Analyse – Gedicht Campendonk von Franz Richard Behrens

Zuletzt bearbeitet am 14. Januar 2025

Das expressionistische Gedicht Campendonk von Franz Richard Behrens ist eine Hommage an den gleichnamigen Maler und gleichzeitig der Versuch, die Essenz des Künstlers und seiner Werke in Sprache zu übertragen und mit Sprache erfahrbar zu machen.

Ich besitze den Reclam-Gedichtband Gedichte des Expressionismus und hatte daraus schon Heimweh von Else Lasker-Schüler und abseits davon Heimkehr von Gerrit Engelke als expressionistisches Gedicht analysiert. Das ist sehr interessant, weil die expressionistische Lyrik eine eigene Sprengkraft und Bildhaftigkeit besitzt. Das Problem, welches Gedicht es dieses Mal sein soll, konnte ich ganz einfach lösen nach dem Prinzip »Augen zu und durchblättern«. Ich stoppte bei Vorfrühling von Wilhelm Runge, An Anna Blume von Kurt Schwitters und eben Campendonk von Franz Richard Behrens. Campendonk sollte es also sein. Mich fasziniert die Wortgewalt. Aus diesem Grund werde ich mir nach einem ersten Überblick ein paar Zeilen herauspicken und diese konkreter anschauen. Vielleicht wird der Zugang zum Gedicht über die Augen einfacher – und zwar mit Bildern von Heinrich Campendonk, vielleicht auf der Wikiartseite oder über die folgende Videomontage auf YouTube.

Campendonk von Franz Richard Behrens

Blätter spitzen
Tanzen
Maien
Adern tönen
Rippen klingen
Waldwandern
Sonne hat Gold verloren
Weinblut perlt
Schraubt
Schwebt
Pfeilt
Tanne ist Granate
Pfeil schießt Stern
Sonne trinkt Blütenkelch
Schalen zirpen rote Luft
Meermuschel bogen
Blaue Blätter kahnen
Blaue Blüten sprudeln
Sonnenblätter violen grüne Granaten
Tigerteppichziehn
Koboldblau Kometen zügeln
Straßen springen gezäunt
Tunnel springen gezähmt
Durchblicken dursten springend
Schneeweine Stirnenwelle
Geyser Schlangenaten ziehen Fahnen
Harnisch röhren Blutkragen Kraterglut
Augen dolchen Zungen
Pferde widdern
Weil alles Zittern wellt.
Franz Richard Behrens: Campendonk. In: Gedichte des Expressionismus. Hg. von Dietrich Bode. Stuttgart 2016, S. 196-197.

Worum geht es in Franz Richards Gedicht Campendonk?

Franz Richard Behrens‘ Gedicht Campendonk bezieht sich allgemein auf die künstlerische Bildwelt von Heinrich Campendonk. Es werden keine Bilder genannt, doch jedes Wort bildet für sich eine eigene Referenz zu einem oder mehreren Bildern, zu einzelnen Elementen in einem bestimmten Bild oder zum Gesamtwerk an sich. Behrens schafft mit seinen Worten sprachliche Gebilde gegen eine grammatikalische Gesetzmäßigkeit, die jedoch aus künstlerischen Gegebenheiten heraus entstanden ist. Er nutzt Wortverkürzungen, Worttransformationen und Neuschöpfungen, wobei in einer Zeile gerade dadurch eine Ballung, eine besonders dichte rhythmische Komposition, eine Geschlossenheit mit großer Ausdruckskraft und Präzision erreicht wird. Mit einem Wort beschreibt er einen Pinselstrich, ein Bildelemente, ein ganzes Bild und auch das Gesamtkunstwerk von Heinrich Campendonk, vermag er es, die Essenz des Künstlers sprachlich zu verschriftlichen. Wenn man so will, könnte man auch von einer Übersetzung sprechen wie bei Fremdsprachen. Der Text greift zudem die Stimmungen, Motive und die spirituelle Symbolik auf, die Campendonks Malerei prägen. Dies entspricht einer poetischen Hommage. Das Gedicht ist wirklich ein faszinierendes Beispiel expressionistischer Lyrik – voller intensiver Bilder, die miteinander verschmelzen und neue Bedeutungen schaffen. Es handelt sich also um ein typisches Beispiel für die vom Sturm-Kreis propagierte „Einheit der Künste in einer Welt der Abstraktionen.“[1]

