysses eine umfassende und vielschichtige Darstellung des menschlichen Bewusstseins und eine Vielzahl von Themen, darunter Identität, Liebe, Tod, Religion und Sinnlichkeit. Aufgrund seiner Komplexität und des anspruchsvollen Stils gilt Ulysses als eines der wichtigsten Werke der modernen Literatur und als ein Meilenstein in der Entwicklung des Romans als Kunstform. Das Werk ist hinsichtlich seiner Kapitelstruktur an den Abenteuern von Odysseus und seinen Männern in Homers Odyssee angelehnt. Das neunte Kapitel bei Joyce spielt beispielsweise in der Bibliothek und entspricht der Begegnung von Odysseus mit den Meeresungeheuern Skylla und Charybdis; der Halt bei der Hexe Kirke, die Männer in Schweine verwandelt, wird bei Joyce sinnigerweise ins Bordell verlegt, die Gefahr der Sirenen geht bei Joyce musikalisch inszeniert von Bardamen aus und es gibt noch viel mehr zu entdecken. Während Odysseus die Freier seiner Frau Penelope tötet, weiß Leopold Bloom um die Affäre seiner Frau Molly, die nicht auf ihn wartet und er am Abend noch Spuren der Affäre vorfindet.
Monkey Island – Mit List und Schein zum Piraten
Monkey Island ist ein Point-and-Klick-Adventure von LucasArts und dreht sich rund um die Abenteuer von Guybrush Ulysses Threepwood und seinen großen Traum: Pirat werden (Man kann es übrigens noch spielen. Unter anderem hier). Die Handlung findet statt auf der Insel Mêlée Island, wo Guybrush zahlreiche mehr oder weniger illustre Gestalten trifft, darunter die schöne Gouverneurin Elaine Marley, stinkige Piraten und kampferprobte Schwertkämpfer sowie plauderhafte Gebrauchtschiffhändler und natürlich den ultimativen Bösewicht der Spieleserie – den Geisterpirat LeChuck. Als der Elaine kidnappt, muss Guybrush eine Reihe von Rätsel lösen, um seine spätere Geliebte zu befreien und LeChuck unschädlich zu machen. Skurriler Humor, witzige Dialoge, die mittlerweile Kultstatus für sich beanspruchen sowie die einfallsreichen Rätsel, die Guybrush im Klick-and- Point-Stil mit Hilfe der Spielerinnen und Spieler lösen muss, runden das Adventure ab. Kombiniert finden sich im Spiel Aspekte typischer Piratenabenteuer, satirische Anspielungen auf die zeitgenössische Popkultur, ein wenig Romantik und Detektivarbeit. Die Monkey Island-Spiele zählen zu den Klassikern der Adventure-Games wie sie aus dem Hause LucasArts bekannt sind und haben eine treue Fangemeinde. Es gibt unzählige Nachahmer und Parodien. Ich meine auch, zumindest im ersten Film der Fluch der Karibik-Filme gewisse Elemente aus dem Spiel wiedererkannt zu haben.
Was hat der Pinseltyp mit Odysseus am Hut?
Warum die Figur Guybrush heißt, lässt sich übrigens auch aus dem beigefügten Screenshot erschließen. Es muss nicht betont werden – die Grafik ist unterirdisch. Guybrush sieht aus wie ein ausgekotztes Strichmännchen, ein Typ aus Pinselstrichen – daher der sich so selbsterklärende Name: Guy – Typ; Brush – Pinsel. Der Name geht also ursprünglich auf die Bezeichnung des Zeichenprogramms Deluxe Paint zurück, mit dem die Figur erschaffen wurde. Die Figur hatte zunächst noch keinen Namen, die Datei wurde der Einfachheit halber einfach ‘Guy’ genannt. Beim Speichern fügte der verantwortliche Künstler Steve Purcell den Dateityp hinzu, der ‘brush’ hieß. Der Dateiname der Figur lautete somit ‘guybrush.lbm’ und man fing an den Typ ebenso zu nennen.[1] Der zweite Vorname Ulysses wird allerdings erst im vierten Spiel Die Flucht von Monkey Island erwähnt. Das hat allerdings nichts mit List und Schein zutun. Es bedeutet aber nicht minder, dass in der Welt des Spiels Guybrush immer schon Ulysses mit zweitem Vornamen hieß. Das Nachschieben von Namen kennt man bereits von Indy/Indiana Jones, wenn am Ende des dritten Teils Indiana Jones and the Last Crusade nämlich herauskommt, dass er den Namen des geliebten Familienhundes angenommen hat.
