9. Dezember – Literarischer Adventskalender 2024
Was wäre Deutschland ohne Goethe? Immer noch Deutschland, aber irgendwie gehört der Typ als feste literarische Größe zum kulturellen Kanon. Und weil Weihnachten ist, möchte ich auch seine Forschungen zur Farbenlehre erwähnen, von der stilistischen Raumeinteilung konnte ich mich beim Besuch seines Geburtshauses in Frankfurt selbst überzeugen. Genug Blabla. Die Leiden des jungen Werther ist das heutige Buch oder auch Die Leiden des jungen Werthers. Man sieht es mal so, mal so – auf meiner Ausgabe fehlt halt das s. Es ist hinsichtlich vieler Aspekte immer noch aktuell. Goethe lesen – da geht vielen die Lust verloren. Da haben einige noch die öden Schullektüren im Kopf, gelbe Reclambändchen und gruselige Zeitstrahl-Illustrationen, auf denen genau verzeichnet ist, ab wann die Epoche Sturm und Drang losging und welche Strömungen exactomundo wann in Deutschland vorhanden waren. Diese Ablehnung des bürokratisch-präzisen Bulimielernens kann ich absolut nachvollziehen. Übrigens Goethe auch, wie man in der Groteske Goethe im Examen von Egon Friedell und Alfred Polgar nachlesen kann. Aber man sollte sich die Freude am Lesen von Klassikern nicht trüben lassen. Und darum steckt hinter dem heutigen Türchen eben mal der gute alte Goethe, zu dem ich jetzt nicht „Fuck you!“ sagen werde, sondern eher so etwas wie „Na, wie geht’s denn so?“.
Die Leiden des jungen Werthers von Gothe sind lesenswert, weil …
👉 es sich um eine zeitlose und berührende Geschichte über Liebe, Leidenschaft und Schmerz handelt (das kennt auch heute noch jeder irgendwie).
👉 es als Meisterwerk der deutschen Literatur die Epoche des Sturm und Drang geprägt hat.
👉 es Werthers inneren Konflikt und psychologische Abgründe auf beeindruckende Weise darstellt.
👉 im Werk gesellschaftliche Zwänge und die Sehnsucht nach individueller Freiheit kritisch beleuchtet werden.
👉 Goethes poetische Sprache und gefühlvolle Ausdrucksweise ein einzigartiges Leseerlebnis bieten.
👉 man wohl in einer aktualisierten Fassung einen Disclaimer in Form von –bitte nicht nachmachen– anschließen müsste.
Wovon handelt Goethes Die Leiden des jungen Werthers?
Die Leiden des jungen Werther ist mehr als ein Liebesroman; es ist ein Werk, das universelle Themen wie Liebe, Freiheit, gesellschaftliche Zwänge und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Geistes behandelt. Goethes Roman markiert den Beginn eines neuen literarischen Zeitalters, in dem das Individuum und seine Gefühle in den Mittelpunkt rückten. Bis heute berührt die Geschichte von Werther Leser auf der ganzen Welt, weil sie die universelle Erfahrung von Sehnsucht, Schmerz und der Suche nach einem sinnvollen Leben auf eindringliche Weise darstellt. Werther verliebt sich in Lotte, die jedoch mit dem pflichtbewussten Albert verlobt ist. Lotte ist freundlich, warmherzig und von großer Ausstrahlung, doch sie bleibt ihrer Verpflichtung gegenüber Albert treu. Werther, der von seinen Gefühlen für Lotte überwältigt wird, steigert sich in eine obsessive Liebe, die von Schwärmerei zu Verzweiflung führt. Obwohl er sich mehrfach von ihr zu distanzieren versucht, kehrt er immer wieder zurück und verstärkt so seinen inneren Konflikt. Seine Idealvorstellungen von Liebe und Freiheit kollidieren mit der gesellschaftlichen Realität, die ihm keine Hoffnung auf Erfüllung lässt. Im zweiten Teil des Romans wird Werthers innere Zerrissenheit zunehmend deutlich. Seine Liebe zu Lotte bleibt unerwidert, und Alberts geduldige, aber letztlich unerschütterliche Position verstärkt Werthers Gefühl der Ausweglosigkeit. Am Ende sieht Werther keinen anderen Ausweg als den Freitod. Er nimmt sich das Leben mit einer Pistole, die er sich von Albert geliehen hat. Lotte ist zutiefst erschüttert, doch sie bleibt der gesellschaftlichen Ordnung und ihrer Ehe mit Albert verpflichtet.
Es gibt natürlich Filme:
Und es gibt auch eine aktuelle moderne Fassung:
Kleine Information zu Johann Wolfgang von Goethe
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) war ein deutscher Dichter, Denker und Naturwissenschaftler, der zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Literatur gehört. Er gilt als Wegbereiter der Weimarer Klassik und prägte die literarische Landschaft nachhaltig.
Zu seinen bekanntesten Werken zählen das Drama Faust, das als sein Meisterwerk gilt und die ewige Auseinandersetzung des Menschen mit dem Streben nach Wissen und Macht thematisiert. Auch Die Leiden des jungen Werthers machte Goethe zu einem internationalen Star und wurde ein Symbol für die Stürme der Jugend und unglückliche Liebe. Darüber hinaus schrieb er die epische Dichtung Wilhelm Meisters Lehrjahre, in der er den Bildungsweg eines jungen Mannes schildert, sowie zahlreiche Gedichte, darunter das berühmte Erlkönig. Goethe war zudem als Naturwissenschaftler aktiv und verfasste wissenschaftliche Arbeiten, insbesondere in den Bereichen Botanik und Farbenlehre.
