11. Dezember – Literarischer Adventskalender 2024
Weihnachten ohne Nussknacker? Undenkbar! Darum geht es heute um Nussknacker und Mausekönig von E.T.A. Hoffmann (Ernst Theodor Amadeus), einem Text, der um 1816 erschien. Was als schlichte Erzählung über ein Spielzeug beginnt, entfaltet sich zu einem fantasievollen Spektakel voller märchenhafter Magie, waghalsigem Heldenmut, vielen schrägen Figuren und Ereignissen. Hier kämpfen Spielzeugsoldaten gegen Mäuse, ein Mädchen entdeckt die Kraft der Fantasie, am Ende wird alles in Zuckerwatte getaucht. Es klingt nach einer märchenhaften Kindergeschichte, nach kitschigem Fabulieren. Handelt es sich nur um eine romantisch angehauchte Weihnachtserzählung? Von wegen! E.T.A. Hoffman macht mit Nussknacker und Mausekönig seinem Stand als Dichter der deutschen Romantik alle Ehre und bietet eine Lektüre mit Tiefgang, Symbolik und Humor. Er ist übrigens auch als »Gespenster-Hoffmann« bekannt – ein Verweis auf seine vielen unheimlichen und fantastischen Erzählungen, zu denen beispielsweise auch der bekannte Sandmann zählt.
Nussknacker und Mausekönig von E.T.A. Hoffmann ist lesenswert, weil …
👉 … es die Grenze zwischen Realität und Traum auf wunderbare Weise verschwimmen lässt und dabei eine einzigartige Erzählweise bietet.
👉 … die verschachtelten Spiegelungen zur Reflexion anregen und eine eingehende Betrachtung der Geschichte interessant sein kann.
👉 … es auf der ganzen Welt bekannt ist und damit zu den zeitlosen Klassikern gehört, die in verschiedenen Medien adaptiert wurden.
👉 … es spannend sein kann, die verschiedenen Erzählebenen zwischen Initiationsgeschichte, Märchen, Weihnachtsgeschichte und bürgerlicher Bildungsgeschichte zu erkunden.
👉 … es ein literarisches Werk aus der Epoche der Romantik ist, in dem Hoffmann seine Vorliebe für das Übernatürliche und das Geheimnisvolle aufgreift und eine unvergessliche Erzählung erschafft.
Auszug aus Nussknacker und Mausekönig von E.T.A. Hoffmann
Vor bangem Grauen konnte Marie in der folgenden Nacht nicht einschlafen, es war ihr um Mitternacht so, als höre sie im Wohnzimmer ein seltsames Rumoren, Klirren und Rauschen. Mit einemmal ging es: »Quiek!« »Der Mausekönig! der Mausekönig!« rief Marie, und sprang voll Entsetzen aus dem Bette. Alles blieb still; aber bald klopfte es leise, leise an die Türe, und ein feines Stimmchen ließ sich vernehmen: »Allerbeste Demoiselle Stahlbaum, machen Sie nur getrost auf – gute fröhliche Botschaft!« Marie erkannte die Stimme des jungen Droßelmeier, warf ihr Röckchen über, und öffnete flugs die Türe. Nußknackerlein stand draußen, das blutige Schwert in der rechten, ein Wachslichtchen in der linken Hand. Sowie er Marien erblickte, ließ er sich auf ein Knie nieder, und sprach also: »Ihr, o Dame! seid es allein, die mich mit Rittermut stählte, und meinem Arme Kraft gab, den Übermütigen zu bekämpfen, der es wagte, Euch zu höhnen. Überwunden liegt der verräterische Mausekönig und wälzt sich in seinem Blute! – Wollet, o Dame! die Zeichen des Sieges aus der Hand Eures Euch bis in den Tod ergebenen Ritters anzunehmen nicht verschmähen!« Damit streifte Nußknackerchen die sieben goldenen Kronen des Mausekönigs, die er auf den linken Arm heraufgestreift hatte, sehr geschickt herunter, und überreichte sie Marien, welche sie voller Freude annahm. Nußknacker stand auf, und fuhr also fort: »Ach meine allerbeste Demoiselle Stahlbaum, was könnte ich in diesem Augenblicke, da ich meinen Feind überwunden, Sie für herrliche Dinge schauen lassen, wenn Sie die Gewogenheit hätten, mir nun ein paar Schrittchen zu folgen! – O tun Sie es – tun Sie es, beste Demoiselle!«
E.T.A. Hoffmann: Nussknacker und Mausekönig. Mit einem Nachwort und Anmerkungen von Alina Boy. Stuttgart 2022 (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 14371), S. 65-66).