Eine Frage an die KI – wo sieht Chat GPT Gemeinsamkeiten?
Ich habe mich in meiner Unwissenheit auf der Suche nach Gemeinsamkeiten an Chat GPT Version 3.5 gewandt und bekam folgende Antwort, die ich allerdings nicht unkommentiert stehen lassen kann (so intelligent ist die KI dann auch wieder nicht):
Obwohl auf den ersten Blick unverbunden, haben Monkey Island, James Joyce und Odysseus tatsächlich eine interessante Gemeinsamkeit: Sie alle verkörpern das Konzept der List und Täuschung auf unterschiedliche Weise.
————– Oha, wie interessant. Hat Chat GPT vielleicht doch endlich einen Treffer gelandet? Täuschung, List und Schein als übergreifendens Konzept zu betrachten halte ich tatsächlich für genial.
In Monkey Island, einem klassischen Adventure-Videospiel, übernimmt der Spieler die Rolle des listigen Piraten Guybrush Threepwood, der mit seinem Scharfsinn und seinen schlauen Taktiken Hindernisse überwindet und Rätsel löst, um seine Ziele zu erreichen.
————– Ähja, scharfsinnig ist etwas anderes und immerhin müssen die Spielerinnen und Spieler selbst zwischen den ‘unendlich komplexen Auswahlmöglichkeiten’ wählen und Dinge miteinander kombinieren, die Guybrush in seiner Harry-Potter-Zaubertausche mit sich herumschleppt und stets parat hat. Von Öffne bis Schließe, Gehe zu, Rede mit, Benutze und Schalte ein und aus und mehr sind so ziemlich alle Aktionen vorhanden, die der Ottonormalmensch auch im alltäglichen Leben für Handlungen zur Verfügung stehen. In handlungsmotivierenden Kombinationen wird so das Spiel vorangetrieben, vorausgesetzt, man kombiniert die richtigen Anweisungen mit den richtigen Gegenständen. Der Unterschied zum wahren Leben liegt hier darin, dass man das Spiel speichern oder zurücksetzen kann. Ich kann nicht genug betonen, wie sehr ich mir diese Funktion für die Realität gewünscht habe – sei es wegen Blitzern im Straßenverkehr, das Missachten der eigenen Intution oder einfach nicht noch den vierten Donut essen. Im Spiel sind die folgenschweren Entscheidungen ähnlicher Natur: Spricht man den Kannibalen an oder lässt es lieber? Kann man einen Topf mit Wein, Zimtstangen, Buch, Visitenkarte, T-Shirt, Tinte, Feder, Piratenflagge, Schießpulver, Pfefferminz, Frühstücksflocken und einem Gummihuhn benutzen, um ein bestimmtes Mittel zu kreieren und stimmt die Reihenfolge? Kann ein Fischglas in Kombination mit Klebeband als Astronautenhelm zweckentfremdet werden? Ach, das ist das falsche Spiel.
Jedenfalls – und das wäre vielleicht spannend narratologisch untersuchbar – sind diese Adventures final motiviert, wie man so sagt. Ohne die richtige Kombination geht es eben nicht weiter und das Spiel ist insofern hinsichtlich einiger Endpunkte variabel angelegt, letztlich aber doch linear auf das Ende ausgerichtet. Fast wie im richtigen Leben! Da ist das Finale der Tod – da kommt jeder an, so oder so. Mit List und Schein kommt man da nicht weiter.
Weiter im Text mit Chat GPT
James Joyce, einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, ist bekannt für seine komplexen und raffinierten Erzähltechniken. In Werken wie Ulysses und Finnegans Wake verwendet Joyce Intrigen, Wortspiele und narrative Tricks, um den Leser herauszufordern und zu verwirren.
————— Verwirren? Wohl eher nicht, aber wer die intertextuellen Anspielungen nicht korrekt einordnen kann, der versteht hier leider einiges nicht. Und es gibt sehr sehr sehr sehr viele intertextuelle und intermediale Anspielungen und Markierungen, also Verweise und Relationen auf andere literarische Werke, zeitgenössische Themen, Musikstücke, Debatten. Literarische Textsorten und historische Ereignisse und und und.
