Kapitän Wentworth im Gespräch mit Anne Elliot in Jane Austens Überredung. Der Roman unterscheidet sich signifikant von Austens anderen Werken, denn Anne scheint mit ihrem Dasein als unverheiratete Frau abgeschlossen zu haben und ist mit ihren 27 Jahren nicht mehr die aufblühende Schönheit, wie man die weiblichen Protagonisten aus Jane Austens Romanen kennt. Sie ist resigniert, traurig und abgeklärt, kann aber ihre einstige Liebe nicht vergessen und ist ihm, trotz aller Umstände weiterhin treu. Der folgende Auszug befindet sich bereits am Ende des Buches, Kapitän Wentworth schreibt gerade jenen wichtigen Brief, dessen Worte es vermögen, eine Wende im Leben von Anne herbeizuführen, nach der sie sich sehnt, doch nicht mehr geglaubt hat. Und interessanterweise unterhalten die beiden sich über die Fähigkeit der Frau zu wahrer Liebe und Treue, wobei sie sich auch auf die Argumente der Weltliteratur stützen (die in der Tat meist von Männern verfasst wurden).
»[…] Also, Miss Elliot«, er senkte die Stimme, »wie ich schon sagte, wir werden uns über diese Frage nie einigen. Das könnten wohl auch kein Mann und keine Frau. Aber lassen Sie mich wenigstens anmerken, dass alle historischen Fälle gegen Sie sprechen, alle Geschichten, in Prosa und Vers. Wenn ich ein Gedächtnis wie Benwick hätte, könnte ich Ihnen im Nu fünfzig Zitate geben, die für mich sprächen, und ich glaube nicht, dass ich je in meinem Leben ein Buch aufgeschlagen habe, das nicht etwas über die Unbeständigkeit der Frau zu sagen gehabt hätte. Lieder und Sprichwörter, alle handeln von weiblicher Untreue. Aber vielleicht werden Sie sagen, die sind doch alle von Männern geschrieben.«
»Das werde ich vielleicht – nein, nein, keine Anspielungen auf Beispiele aus Büchern, wenn ich bitten darf. Männer haben immer den Vorteil vor uns gehabt, dass sie ihre eigene Version erzählen konnten. Sie haben die Vorzüge der Erziehung in viel größerem Maße genossen. Sie haben die Feder in der Hand gehabt. Bücher lasse ich als Beweismaterial nicht gelten.«
»Aber wie sollen wir denn etwas beweisen?«
»Wir werden nichts beweisen. Wir können nicht erwarten, in diesem Punkt irgendetwas zu beweisen. Es handelt sich um unterschiedliche Meinungen, für die es keine Beweise gibt. Wir fangen vermutlich alle mit einer gewissen Parteilichkeiten unser eigenes Geschlecht an, und mit dieser Parteilichkeit deuten wir dann jeden Vorfall, der sich in unserem Kreis ereignet, zu seinen Gunsten; und viele dieser Fälle (vielleicht sogar diejenigen, die uns am meisten betroffen machen) sind solche, die man nicht erwähnen kann, ohne einen Vertrauensbruch zu begehen oder Dinge zu sagen, die nicht gesagt werden sollten.«
Jane Austen: Überredung. Aus dem Englischen übersetzt von Ursula und Christian Grawe. Nachwort und Anmerkungen von Christian Grawe. Stuttgart 2009, S. 284-285.
Eine kleine Zusammenfassung von Überredung:
Überredung ist ein Roman von Jane Austen, der 1818 posthum veröffentlicht wurde. Die Geschichte handelt von Anne Elliot, einer klugen und sensiblen jungen Frau aus einer angesehenen Familie, die unter dem Druck ihrer arroganten Verwandten und Gesellschaft steht.
Die Handlung des Romans beginnt acht Jahre nachdem Anne eine Liebesbeziehung zu Frederick Wentworth aufgegeben hat, einem Offizier der Royal Navy, den sie leidenschaftlich geliebt hatte. Auf Drängen ihres Vaters und ihrer Familie hatte sie Wentworths Heiratsantrag abgelehnt, da er zu diesem Zeitpunkt über wenig Vermögen verfügte. Doch in der Zwischenzeit hat Wentworth sein Vermögen vervielfacht und kehrt als erfolgreicher Kapitän zurück.
Der Roman erkundet Annes emotionale Reise, als sie Wentworth erneut begegnet und feststellt, dass ihre Gefühle für ihn nie erloschen sind. Gleichzeitig erlebt sie die Aufregungen und Turbulenzen innerhalb ihrer Familie, einschließlich der Eitelkeiten und Fehler ihrer Verwandten.
Überredung thematisiert die Bedeutung von Selbstachtung, wahrer Liebe und die Fähigkeit zur persönlichen Entwicklung. Der Roman zeigt, wie Anne im Laufe der Handlung wächst, ihre eigenen Wünsche erkennt und schließlich die Möglichkeit einer erneuten Liebe zu Wentworth auslotet.
Austens Werk ist für seinen subtilen Humor, seine scharfsinnige Charakterzeichnung und seine sorgfältige Beobachtung der gesellschaftlichen Konventionen bekannt (wie sowieso alle ihre Romane). Er unterstreicht ihr Talent, komplexe soziale Beziehungen und individuelle Emotionen in ihren Werken darzustellen. Überredung ist eine zeitlose Geschichte von Liebe, Reue und zweiten Chancen, die auch heute noch Leserinnen und Leser fesselt und bezaubert.
Es gibt einige Verfilmungen, in denen die Heldin jeweils variationsreich mit bemerkenswerten Perspektiven inszeniert wird. Zuletzt erschien eine sehr moderne, der Satire zugeneigte Verfilmung mit Dakota Johnson als Anne Elliot in der Hauptrolle.
Darüber hinausgehende Fragestellung:
Allein in dem genannten Zitat sind Diskurse enthalten, die sich durch die Weltliteratur ziehen und auch zeitgenössische Problematiken ansprechen. Es geht um die Inszenierung der Geschlechter in der Literatur und die Frage, wer jeweils spricht und mit welcher Befugnis das entsprechend wertende Ich ausgestattet ist und inwiefern sich mit der verschriftlichten Wertung Wahrheit verbindet. Anne Elliot ist insofern durchaus als moderne Heldin zu betrachten, die Bücher nicht als Beweise gelten lässt, weil sie eine Frau ist, die es besser weiß und eben nicht treulos ist. Damit ist Anne Elliot der fiktional lebende und in die Weltliteratur eingegangene Beweis (der zudem von einer Frau ersonnen wurde), dass Frauen entgegen der allgemeinen Meinung nicht untreu sind, sondern über alle Maßen hinaus zur treuen Liebe fähig sind. Inwiefern hier dennoch zeitgenössische Diskurse einspielen, der Kontext der Szene im Roman einbezogen werden müsste und natürlich auch bedacht werden muss, dass Anne Elliot eben doch am Ende glücklich in die Ehe eingeht – das müsste gesondert und vergleichend (auch unter Heranziehen feministischer Abhandlungen) betrachtet werden.
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