Expressiv — was ist nun das und was ist der Expressionismus?[2]

Das hat auch Gottfried Benn bereits 1905 beschäftigt. „Der Expressionismus war keineswegs eine besonders monströse Entartung, keine verbale Unentwirrbarkeit und trug nicht die Zeichen eines besonders ernsten charakterlichen Verfalls. Der Expressionismus drückte nichts anderes aus als die Dichter anderer Zeiten und Stilmethoden: sein Verhältnis zur Natur, seine Liebe, seine Trauer, seine Gedanken über Gott. Der Expressionismus war etwas absolut Natürliches, soweit Kunst und Stil etwas Natürliches sind und mit der Einschränkung, daß Gott und Natur für jede Generation etwas anderes werden.“[3] Gottfried Benn war übrigens ein deutscher Dichter und Arzt, der für seine schonungslos offenen und düsteren Texte bekannt ist. So führt Benn als expressionistischen Hintergrund Nietzsche mit seinem Drang an, sich auszudrücken, „ohne Rücksicht auf Ergebnisse“ oder verweist auf Teile „in Hölderlins bruchstückartiger Lyrik“.[4] Der Expressionismus und das expressionistische Jahrzehnt bilden eine neue Realität mit neuen Neurosen, so schreibt Benn gegen Ende seiner Einleitung. Was er sonst noch zu sagen hatte, das mag jeder selbst nachlesen, Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts ist einsehbar auf Online Archive.

Eine allgemeine Definition zum Expressionismus

Ich will dem noch einen Satz hinzufügen. „Der Expressionismus ist das künstlerische Symptom der Krisenstimmung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Am Vorabend »Urkatastrophe« des Ersten Weltkriegs setzt eine literarische Bewegung ein, in der junge Dichter ihren gemischten Empfindungen der Angst, des Mitleids, der Kriegsbegeisterung in Wochen- und Monatsschriften wie Die Aktion, Der Sturm und Das neue Pathos Ausdruck geben.“[5] Die Eindruckskunst des Impressionismus soll abgelöst werden durch die Ausdruckskunst des Expressionismus. Mitreißen und Schockieren – das soll der Expressionismus. Man denke nur an das berühmte Gemälde Der Schrei von Edvard Munch (1863-1944). „In der Lyrik werden Logik und Verständlichkeit verschmäht, Sätze rücksichtslos verkürzt (Vorherrschen des Nominal- oder Verbalstils), neue Zeitwörter unter Verzicht auf Prä- und Suffixe von Haupt- und Eigenschaftswörtern abgeleitet, traditionelle Metaphern entwurzelt und in einen überraschend neuen Zusammenhang gestellt. Viele Gedichte wirken gekünstelt, und nicht selten gipfelt das zum Programm erstarrte Pathos in einem hysterischen, manchmal sogar peinlich auftrumpfenden Gestammel.“[6] Es geht beim Expressionismus konkret um Formkunst, um eine Art der Sprachrevolution, formensprengende Wortgestalten, die sich offen, frei und authentisch gegen normgebende Traditionen richten, sie aufbrechen, mit ihnen abrechnen – und das allemal mit Expression.

Informationen zum Autor Franz Richard Behrens

Franz Richard Behrens war ein deutscher Schriftsteller und Dichter, der vor allem für seine Verbindung zur expressionistischen Literatur bekannt ist. Geboren 1895 in Brachnitz bei Halle war er ein aktives Mitglied der expressionistischen Literaturbewegung und ein bedeutender Autor im Umfeld der Zeitschrift Der Sturm, die von Herwarth Walden herausgegeben wurde. Behrens trug mit seinen Gedichten und Essays zur Förderung des Expressionismus bei und stand in engem Austausch mit anderen führenden Persönlichkeiten der Bewegung. Er verfasste sowohl Gedichte als auch Prosa, die oft von starken visuellen Eindrücken und einer intensiven Auseinandersetzung mit dem inneren Erleben geprägt sind. Die Themen seiner Werke reichen von der Auseinandersetzung mit der eigenen Existenz bis hin zu einer kritischen Reflexion gesellschaftlicher und politischer Umbrüche.