Odysseus, der Held der griechischen Mythologie und Protagonist von Homers Epos Die Odyssee, ist berühmt für seine Listen und Täuschungen auf seiner langen Heimreise nach Troja. Von seinem listigen Trick mit dem Trojanischen Pferd (der tatsächlich erst retrospektiv in der Odyssee erzählt wird und gar nicht in der Ilias) bis hin zu seiner Verkleidung als Bettler, um seine wahre Identität zu verbergen, zeigt Odysseus eine bemerkenswerte Fähigkeit, Herausforderungen zu meistern und seine Ziele zu erreichen.
—————– Hinzuzufügen ist hier, dass es die Göttin Athene ist, die Odysseus in einen Bettler verwandelt, damit er nicht von den Feiern in seiner Heimat erkannt wird und sich in diesem Zustand von der Treue seiner Frau Penelope überzeugen kann. Würde man Athene als Prinzip verstehen, als Kraft der erkennenden Intelligenz und des Verstandes, dann ließe sich auch schlussfolgern, dass der listenreiche Odysseus von alleine auf die Idee mit der Verkleidung gekommen ist.
Das Fazit der KI: Insgesamt demonstrieren die Figuren aller drei Werke auf unterschiedliche Weise die kreative und machiavellistische Nutzung von List und Täuschung, um Hindernisse zu überwinden und Erfolg zu erlangen. Ob in der Welt der Videospiele, der Literatur oder der Mythologie, die Fähigkeit zur List hat sich als eine zeitlose und universelle Tugend erwiesen.
—————— Soll das jetzt zum Nachahmen verleiten? WtF!
Die KI hat Machiavelli erwähnt!!!!
Damit hatte ich nicht gerechnet. Jetzt wurde aber doch tatsächlich Machiavelli erwähnt. Das wird ja immer besser. Und ich dachte schon, ich bräuchte gar nicht eigenständig denken. Also, unternehmen wir einen kleinen Abstecher in die Vergangenheit.
Il Principe, zu Deutsch Der Fürst ist ein Werk von Niccolo Machiavelli (1469-1527), das im 16. Jahrhundert veröffentlicht wurde. Der Name des bekannten Philosophen und Diplomaten wird auch heutzutage in vielfacher Hinsicht verwendet und zwar um Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu beschreiben, die als listig, manipulativ oder opportunistisch betrachtet werden. Wie fände er das wohl?
Worum geht es in Il Principe
„Das Traktat vom Fürsten (Il Prinicipe) ist Machiavellis berühmtestes Werk. Er behandelt darin verschiedene Formen der Herrschaft sowie die Frage, wie man sich eines Staates bemächtigt und wie man diese Macht erhalten kann. Er entwirft also eine Theorie der Macht. Der Traktat besteht aus 26 Kapiteln. Etwa die Hälfte thematisiert verschiedene Arten von Herrschaften oder Fürstentümern, die andere Hälfte die Person des Fürsten und dessen richtiges Verhalten (ob er freigiebig oder sparsam, grausam oder milde zu sein habe; ob er sein Wort halten müsse; dass Verachtung und Hass zu meiden seien und welche Rolle das Heer und Stadtbefestigungen spielen.) Ein besonderes Merkmal des Buches sind die zahlreichen Exempla.“[2] Allgemein diskutiert Machiavelli in seinem Werk Methoden, die Herrscher anwenden sollten, um ihre politische Macht zu erhalten und auszubauen. Das Buch wurde häufig als Ratgeber für angehende Herrscher betrachtet. Rafael Arnold ist jedoch der Ansicht, das Buch vom Fürsten darum als Fürstenspiegel zu bezeichnen, sei „irreführend“[3].
Eine scharfsinnige Theorie der Macht
Denn während es den Fürstenspiegeln der Vergangenheit darum ging, die angehenden Herrscher darin zu unterweisen, gerecht, fromm, milde usw. zu sein, „geht es Machiavelli um etwas anderes: Um Erfolg zu haben, muss der Fürst ihm zufolge nicht tugendhaft sein, sondern nur den Schein erwecken, es zu sein (Kap. XVIII). Schein und Repräsentation werden von Machiavelli als wesentliche Faktoren für den Machterhalt eines Fürsten erkannt. Machiavelli bewertet dies nicht, er analysiert nur.“[4] Nur der scheinbar Gerechte sei erfolgreicher als der Gerechte.[5] Die Begriffe Gerechtigkeit und wahrer Nutzen werden behandelt, es geht auch um Fragen der Moral, der Tüchtigkeit, der Gelegenheit und des Glücks. Naja. „Kaufe, wenn das Blut auf den Straßen fließt.“ Das hat ja angeblich Nathan Mayer Rothschild Anfang des 19. Jahrhunderts verlauten lassen. Filmtipp dazu: Inside Job mit Denzel Washington, Christopher Plummer und Jodie Foster. Die Zusammenhänge von Unternehmertum, Kapitalismus, Herrschaft und Kriegsführung sind sehr interessant auch an literarischen Werken zu beobachten.
