6. Dezember – Literarischer Adventskalender 2024
Hinter Tür Nummer 6 verbirgt sich nach dem gestrigen Türchen mit einer wichtigen, aber doch auch unangenehmen Studie etwas ganz Besonderes: Die Schönheit der Differenz von Hadija Haruna-Oelker. Das Buch erschien bereits 2022 und stellt Fragen zum Zusammenleben innerhalb einer Gesellschaft zu Themen wie Sozialisierung, Behinderung und was wir alles ausblenden, Konstruktionen des trennenden Anderen, Gender und Körper und mehr. „Wie kann es uns gelingen, unsere Gesellschaft als Gemeinschaft zu denken und verbunden zu handeln?“ steht auf dem Buchrücken. Letztlich haben wir alle – egal, um welche Gesellschaftsgruppe es sich handelt, eines gemeinsam: Wir sind alle Menschen! Was ist schon normal? Und gerade die besinnliche Adventszeit ist sehr gut zur Rückbesinnung auf die wirklich wichtigen Dinge im Leben und im gemeinschaftlichen Miteinander.
Interessante Passagen aus Die Schönheit der Differenz vonHadija Haruna-Oelkers
Demnach ist unbedingte Solidarität bedingungslos, kein an Bedingungen geknüpftes Tauschgeschäft. Und um sie zu erfahren, brauchen wir mehr initiierte gemeinsame Momente, damit wir mehr von der Differenz der anderen kennenlernen und uns miteinander verbinden und verbünden. Es ist erwiesen, dass wir uns durch Begegnung besser und einfacher verstehen, und wir sind dafür verantwortlich, dass diese Begegnungen stattfinden. Wir brauchen bildlich gesprochen mehr Partys, in denen wir einander in guter Stimmung erleben. Es heißt, die eigene Echokammer verlassen, um andere Menschen zu treffen, die sich von einem unterscheiden. Andere, als die, die man schon kennt, um auch sie kennenzulernen.
Aus: Haruna-Oelker, Hadija: Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken. München 2022, S. 509-510.
Immer wieder höre ich Menschen im Alltag von »anderer Hautfarbe« sprechen, wenn sie Schwarz meinen. Ich selbst sage das nie, weil Weißsein nicht die Norm ist, von der aus ich spreche. Von mir aus betrachtet: Was wäre das, »die andere Hautfarbe«?
Es gibt viele dieser unterbewussten Kategorisierungen. Gedanken von »deiner Kultur« und »meiner Kultur«. Ein Islam, der für die einen zu Deutschland und für anderen nicht zu Deutschland gehört. Es sind die Gegensätze, die formuliert werden. Als während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 einer Zeit der kollektiven Erleichterung, in Deutschland Fahnen geschwunden wurden und dies zu ganz unterschiedlichen Gefühlen bei den Menschen führte, lobte mich mein Professor im Vorgespräch zu meiner mündlichen Prüfung kurz vor Ende meines Studiums von einem Deutschlandspiel für mein Flaggen-Tattoo, das mir eine meiner Freundinnen auf dem Oberarm verpasst hatte. »Das freut mich aber total, dass Sie mit uns fiebern«, sagte er. Und ich dachte, »mit uns«? Ich verstand, wie er mich von außen sah und was er mit meinem Schwarzsein verband.
Aus: Haruna-Oelker, Hadija: Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken. München 2022, S. 209-210.
Hadija Haruna-Oelkers Die Schönheit der Differenz ist lesenswert, weil …
👉 sie eindrucksvoll zeigt, wie Vielfalt unsere Gesellschaft bereichern kann.
👉 sie aufklärt, wie Vorurteile entstehen und wie wir sie überwinden können.
👉 sie eine einzigartige Perspektive auf Identität, Zugehörigkeit und Diversität bietet.
👉 ihre Geschichten und Analysen helfen, unsere eigene Wahrnehmung von Anderssein zu hinterfragen.
👉 sie einen wichtigen Beitrag zu einem respektvollen Umgang mit kulturellen Unterschieden leistet.
Was macht Die Schönheit der Differenz so einzigartig?