Sein literarisches Schaffen wurde zu Lebzeiten nicht immer breit rezipiert, doch seine Bedeutung für die Expressionisten und seine Rolle in Der Sturm haben ihn zu einer wichtigen Figur der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts gemacht. Er starb am 30.4.1977 in Berlin. Detaillierte Autoreninformationen zu Franz Richard Behrens und seinen Werken ist auf der Seite des Verlags edition text+kritik zu finden. Ein interessantes Gespräch mit dem Titel Vergessene Dichter Sachsen-Anhalts: Franz Richard Behrens gibt es bei Youtube.

Informationen zum Künstler Heinrich Campendonk

Heinrich Campendonk (1889–1957) war ein deutscher Maler und gehörte als jüngstes Mitglied der expressionistischen Künstlergruppe Der Blaue Reiter an. Expressionistische Künstler suchten nach einer subjektiven Ausdrucksweise zur Darstellung innerer Gefühle und universellen Themen wie Natur, Spiritualität und das menschliche Dasein. Campendonks Kunst verbindet leuchtende Farben, eine symbolträchtige Bildsprache und eine harmonische Beziehung zwischen Mensch und Natur. Campendonks Werk repräsentiert eine charakteristische Ausprägung des Expressionismus mit seinen spezifischen Themen und Techniken. Informationen zur Kunst von Heinrich Campendonk sind unter anderem auf der Webseite des Museums Penzberg zu finden.

Folgende Merkmale finden sich in Campendonks Kunst

  1. Leuchtende Farben und Transparenz:
    Campendonk verwendete eine strahlende Farbpalette, die an die Techniken der Glasmalerei erinnert (Buntglas hatte übrigens schon Paul Scheerbart als zukunftsträchtiges und revolutionäres Medium betrachtet) Campendonk arbeitete später selbst intensiv daran. Seine Bilder vermitteln oft den Eindruck, als würden sie von innen heraus leuchten.
  2. Symbolik und Naturverbundenheit:
    In vielen seiner Werke sind Tiere wie Pferde, Kühe, Hirsche, Vögel und Fische zentral. Sie stehen in symbolischer Beziehung zu Menschen und verweisen auf eine spirituelle Harmonie zwischen Menschen und der Natur.
  3. Geometrische Flächen und Konturen:
    Oft sind in Campendonks Werken klare Formen erkennbar, die durch schwarze Konturen abgegrenzt sind. Die Technik erinnert an die Arbeiten anderer Blauer Reiter-Künstler wie zum Beispiel die von Franz Marc.
  4. Traumhafte und mystische Szenen:
    Campendonks Werke wirken wie eine magische Traumwelt, in der Realität und Fantasie verschmelzen, was der Darstellung von spirituellen und emotionalen Themen zugutekommt.

Campendonks Kunst im Vergleich mit Campendonk von Behrens

Typische Motive des Expressionismus lassen sich sowohl in Behrens‘ Gedicht als auch in Campendonks Malerei erkennen. Das will ich folgend an einigen Zeilen veranschaulichen. Wie gesagt muss man für bildhafte Eindrücke leider auf diverse Plattformen zurückgegriffen werden oder sich das eingangs genannte YouTube-Video ansehen, auch wenn ich am Ende tatsächlich das Bild Der lange Kuhstall eingehender betrachten will.

1. Gesamteindruck des Gedichts Campendonk

Das Gedicht strahlt aufgrund der Sprachbilder und den aus ihrer grammatikalischen Kategorie herausgerissenen und transformierten Begriffe eine dynamische, beinahe eruptive Energie aus. Es kombiniert Bilder aus der Natur, Bewegung, Farben und Formen zu einer kaleidoskopartigen Welt. Die Sprache ist nicht deskriptiv im klassischen Sinn, sondern sie verdichtet Eindrücke in Symbolen und Metaphern. Folgende Themen erkenne ich in dem Gedicht:

  • Natur als schöpferische Kraft: Das Gedicht schildert Naturphänomene (Blätter, Tannen, Geyser, Kometen, Sonne usw.), die voller Energie und Transformation stecken.
  • Lebewesen: Pferde, Tiger, Meermuschel, Schlangen sind Lebewesen und können dem Bereich der Natur zugeordnet werden, teilweise werden sie aber auch domestiziert, vom Menschen der Natur entrissen, darum eignen sie sich für eine Verschmelzung dieser Sphären in der Malerei.
  • Verbindung von Mikro- und Makrokosmos: Kleine, konkrete Elemente (Blätter, Blütenkelche) wechseln mit kosmischen Bildern (Sterne, Kometen, Krater).
  • Emotionale Intensität: Die Verben (z. B. schraubt, schwebt, pfeilt, sprudeln, bogen, schießt) suggerieren Bewegung, die abrupft sein können oder aus einem natürlichen Fluss heraus geschehen. Sie verweisen auf einen Zustand der Unruhe und des Wachstums.