Machiavellies scharfsinnige Beobachtungen über die Macht
Es geht um die Analyse des herrschaftlichen Machtmenschen und den Machthabern zugrundeliegenden Prinzipien. Und das ist letztlich scharfsinnig beobachtet und kein Blankoscheck für asoziales Machtgehabe. Auch Arnold bemerkt: „Das ist allerdings keine Aufforderung, amoralisch zu handeln, und erst recht keine totale Absage an die Moral. Allein das Vertrauen auf den intrinsischen Wert des moralisch korrekten Handelns ist erschüttert. Und die Richtigkeit des Handelns wird an ihrem Erfolg und nicht an ihrem moralischen Gewinn bemessen. Diesem Denken liegt die unerschütterliche Auffassung zugrunde, dass die Moral zerrüttet ist.“[6] Machiavelli legt die Mechanismen der Instrumentalisierung von Machtprinzipien und das damit einhergehende Menschenbild mit seinen Ausführungen schonungslos bloß. Manche Führer haben sich auf Machiavelli bezogen, einigen dienten die Ausführungen sogar als Rechtfertigung unter dem Deckmandel der Notwendigkeit.[7] Denn unter dem Deckmantel der Moral, und das hat er scharf beobachtet, geschah nun einmal Unrecht, wurden gesellschaftliche Ungerechtigkeiten moralisch kaschiert. Machiavelli habe durchschaut, dass Moral kein Mittel zur Verbesserung der menschlichen Existenz sei, zudem sei Moral oder die Religion von Mächtigen nur als Mittel zur Rechtfertigung und Aufrechterhaltung des Status quo gebraucht worden.[8]
Was ist heute machiavellistisch?
Nun, das ist heute wie damals der Fall und wahrscheinlich ist das der Grund, warum die Prinzipien aus Machiavellis scharfsinniger Analyse der conditio humana zu Beginn der Frühen Neuzeit heute immer noch aktuell sind und sich am Menschen selbst hinsichtlich der verschiedenen Prinzipien zur Machterhaltung und Aufrechterhaltung nicht viel geändert hat. Heutzutage wird der Begriff ‘machiavellistisch’ oft zur Beschreibung von Personen oder Handlungen verwendet, die als rücksichtslos, manipulativ oder berechnend empfunden werden. Zum Beispiel könnte man sagen, dass ein Politiker zur Ausschaltung seiner Gegner oder für das Erreichen eigener Ziele eine ‘machiavellistische’ Taktik verwendet. Der Begriff wird auch in anderen Bereichen zum Beispiel in der Wirtschaft, im Management und in zwischenmenschlichen Beziehungen verwendet, um auf ähnliche Verhaltensweisen hinzuweisen. Ganz allgemein geht es im Rahmen der Begriffsverwendung zur Erlangung von Macht oder Vorteilen und zwar auf Kosten anderer.
Zu den 48 Gesetzen der Macht von Robert Greene
Jetzt habe ich mit Machiavelli angefangen, jetzt muss ich ein aktuelles Beispiel einführen. The 48 Laws of Power von Robert Greene ist ein Buch, das auf historischen Beispielen und zeitlosen Prinzipien basiert, mit denen Macht und Einfluss erlangt und gehalten werden können. Greene untersucht die Taktiken und Strategien erfolgreicher Menschen in der Geschichte und destilliert sie in 48 Gesetze oder Regeln. Diese Regeln reichen von der Kunst, niemals den Ruhm des Überlegenen zu übertreffen (Gesetz 1), den Ruf mit dem eigenen Leben und um jeden Preis zu schützen (Gesetz 5), andere für sich arbeiten zu lassen und die Früchte dafür zu ernten (Gesetz 7), Menschen von sich abhängig zu machen (Gesetz 11), die Hände nicht schmutzig machen – andere die Drecksarbeit erledigen lassen (Gesetz 25), nie zu perfekt herüberzukommen (Gesetz 46) und viele mehr. Greene betont, dass Macht oft durch raffinierte Manipulation, Täuschung und strategisches Denken erreicht wird. Er warnt jedoch auch vor den Gefahren des Missbrauchs von Macht und ermutigt die Leser, die Regeln mit Vorsicht und Weisheit anzuwenden.