Ein Vorgeschmack aus dem Inhalt von Goethes Die Leiden des jungen Werther
Ach wie mir das durch alle Adern läuft, wenn mein Finger unversehens den ihrigen berührt, wenn unsere Füße sich unter dem Tische begegnen! Ich ziehe zurück wie vom Feuer, und eine geheime Kraft zieht mich wieder vorwärts – mir wird’s so schwindelig vor allen Sinnen. – O! Und ihre Unschuld, ihre unbefangene Seele fühlt nicht, wie sehr mich die kleinen Vertraulichkeiten peinigen. Wenn sie gar im Gespräch ihre Hand auf die meinige legt und im Interesse der Unterredung näher zu mir rückt, daß der himmlische Atem ihres Mundes meine Lippen erreichen kann: – ich glaube zu versinken, wie vom Wetter gerührt. – und, Wilhelm! Wenn ich mich jemals unterstehe, diesen Himmel, dieses Vertrauen –! Du verstehst mich. Nein, mein Herz ist so verderbt nicht! Schwach! Schwach genug! – und ist das nicht Verderben?
– sie ist mir heilig. Alle Begier schweigt in ihrer Gegenwart. Ich weiß nie, wie mir ist, wenn ich bei ihr bin; es ist, als wenn die Seele sich mir in allen Nerven umkehrte. – sie hat eine Melodie, die sie auf dem Klaviere spielet mit der Kraft eines Engels, so simpel und so geistvoll! Es ist ihr Leiblied, und mich stellt es von aller Pein, Verwirrung und Grillen her, wenn sie nur die erste Note davon greift.
Kein Wort von der Zauberkraft der alten Musik ist mir unwahrscheinlich. Wie mich der einfache Gesang angreift! Und wie sie ihn anzubringen weiß, oft zur Zeit, wo ich mir eine Kugel vor den Kopf schießen möchte! Die Irrung und Finsternis meiner Seele zerstreut sich, und ich atme wieder freier.
Aus: Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werther. Nachwort von Ernst Beutler. Stuttgart 2001 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 67), S. 44-45.
Und wer lieber direkt online lesen möchte, kann Die Leiden des jungen Werther auch auf dem Projekt Gutenberg konsumieren.
Warum ist Die Leiden des jungen Werthers noch so bedeutend?
Die Leiden des jungen Werther war zur Zeit seines Erscheinens ein literarisches Phänomen. Der Roman prägte nicht nur die Epoche des Sturm und Drang, sondern beeinflusste auch die europäische Literatur nachhaltig. Werthers radikale Subjektivität und seine intensive Gefühlswelt spiegelten die Ideale einer Generation wider, die nach individueller Freiheit und Ausdruck strebte. Goethes präzise Beobachtung von Emotionen und Natur sowie seine lyrische Sprache machen das Werk zu einem Meisterstück der Empfindsamkeit. Das Werk löste eine Art Werther-Fieber aus: Leser identifizierten sich so stark mit Werther, dass es zu einem Nachahmungseffekt kam, bei dem junge Männer sich im Stil des Protagonisten kleideten oder sogar seinen Suizid nachahmten. Dieser Einfluss zeigt, wie tief die literarische Darstellung von Werthers Gefühlen das Zeitgefühl traf.
Die Leiden des jungen Werther: Zeitlose Themen und ihre Bedeutung
Goethes Die Leiden des jungen Werthers ist als Briefroman verfasst, wodurch Leserinnen und Leser das Schicksal des verliebten und leidenden jungen Werther aus erster Hand erfahren – nämlich von ihm selbst. Der junge Mann zerbricht an der unerfüllten Liebe zu Charlotte und leidet an seiner existenziellen Sehnsucht nach einem sinnvollen Leben.
Wichtige Themen in Goethes Die Leiden des jungen Werthers
Unerfüllte Liebe
Werthers unglückliche Liebe zu Lotte steht im Zentrum des Romans. Sie zeigt die Spannung zwischen romantischen Idealen und der gesellschaftlichen Realität, die individuelle Wünsche begrenzt.
Individuum und Gesellschaft
Der Roman beleuchtet den Konflikt zwischen Werthers Wunsch nach absoluter Freiheit und der starren Ordnung der Gesellschaft. Werther fühlt sich in einer Welt gefangen, die ihn nicht versteht und ihm keinen Raum für seine Leidenschaften lässt.
Natur und Emotion
Die Natur spielt im Roman eine zentrale Rolle als Spiegel von Werthers Gefühlswelt. Goethes Beschreibungen verbinden äußere Landschaften mit inneren Zuständen und verstärken die emotionale Wirkung.
Suizid und Sinnsuche
Werthers Selbstmord ist Ausdruck seiner Verzweiflung und zugleich ein Protest gegen eine Welt, die ihm keine Erfüllung bietet. Der Roman wirft Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Lebens und den Grenzen menschlicher Freiheit auf.
Bildquellen
- Goethe-Die-Leiden-des-jungen-Werther: Reclam
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