2. Zeilenweise Analyse des Gedichts Campendonk und mögliche Bildverbindungen

Blätter spitzen / Tanzen / Maien

Neben den offenkundigem Verschmelzen von dem Naturbild der Blätter und dem der menschlichen Sphäre zugeordneten Tanzen beginnt das Gedicht mit einem dynamischen Frühlingsbild. Die Blätter, die „spitzen“, rufen das Wachsen und Erneuern der Natur hervor.

  • Verbindung zu Campendonk: Viele Werke von Heinrich Campendonk zeigen stilisierte Pflanzen, die aufblühen und in harmonischer Bewegung dargestellt sind.

Adern tönen / Rippen klingen

Diese Zeilen personifizieren die Natur und verleihen ihr einen organischen Klang. Sie erinnern an den Rhythmus des Lebens, an das Pulsieren von Blut und Energie.

  • Verbindung zu Bildern: Campendonk verwendet oft geschwungene, rhythmische Linien, die an Blutbahnen oder pulsierende Lebensadern erinnern könnten.

Sonne hat Gold verloren / Weinblut perlt

Hier wird die Natur zu etwas Flüssigem und Sinnlichem. Die Sonne wird vergänglicher und „perlt“ wie Weinblut – ein Bild für Lebenskraft oder Opfer.

  • Verbindung: Das Motiv des Lichts in der expressionistischen Kunst könnte hier passen, etwa in Bildern von Licht- und Farbspielen, die gleichzeitig Leben und Vergänglichkeit symbolisieren.

Tanne ist Granate / Pfeil schießt Stern

Die Tanne wird zur Waffe, die Sterne abschießt. Diese Zeilen verbinden die Natur mit Gewalt und Kosmos, ein archetypisches Bild von Kraft und Zerstörung, das auch auf Krieg und Gewalt verweist, von Menschen betriebene Kämpfe und Gewalteinwirkungen, die aufgrund ihrer Wucht sogar in den Kosmos gleiten.

  • Verbindung: Werke mit dramatischer Symbolik, z. B. Landschaften, in denen Himmel und Erde verschmelzen, passen hier zum Beispiel. Allerdings müsste man noch hinsichtlich der Farbgebung konkreter auf die Symbolik schauen.

Geyser Schlangenaten ziehen Fahnen

Der Geyser symbolisiert rohe Energie, während die Schlangenaten Bewegung und Dynamik darstellen können, aber auch auf Tiere verweisen, auf transformierte Naturwesen vielleicht. Die Fahnen könnten Spuren oder Symbole des Triumphs sein.

  • Verbindung: Eine Verbindung zu Bildern, die Naturkräfte in Aktion darstellen – eruptive Bewegungen wie Wasser, Feuer oder Licht – die sich in ausdrucksvollen Linien, Pinselstrichen und Formen zeigen, wäre stimmig.

Straßen springen gezäunt

Die von Menschen gemachten Straßen und Zäune begrenzen und beengen die springende Natur. Das können Tiere sein oder aber Wiesen und Wälder. In dieser Zeile jedenfalls ist die Natur beengt und wird durch Menschen begradigt, wie wir es auch bereits in dem Bild Der lange Kuhstall sehen konnten. Das gilt übrigens auch für die direkt darauffolgende Zeile „Tunnel springen gezähmt“.

  • Verbindung: Campendonks Bilder zeigen häufig die Verschmelzung von Natur und von Menschen gemachten Objekten und Sphären.

Weil alles Zittern wellt

Das Gedicht endet mit einem starken Bild von Bewegung und Instabilität. Die Welt scheint in einem unaufhörlichen Zustand der Transformation. Allerdings verweist der Punkt am Ende des Gedichts auf einen Abschluss, den ich als Punkt hinter der sprachlichen Werkbeschreibung vermuten würde. Also in der Art: Jetzt ist alles dazu gesagt.