Sure – List und Schein
Klar – das Buch verkauft sich so gut, weil alle damit umsichtig und empathisch umgehen wollen! Aber wer den Feind kennt, der kann sich damit wappnen und es kann nie schaden ganz besonders vertrauensseligen Genossinnen oder Genossen, die zudem noch so tun, als seien sie besonders großzügig oder bedauernswert, während sich doch gerade im Verhalten besondere Widersprüche auftun, mit diesem Wissen zu begegnen. Greenes Werk ist sowohl eine faszinierende Studie menschlichen Verhaltens als auch ein praktischer Leitfaden für diejenigen, die nach Erfolg und Einfluss streben. Natürlich könnte man Vergleiche zu Machiavelli ziehen oder – was umso spannender wäre – zum Narrenspiegel von Sebastian Brant – der Erziehungslehre für Narren – den Menschen an sich. Ich habe eine Regel ausgesucht, die auf den Vergleich von Monkey Island, Ulysses und Homers Odyssee und Täuschungsmanöver und Listen passt.
Robert Greenes 48 Regeln der Macht: Kreation
Eine der 48 Regeln der Macht aus dem einflussreichen Werk von Robert Greene lautet:
RE-CREATE YOURSELF JUDGMENT Do not accept the roles that society foists on you. Re-create yourself by forging a new identity, one that commands attention and never bores the audience. Be the master of your own image rather than letting others define it for you. Incorporate dramatic devices into your public gestures and actions—your power will be enhanced and your character will seem larger than life.[9]
Übersetzung
RE-KREIERE DICH SELBST
Urteile nicht über die Rollen, die die Gesellschaft dir auferlegt. Kreiere dich selbst neu, indem du eine neue Identität schmiedest, die Aufmerksamkeit erregt und das Publikum niemals langweilt. Sei der Meister deines eigenen Bildes, anstatt andere es für dich definieren zu lassen. Integriere dramatische Elemente in deine öffentlichen Gesten und Handlungen – deine Macht wird gestärkt und dein Charakter wird größer erscheinen als das Leben selbst.
List und Schein – das Rollen spielen
Die Essenz dieser Regel ist also, zu lernen, viele Rollen zu spielen, je nachdem, was die Situation erfordert.[10] Rekreiere dich selbst – diese der List unterworfenen Regel trifft auf alle drei Figuren aus den drei sich hinsichtlich ihrer Medialität unterscheidenden Werke zu: Guybrush, Leopold Bloom und Odysseus. Vom Prinzip her geht es um das Einnehmen von Rollen, die sonst nicht zur eigenen Person gehören wie etwa eine Verkleidung oder aber das Vorspielen von Ansichten, die man nur einnimmt, weil man weiß, dass jemand anderes entsprechend reagiert. Kurzum. Es geht um Täuschung, um Verstellung und Vorspielen, um List und Schein. Wer also einerseits eine kränkelnde Person mimt, deren Leben aus den Fugen geraten scheint, doch auf der anderen Seite im Job machtstrategische Manipulationen auf die eigenen Mitarbeitenden sowie Kolleginnen und Kollegen ausübt, der spielt soziales verkleiden. Vermutlich sind das genau die Menschen, die sich und ihr Verhalten selbst in Beiträgen zu literarischen Gedankenexperimenten über Literatur, Filmen, Kunst und der Realität gespiegelt finden und daher wiedererkennen können.