Mir persönlich hat sehr gut gefallen, wie Hadija Haruna-Oelker in Die Schönheit der Differenz eigene Erfahrungen in aktuelle politische Debatten und wissenschaftliche Fachliteratur einbringt. Es bringt mit nicht nur die Autorin nahe, sondern zeigt mir eine neue Perspektive auf, die ich gerade aufgrund dieser individuellen Ebene sehr gut nachvollziehen kann. Die Autorin kombiniert also persönliche Erzählungen, kulturelle Reflexionen und philosophische Ansätze zur Vermittlung ihrer universellen Botschaft: Vielfalt ist eine Chance für Wachstum und Verständnis. Komplexe Themen wie Diskriminierung, Identität und Integration werden aufgrund des persönlichen Zugangs zugänglich und mit einer poetischen Sprache beleuchtet, was gerade zum Nachdenken und Mitfühlen anregt.
Warum ist ein Buch wie Die Schönheit der Differenz wichtig?
Ein Buch wie Die Schönheit der Differenz ist wichtig, weil es die Themen Rassismus, Diversität und Identität auf eine tiefgründige und persönliche Weise darstellt. Gezeigt wird, dass vermeintliche Differenzen zwischen Menschen nicht bedrohlich, sondern bereichernd sind, wenn wir bereit sind, uns auf ein authentisches Miteinander einzulassen. Hadija Haruna-Oelker zeigt, wie tief gesellschaftliche Ungleichheiten in unserer Gesellschaft immer noch verankert sind. Demgegenüber bietet sie eine Perspektive, die sowohl die individuelle Verantwortung als auch die strukturelle Dimension von Diskriminierung adressiert. Sie verbindet autobiografische Erfahrungen mit wissenschaftlichen Ansätzen wie Intersektionalität und Hybridität, um die Komplexität von Identitäten und Diskriminierung sichtbar zu machen. Das ist wichtig, weil wir letztlich alle Individuen in einer großen Gemeinschaft sind. Alle können ihren Teil für ein gemeinschaftlicheres Zusammenleben leisten. Und zwar nicht nur in der Weihnachtszeit.
Zum Inhalt von Hadija Haruna-Oelkers Die Schönheit der Differenz
In Die Schönheit der Differenz erzählt Hadija Haruna-Oelker von ihren persönlichen Erfahrungen als Schwarze Frau in Deutschland und verbindet diese mit gesellschaftlichen, historischen und politischen Analysen. Thematisiert wird die Bedeutung von Vielfalt und Identität. Die Autorin zeigt, wie Rassismus, Diskriminierung und Stereotype tief in gesellschaftlichen Strukturen verankert sind. Das ist tatsächlich ein Thema, mit dem ich mich anhand meiner Analysen zu antijüdischen Stereotypen oder struktureller Gewalt gegen Frauen auseinandergesetzt habe. Des Weiteren sind eben diese Themen auch präsent im Kollektivroman WIR KOMMEN, Tim Staffels Südstern oder Gottfried Kellers Romeo und Julia auf dem Dorfe sowie Aurora Venturinis Die Cousinen. Haruna-Oelker beleuchtet darüber hinaus verschiedene Perspektiven über Machtverhältnisse, Zugehörigkeit und das Zusammenleben in einer zunehmend pluralen Gesellschaft. Sie nutzt autobiografische Erlebnisse, wissenschaftliche Erkenntnisse und ihre journalistischen Arbeiten zur verständlichen Darstellung komplexer Zusammenhänge. Die zentrale Botschaft von Die Schönheit der Differenz ist, dass Unterschiede keine Bedrohung darstellen, sondern eine wertvolle Chance für die Gestaltung einer Gesellschaft in der Gerechtigkeit und Menschlichkeit gelebt werden.