  • Verbindung: Campendonks Bilder, die oft dynamische, fließende Kompositionen zeigen, wären ein guter Abschluss, um die unruhige Bewegung zu verdeutlichen.

3. Stilistische Merkmale des Gedichts hervorheben

  • Verben im Präsens: Das Gedicht lebt von Verben wie „tanzen“, „klingen“, „schraubt“. Diese erzeugen eine unmittelbare, pulsierende Atmosphäre.
  • Metaphern und Synästhesien: „Adern tönen“, „Blütenkelch“ oder „Schalen zirpen“ verbinden Sinneseindrücke auf ungewohnte Weise.
  • Symbolik: Die „Granate“, der „Geyser“ und „Fahnen“ sind archetypische Bilder, die Naturkräfte und innere Konflikte spiegeln.

Funktionalisierte Substantive und Verben in Franz Richard Behrens‘ Campendonk

Das Gedicht Campendonk von Franz Richard Behrens ist geprägt von einer intensiven und dynamischen Bildsprache. Gerade die Transformation der Sprache und Wortneuschöpfungen gehören stilistisch zum Expressionismus. Daher interessiert mich in diesem Zusammenhang die Aufteilung und Kategorisierung in Substantive und Verben. Hier ist eine Analyse der Anzahl von Verben und Substantiven im Gedicht.

Substantive im Gedicht Campendonk

Die Substantive in Campendonk von Franz Richard Behrens tragen stark zur Bildhaftigkeit und Symbolik des Gedichts bei. Folgende Wörter kategorisiere ich als Substantive, wobei das aber aufgrund der Wortschöpfungen flexibel gehandhabt werden kann.

Substantive im Gedicht:

  1. Blätter
  2. Maien
  3. Adern
  4. Rippen
  5. Waldwandern (kann hier als substantivierter Infinitiv gelesen werden)
  6. Sonne
  7. Gold
  8. Weinblut
  9. Granate
  10. Pfeil
  11. Stern
  12. Blütenkelch
  13. Schalen
  14. Luft
  15. Meermuschel
  16. Blätter (erneut, in anderer Zeile)
  17. Blüten
  18. Granaten
  19. Tigerteppichziehn (substantivierter Infinitiv)
  20. Koboldblau (möglicherweise als Eigenname oder poetisches Substantiv verstanden)
  21. Kometen
  22. Straßen
  23. Tunnel
  24. Durchblicken (substantivierter Infinitiv)
  25. Schneeweine (kreative Substantivierung)
  26. Stirnenwelle
  27. Geyser
  28. Schlangenaten
  29. Fahnen
  30. Harnisch
  31. Röhren
  32. Blutkragen
  33. Kraterglut
  34. Augen
  35. Zungen
  36. Pferde
  37. Zittern (substantivierter Infinitiv)
  38. Wellen

Wie man sieht, wurden 38 Substantive gezählt. Das ist eine konkrete Zahl, die allerdings mit Blick auf die transformative Sprache von Franz Richard Behrens variabel ist, je nachdem, wie das Wort in welchem Kontext gelesen wird. Einige Begriffe können aufgrund von Mehrdeutigkeiten in der poetischen Sprache daher anders gedeutet werden bzw. könnten auch als Verben gezählt werden. Ich will mir hier nur Substantive und Verben ansehen, keine Adjektive. Es geht um das Was und das Tun, das Wie ist implizit aufgrund der Subjektivität.

Warum die aufgeführten Wörter für mich als Substantive gelten

Viele Wörter sind eindeutig Nomen aufgrund ihrer grammatikalischen Funktion (z. B. „Blätter“, „Sonne“, „Weinblut“).

  1. Substantivierte Verben (z. B. „Waldwandern“, „Durchblicken“, „Zittern“) werden großgeschrieben und übernehmen die Rolle eines Nomens.
  2. Kreative Komposita und Wortneuschöpfungen (z. B. „Schneeweine“, „Kraterglut“) entsprechen dem Gebrauch von Substantiven im poetischen Kontext, da sie Objekte, Zustände oder abstrakte Begriffe darstellen.

Zur Semantik der Substantive in Campendonk von Franz Richard Behrens

Die Substantive im Gedicht sind oft naturbezogen, symbolträchtig und lebendig, wodurch sie eine starke Verbindung zu den expressionistischen Themen von Mensch, Natur und kosmischer Einheit herstellen.