Täuschung, List und Schein bei Odysseus und durch alle Zeiten
Es ist kein Zufall, dass bereits in der Antike Begriffe wie klug, listenreich oder weise, die alle mit Einfallsreichtum, strategischem Denken und Intelligenz einhergehen, an den Namen von Odysseus gebunden sind. Das Trojanische Pferd, die List gegen den Kyklopen Polyphem, Geheimhaltung des Namens bei den Phaiaken, Verkleidung als Bettler in der Heimat und die Umsetzung des Plans zur Rache an den Freiern – das sind nur einige der Beispiele, in denen der listenreiche Odysseus Täuschungen einsetzt, um zunächst sicher die Heimat zu erreichen und später seine Herrschaft zu festigen. Und auch Leopold Bloom in Ulysses muss sich im Großstadtgewässer Dublins behaupten, immer mit dem Wissen, dass seine Frau einen Liebhaber hat, hier also auch Täuschung und Untreue mit der weiblichen Figur verknüpft sind. Die Gedanken an Mollys Untreue begleiten ihn durch den Tag, die Affäre ist ein wiederkehrendes Thema und verweist auf seine Unsicherheiten im Denken und Handeln. Er greift nicht durch wie Odysseus, sondern kommt abends nach Hause, findet Überreste eines leidenschaftlichen Bettgerangels, lässt sich allerdings nichts anmerken. Die Täuschung der Frau wird zur Selbsttäuschung – wiederum ein Thema, das auch mit seiner Identität zusammenhängt, denn Leopold Bloom ist jüdisch-stämmig.
Strategen und Denker – List und Schein
Bloom setzt zwar keine offensichtlichen Listen ein wie Odysseus, allerdings muss er strategisches Geschick im Umgang mit verschiedenen Menschen beweisen – gerade auch, weil er von Berufswegen her als Anzeigenverkäufer arbeitet. Er ist ein vorausschauender Denker und plant, wenn möglich, versucht er auch Menschen zu seinen Gunsten zu lenken. Provokationen gegenüber handelt Bloom ruhig und kontrolliert, bleibt besonnen. Diese Fähigkeit erweist sich als vorteilhaft, wenn es um die Vermeidung von Konflikten geht. Die Thematik des Täuschens, von List und Schein zeigt sich an Leopold Bloom subtiler als an Odysseus. Die Figuren in Ulysses täuschen sich häufig selbst, indem sie sich bezüglich ihrer eigenen Wünsche und Motive sowie Schwächen nicht bewusst sind oder sich diese nicht bewusst machen wollen oder sogar gegen ihre Wünsche arbeiten. Bloom weiß schließlich, dass seine Frau ihn betrügt, hält es aber geheim. Erkenntlich wird dies durch die Erzähltechnik des Gedankenstroms, des Streams of Consciousness, in der die Gedanken der jeweiligen Figur ungefiltert wiedergegeben werden und die Rezipienten teilhaben lassen. Das ist natürlich gerade im Zusammenhang mit dem Begriff der Täuschung interessant, denn im realen Leben kann niemand in den Kopf eines anderen blicken, in Ulysses gewährt uns aber der Autor durch seine Technik gerade diese Option.
Verkleidungen – physisch und psychisch
Während Odysseus sich als Bettler in sein Heim begibt, ist die Täuschung in Ulysses also subtiler und konzentriert sich auf die Kommunikation, die man auch als soziale Maskerade bezeichnen könnte. Dazu zählen nicht ernstgemeinte Höflichkeitsfloskeln, Small Talks, nichtssagendes Gerede, verschweigen der wahren Absichten und so weiter – eben wie man es aus dem Alltag selbst kennt. „Und, wie geht’s?“ „Gut, und selbst?“ „Auch gut!“ – Würde jeder sagen, wie es ihm wirklich ginge, die Kommunikation würde wohl fehlschlagen. Niemand will wirklich hören, wie es einem anderen geht – es ist sozialer Kit, kommunikativer Klebstoff, der oberflächlich ist. Doch sogar scheinbar intime Beziehungen sind ja in Ulysses von dieser Art Kommunikation betroffen. In Ulysses findet auch auf der Kapitelebene selbst eine Täuschung statt. Nicht nur orientieren sich die einzelnen Kapitel hinsichtlich des Aufbaus und der Struktur sowie der inhaltlichen Thematik an Homers Odyssee, sie sind auch von Kapitel zu Kapitel an verschiedene Erzähltechniken und Stile angepasst und experimentieren mit der Darstellung anderer Medien in der Literatur sowie allgemein verschiedenen Kommunikationsformen. Alles überlagert sich. Es scheint ein ganz normaler Roman – doch je tiefer man in das Werk eindringt, desto mehr lässt sich entdecken.
Hinter Dir! Ein dreiköpfiger Affe!