Zur Autorin Hadija Haruna-Oelker
Hadija Haruna-Oelker ist eine deutsche Journalistin, Moderatorin und Autorin mit ghanaischen und deutschen Wurzeln. Sie arbeitet unter anderem für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Hessischen Rundfunk und beschäftigt sich intensiv mit Themen wie Integration, Rassismus und Gesellschaftskritik. Ihre Arbeit zeichnet sich durch eine präzise Analyse und die Fähigkeit aus, komplexe Themen mit Feingefühl und Nachdruck zu vermitteln. Mit Die Schönheit der Differenz bringt sie nicht nur ihre eigene Lebensgeschichte ein, sondern leistet einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion über Rassismus und Diversität in Deutschland. Ihre Perspektive ist besonders wertvoll, weil sie sowohl die Herausforderungen als auch die Chancen einer diversen Gesellschaft betont und dabei stets zu einem respektvollen und offenen Dialog anregt. Ihr aktuelles Buch Zusammensein – Plädoyer für eine Gesellschaft der Gegenseitigkeit erschienin Oktober dieses Jahres. In diesem Buch thematisiert sie als Mutter eines behinderten Kindes die fehlende umfassende Teilhabe für behinderte Menschen und wie man dem Erstarken sozialdarwinistischer Vorstellungen in unserer Gesellschaft entgegentreten kann.
Warum ich das Buch in meinen Literarischen Adventskalender gestellt habe
Die Schönheit der Differenz ist ein essenzieller Beitrag zur Auseinandersetzung mit Diversität und den Mechanismen der Ausgrenzung in der deutschen Gesellschaft. Und dies gehört leider eben nicht der Vergangenheit an – immer noch. Und auch im Spiegel unseres aktuellen Weltgeschehens sind wir alle weiterhin zu einem gemeinschaftlichen und menschlichen Miteinander aufgerufen. Haruna-Oelker verbindet ihren individuellen Erfahrungen mit strukturellen Analysen und verleiht ihrem Werk dadurch emotionale und intellektuelle Tiefe – doch wichtig finde ich darüber hinaus noch zu erwähnen, dass gerade durch diese persönliche Note Ereignisse aufgerufen werden, die ein Erkennen im eigenen Alltag möglich machen und Reflexionsoptionen bieten, sein eigenes Handeln zu überdenken für ein Mehr an Menschlichkeit im Umgang mit anderen. Die Schönheit der Differenz lädt zum offenen Hinterfragen eingefahrener Denkmuster ein, zur Entwicklung von Empathie und zur Teilnahme an der Etablierung einer gerechten Gesellschaft, in der alle Menschen gleichwertig sind. Das Buch ist nicht nur lesenswert, sondern ich würde sogar sagen, es sollte Pflichtlektüre sein für alle, die sich mit den Themen Inklusion und soziale Gerechtigkeit auseinandersetzen möchten. Ich habe im Abitur John Howard Griffins Black Like Me gelesen und denke, man sollte – sofern nicht schon geschehen Hadija Haruna-Oelkers Buch als Schullektüre etablieren.
Abschließende Textpassage aus Die Schönheit der Differenz vonHadija Haruna-Oelker
Halten wir fest: Keine Gruppe ist homogen. Es gibt unter ihnen kulturelle, soziale, sprachliche, historische und regionale Unterschiede, aber es gibt kein Ranking. Es gibt so viele Trauma, die sich intergenerational fortschreiben, internalisiertes, in Körper eingeschriebenes Wissen, das sich bis heute transportiert. Deshalb kann es keine »Hierarchisierung des Leids«, nur ein Nebeneinander geben, dem wir uns widmen sollten, um gemeinsam an einer Heilung zu arbeiten. Sie beginnt damit, dass wir all diese Geschichten und ihre Menschen darin anerkennen. Ich wünschte mir deshalb auch ein Ende der Debatten unter »Historikern«, die immer wieder über Vergleiche der Shoah und andere Genozide und die Singularität der Shoah diskutieren. An der Singularität ist nicht zu rütteln. Nichts ist deckungsgleich mit der Shoah. Auch die Sklaverei war ein gesondertes Ereignis.- Aber der Blick in die Geschichte und die Aufarbeitung ist nur dann von Nutzen, wenn durch das Herausarbeiten der Gemeinsamkeiten und Unterschiede das Spezifische, was sich in der Abwertung von Differenz zeigt, uns heute Unterdrückungssysteme besser verstehen lässt: Das Ziel: aus der Geschichte lernen, um weitere Gewalt, weitere Genozide zu verhindern.
Aus: Haruna-Oelker, Hadija: Die Schönheit der Differenz. Miteinander anders denken. München 2022, S. 249-250.
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