  • Natur und Lebendigkeit:
    Begriffe wie Blätter, Maien, Adern, Rippen, Sonne, Blütenkelch, Blüten, Granaten und Schalen suggerieren eine enge Verbindung zur Natur. Sie rufen ein organisches, pulsierendes Bild hervor, das typisch für den Expressionismus ist. Campendonk setzte in seiner Kunst ebenfalls solche natürlichen Elemente ein, oft in Form von Bäumen, Tieren oder Pflanzen, die in leuchtenden Farben und vereinfachten Formen dargestellt wurden.
  • Bewegung und Energie:
    Substantive wie Kometen, Straßen, Tunnel und Fahnen sind dynamisch und symbolisieren Transformation, Bewegung und die Durchdringung verschiedener Ebenen. Die Bewegung ist implizit. Diese Elemente passen zu Campendonks Interesse an der Darstellung des Fließens und Verwandelns in der Natur und der Welt.
  • Klang und Intensität:
    Begriffe wie Rippen, Adern, Kraterglut, Augen, Zungen deuten auf Intensität und Ausdruckskraft hin. Sie sind symbolisch stark aufgeladen, ähnlich wie Campendonks Motive, die oft einen bedeutungsvollen wie auch emotionalen Gehalt transportieren.

Verben im Gedicht Campendonk

Die Verben erzeugen im Gedicht Campendonk von Franz Richard Behrens Bewegung und Dynamik. Sie sind oft in einer beschleunigten Abfolge und in ihrer Grundform (Infinitiv) dargestellt.

  1. spitzen
  2. tanzen
  3. tönen
  4. klingen
  5. wandern (in „Waldwandern“ – könnte auch als Substantiv interpretiert werden, hier aber als Verb betrachtet)
  6. hat verloren
  7. perlt
  8. schraubt
  9. schwebt
  10. pfeilt
  11. schießt (in „Pfeil schießt Stern“)
  12. trinkt (in „Sonne trinkt Blütenkelch“)
  13. zirpen (in „Schalen zirpen“)
  14. kahnen (in „Blätter kahnen“ – poetisch, aber als Verb lesbar)
  15. sprudeln (in „Blüten sprudeln“)
  16. ziehen (in „Tigerteppichziehn“ – könnte auch substantiviert sein, hier jedoch als Verb interpretiert)
  17. zügeln (in „Kometen zügeln“)
  18. springen (in „Straßen springen“ und „Tunnel springen“ – doppelt verwendet)
  19. dursten
  20. springend (Partizip in „dursten springend“ – Teil einer Verbform)
  21. ziehen (in „Geyser Schlangenaten ziehen“)
  22. dolchen
  23. widdern (in „Pferde widdern“)
  24. wellt

Warum diese Wörter als Verben kategorisiert werden können

  1. Grammatische Formen: Verben sind durch Infinitiv-, Konjugations- oder Partizipformen erkennbar, z. B. „tanzen“, „schraubt“, „trinkt“.
  2. Funktion im Satz: Diese Wörter drücken Handlungen, Zustände oder Bewegungen aus und sind zentral für die Dynamik der Gedichtzeilen.
  3. Partizipien als Verben: Wörter wie „springend“ können auch adjektivisch gelesen werden, aber in diesem Gedicht scheinen sie meist Teil der Verbdynamik zu sein und wie gesagt, hatte ich in diesem Fall kein Interesse daran.
  4. Poetische Freiheit: Wörter wie „dolchen“ oder „kahnen“ sind nicht in der Alltagssprache gebräuchlich, werden hier jedoch in einer verbalen Funktion verwendet. Und jeder hat sicher bestimmte Assoziationen, die aufgrund der diesen Worten zugrundeliegenden Substantiven mitschwingen.

Zur Semantik der Verben in Campendonk von Franz Richard Behrens

Die Verben im Gedicht sind durchweg aktiv, dynamisch und bildhaft, was eine zentrale Rolle in der expressionistischen Ästhetik spielt. Sie erzeugen Bewegung, Klang und Wandel und sind damit charakteristisch für die Zeit und Campendonks Werk:

  • Bewegung:
    Verben wie tanzen, wandern, springen, pfeilt, zieht, schwebt und schießt betonen eine Welt in ständiger Bewegung und Transformation. Sie fangen das Dynamische und das Momenthafte ein. In Campendonks Bildern ist diese Dynamik oft durch geschwungene Linien und lebendige Farben dargestellt.
  • Klang und Vibration:
    Verben wie klingen, tönen, zirpen und dolchen schaffen eine synästhetische Dimension, die Klang und Bewegung verbindet. Insofern werden Grenzen zwischen Sinneseindrücken aufgelöst. Campendonk nutzte visuelle Klangfarben, um eine ähnlich umfassende Wahrnehmung zu erzeugen.
  • Transformation und Spannung:
    Verben wie schraubt, perlt, sprudeln, durchblicken und dursten suggerieren eine Welt im Prozess der Verwandlung. Es geht also um die Verschmelzung von Innen und Außen, um die Verschmelzung verschiedener und sich eigentlich widersprechender Sphären, die sonst nicht vereinbar scheinen. Campendonks Bilder zeigen oft Szenen, in denen Menschen, Tiere und Natur auf symbolische Weise miteinander verbunden sind.

Verhältnis von Substantiven zu Verben

Es gibt (zumindest nach meiner Zählung) mehr Substantive als Verben (35:24), was typisch für die bildhafte Sprache ist, die Franz Richard Behrens für Campendonks Kunst in Worte zu fassen versucht. Die Substantive bilden die Grundlage der Bilder, während die Verben eine lebendige, dynamische Bewegung schaffen – passend zum expressionistischen Stil. Die hohe Anzahl der Substantive spiegelt die Fülle an visuellen Eindrücken wider, die Campendonks Kunst vermittelt, während die Vielzahl an Verben die lebendige und pulsierende Energie seiner Bildkompositionen einfängt. Das Zusammenspiel zeigt, wie Behrens exemplarisch die expressive Bildhaftigkeit der Malerei in die Sprache überträgt.

Nehmen wir als Beispiel „Schneeweine Stirnwelle“

Beide Wörter wurden als Substantivierung gezählt. Schneeweine (das Wort) besteht aus Schnee und entweder Wein oder weinen. Man könnte nun aber auch sagen, die Schneeweine (im Plural) schmecken gut oder die Schneeweine schmelzen usw. Was sich hier im Wort findet ist die Kombination aus etwas Natürlichem – dem Schnee – mit etwas vom Menschen Gemachten oder vom Menschen kommenden – der Wein oder weinen. Ebenso verhält es sich mit der Stirnwelle.

Die Verbindung der Bildsprache von Behren’s Campendonk zum Expressionismus

Das Gedicht Campendonk von Franz Richard Behrens lässt sich semantisch und thematisch gut mit den zentralen Anliegen des Expressionismus und der Kunst Heinrich Campendonks in Beziehung setzen. Sowohl die Substantive als auch die Verben des Gedichts spiegeln wesentliche Merkmale der Bewegung und des künstlerischen Ansatzes Campendonks wider. Dazu gehört

  • die Darstellung und das Hervorrufen von emotionaler Intensität
  • das Aufbrechen der linearen und objektiven Sichtweise auf die Realität der Welt durch abstrahierte und symbolische Bildsprache
  • das Erschaffen eines ganzheitlichen Weltbilds als kosmische Einheit und Mystik, in der Mensch, Natur und Kosmos verwoben sind

Beschluss zu Campendonk von Franz Richard Behrens zu den Werken des Künstlers Heinrich Campenddonk

Das Gedicht ist wie eine lyrische Umsetzung von Campendonks Bildsprache. Die dynamischen Verben und die organischen, oft surrealen Substantive des Gedichts könnten auf Campendonks Darstellung von Landschaften, Tieren und symbolischen Motiven hinweisen. Die „zitternde“ und „wellenartige“ Bewegung entspricht der vibrierenden Energie, die Campendonks Bilder durch Farben und Formen ausstrahlen. Ganz allgemein greift das Gedicht Campendonk die Themen und die Ästhetik des Expressionismus auf, indem es durch eine eindrucksvolle Verbindung von Substantiven und Verben eine Welt voller Bewegung, Klang und Transformation erschafft. Diese Bildwelt korrespondiert mit Campendonks Kunst, die ebenfalls von einer dynamischen, symbolträchtigen und mystischen Atmosphäre geprägt ist. Der Abschluss des Gedichts bringt mit „Weil alles Zittern wellt“ letztlich den Kern von Campendonks Kunstwerken perfekt auf den Punkt: eine vibrierende, lebendige Existenz, die die Grenzen von Natur, Geist und Kunst überwindet.