Und auch im Point-and-Klick-Adventure Monkey Island gibt es täuschende Dialoge zwischen den Figuren, die oftmals hinsichtlich der richtigen Reihenfolge oder des richtigen Satzes von Spielerinnen und Spieler durchprobiert werden müssen, damit das Spiel weiter seinen Lauf nehmen kann. Es gibt viele Illusionen und Rätsel mit List und Schein zu lösen, Zauber und Magie kommen vor, Verkleidungen und Identitätswechsel sowieso. Manchmal muss Guybrush Fallen und Köder auslegen, um andere Figuren abzulenken, damit er Objekte manipulieren, präparieren oder stibitzen kann. Berühmt sind kommunikative Ablenkungsmanöver wie „Hinter Dir! Ein dreiköpfiger Affe!“ oder dreiste Lügen, mit denen Guybrush sich mittels List und Schein beispielsweise als fähiger Pirat in LeChucks Crew einschleusen kann, um seine große Liebe Elaine zu retten. Und sogar seine zukünftige Geliebte täuscht er, um ihre Gunst zu erlangen. Es ist halt wie im normalen Leben! Berühmt sind die sprachgewaltigen Wortduelle, die sich Guybrush zum Erlernen der Fechtkunst aneignen muss. Hier eine Kostprobe.
Ich kenne einige Affen, die haben mehr drauf als du. — Die richtige Antwort darauf wäre: Aha, du warst also beim letzten Familientreffen.
Doch dazu in einem ausführlicheren Beitrag mehr.
Ausblick – List und Schein und Odysseus
Und weil das alles sehr interessant ist, werde ich unter dem Deckmantel der List und Täuschung als Machtprinzip Homers Odyssee, Ulysses von James Joyce sowie den liebenswerten Strichling aus Monkey Island in eigenen Beiträgen genauer unter die Lupe nehmen. Ganz unter dem Motto „Kreiere dich selbst neu, indem du eine neue Identität schmiedest, die Aufmerksamkeit erregt und das Publikum niemals langweilt.“[11] Unter dem bei Greene benannten Gesetz der Macht ist jeder Meister seines eigenen Bildes, seiner eigenen Identität – und Autorinnen und Autoren sind sowieso Meister bzw. Schöpfer ihrer Figuren, die im Text wiederum nach anthropologischen Prinzipien handeln. Wie das konkret in Homers Odyssee, Ulysses von James Joyce und Monkey Island aussieht, das wird in den folgenden Beiträgen interessant zu analysieren sein.
Verwendete Literatur
Greene, Robert: The 48 Laws Of Power, Kindle-Version.
Homer: Odyssee. Vollständige Ausgabe. Übertragen von Johann Heinrich Voß. München 1980.
Joyce, James: Ulysses. Übersetzt von Hans Wollschläger. Frankfurt am Main 1996 (suhrkamp taschenbuch 2551).
Machiavelli, Niccolò: Der Fürst. Herausgegeben und aus dem Italienischen neu übersetzt von Rafael Arnold. Wiesbaden 2013.
Storytime with Ron Gilbert – PAX Australia 2013 Keynote on GameSpot: https://www.youtube.com/watch?v=Q6IYgWh-qnY, (zuletzt abgerufen am 15.4.2024).
[1] Storytime with Ron Gilbert – PAX Australia 2013 Keynote on GameSpot: https://www.youtube.com/watch?v=Q6IYgWh-qnY, zuletzt abgerufen am 15.4.2024, 33:00-35:00. [2] Machiavelli, Niccolò: Der Fürst. Herausgegeben und aus dem Italienischen neu übersetzt von Rafael Arnold. Wiesbaden 2013, S. 17. [3] Ebd., S. 19. [4] Ebd. [5] Ebd. [6] Ebd., S. 19-20.[7] Ebd., S. 23. [8] Ebd., S. 24. [9] Greene, Robert: The 48 Laws Of Power (Kindle-Version), S. 191. [10] Ebd., S. 198. [11] Ebd.
Bildquellen
- Ilias-Homer: Umschlaggestaltung: Atelier Adolf & Angelika Bachmann, München; Umschlagfoto: Claus Hansmann, München, Umschlagbild: Ausschnitt aus dem Foto einer antiken Vase des 6. Jahrhunderts v. Chr. (Poseidon (links) mit Krieger
- James-Joyce-Ulysses: Suhrkamp Verlag
- Lucasfilm Entertainment -Monkey Island: LUCASFILM ENTERTAINMENT COMPANY LTD
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