Eine kurzweilige Analyse von dem Bild Langer Kuhstall und Behrens‘ Campendonk im Zusammenhang

Der lange Kuhstall von Heinrich Campendonk, 2017-07-16 Campendonk Museum Penzberg 016 Heinrich Campendonk, Der lange Kuhstall" by Allie_Caulfield is licensed under CC BY 2.0.
Campendonk Museum Penzberg 016 Heinrich Campendonk, Der lange Kuhstall“ by Allie_Caulfield is licensed under CC BY 2.0.

Ich habe ein Bild gefunden, das ich hier einbringen darf und möchte versuchen, es mit dem Gedicht Campendonk in Beziehung zu setzen. Es handelt sich um Der lange Kuhstall. Ich finde, das Bild wirkt friedlich, gesättigt, warm, genüsslich, schläfrig sogar. Das mag teilweise an den gelben, orangenen und rot-braunen Farben liegen, die das Gemälde erden. Es ist ein bäuerliches Motiv, wobei der Stall nur links im Bild angedeutet ist, Leiter und Forke stellen Symbole des Hauses und der Feldarbeit dar. Die Kühe laben sich am Futter, Wasser und Getreide mag es sein. Was mir auffällt, ist der Gegensatz von Kuh und Futtertrog. Die Kühe sind geschwungen, rundeckig und fließender als er eckig und eher statisch gemalte Trog. Beide aber tragen dieselben Farben. Vielleicht soll hier ein Gegensatz angedeutet werden zwischen dem Leben, der Natur und dem vom Menschen erschaffenen Statischen, Leblosen. Die geraden Linien ziehen sich immerhin auch unter den Kühen hinweg und mögen auf gepflügte Äcker und vom Menschen bearbeitete Felder hindeuten. Wenn ich nun also von einem Gegensatz hinsichtlich der Formgebung gesprochen habe und von einer Verbindung von Tieren und menschengemachten Dingen, dann lässt sich konkret auch von einer Vermischung von Natur und Kunst sprechen. Von einer Verschmelzung, wie bei den „Adern“, die „tönen“ oder den „Rippen“, die „klingen“. Der Übergang von festen Formen zu fließenden, lebendigen Energien wird sowohl im Bild als auch im Gedicht thematisiert.

Weitere Zeilen, die zu Campendonks „Langer Kuhstall“ passen könnten, sind:

  • „Sonne hat Gold verloren“ – Diese Zeile könnte die warme, jedoch doch melancholische Atmosphäre widerspiegeln, die in vielen von Campendonks Arbeiten durch die Erdtöne und die Lichtführung entsteht.
  • „Weinblut perlt“ – Auch diese Zeile könnte die organische Verbindung von Mensch, Natur und Arbeit in einem ländlichen Kontext betonen, was Campendonk häufig darstellte.

Festhalten kann man in diesem Sinne also, dass in Der lange Kuhstall von Heinrich Campendonk die Verbindung von Natur, Energie und menschlicher Arbeit dargestellt wird und die Bildsprache des Gedichtes von Behrens aufgrund der wohlgewählten Worte passend getroffen ist.

Verwendete Literatur

Gedichte des Expressionismus. Hg. von Dietrich Bode. Stuttgart 2016.Benn, Gottfried: Einleitung. In: Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. Von den Wegbereitern bis zum Dada. Einleitung von Gottfried Benn. 1. Auflage Mai 1962, 5. Auflage April 1970. München 1970, S. 5-16.Lyrik des Expressionismus. Lektüreschlüssel. Von Michael Hanke. Stuttgart 2013.

https://www.mz.de/lokal/halle-saale/franz-richard-behrens-das-grosse-talent-aus-brachwitz-2047730


[1] Gedichte des Expressionismus. Hg. von Dietrich Bode. Stuttgart 2016, S. 222. [2] Benn, Gottfried: Einleitung. In: Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts. Von den Wegbereitern bis zum Dada. Einleitung von Gottfried Benn. 1. Auflage Mai 1962, 5. Auflage April 1970. München 1970, S. 5-16, hier S. 6. [3] Ebd., S. 9. [4] Ebd., S. 7. [5] Lyrik des Expressionismus. Lektüreschlüssel. Von Michael Hanke. Stuttgart 2013, S. 7. [6] Ebd.

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