Der Text ist übrigens auch online auf Projekt Gutenberg zu lesen.
Informationen zum Autor: E.T.A. Hoffmann – Fantasiegenie und Grenzgänger
E.T.A. Hoffmann (1776–1822) war eine der schillerndsten Figuren der deutschen Romantik. Als Jurist verdiente er seinen Lebensunterhalt, doch seine wahre Leidenschaft galt der Kunst. Neben seiner Tätigkeit als Schriftsteller war er Komponist, Maler und Karikaturist. Seine Werke sind geprägt von der Auseinandersetzung mit der Fantasie, dem Übersinnlichen und der Frage, wie dünn die Grenze zwischen Traum und Wirklichkeit sein kann. Bekannt ist Hoffmann vor allem für seine fantastischen Erzählungen wie Der Sandmann. Dieses Werk zieht Leserinnen und Leser mit düsteren psychologischen Elementen bis heute in den Bann und sorgt für Verwirrung. Auch Das Fräulein von Scuderi, das als früher Kriminalroman gilt, stammt von »Gespenster-Hoffmann«. Hoffmann schuf erzählerische Welten, die zwischen Schönheit und Grauen pendeln, wobei er seine Figuren oft an die Grenze der Realität drängt, bewusst die im Werk inszenierte Realität der Figuren fiktional spannungsvoll und mit bestimmten Symbolen auflädt. Nussknacker und Mausekönig ist ein Märchen für Kinder und Erwachsene, wobei sie es je nach Perspektive entsprechend lesen können. Und die Überblendung von Fantastischem zu Alltäglichem sowie das bereits aus dem Sandmann bekannte Spiegelmotiv findet sich im Nussknacker innerhalb der erzählten Verschachtelung, wobei sich die Figuren aus den unterschiedlichen Erzählebenen hinsichtlich bestimmter Aspekte spiegelbildlich gegenüberstehen.
Zur literaturhistorischen Einordnung von Nussknacker und der Mausekönig
Nussknacker und der Mausekönig ist mit seinem Entstehungsjahr von 1816 ein Kind der Romantik. Diese literarische Strömung folgte auf das nüchterne Denken der Aufklärung und war geprägt von der Sehnsucht nach dem Wunderbaren und der Erforschung der menschlichen Seele. Auch um die Beseelung der Natur ging es, um die Bewahrung von Mythen, die in der Aufklärung an Bedeutung verloren hatten. Doch im Fokus stand auch das Ich, das Individuum. Gefühle wurden über den Verstand gestellt. Das Alltägliche sollte mit Magie gefüllt werden – darin war Hoffmann einer ihrer Meister. Mit seiner Schöpfung fantastischer Welten und der Kunst, Realität und Traum verschmelzen zu lassen, passte Hoffmann perfekt in die Epoche. Gleichzeitig stand er mit einem Fuß in der bürgerlichen Realität seiner Zeit, was eine – vielleicht ironische – Brechung seiner Person, vielleicht auch seiner Geschichten evoziert. Sein Einfluss reicht weit über die Literatur hinaus: Tschaikowskys weltberühmtes Ballett Der Nussknacker (1892) basiert lose auf Hoffmanns Geschichte und machte sie zu einem internationalen Kulturgut.
Clemens Brentano, die Günderrode und das doppeldeutige literarische Sprechen
Das doppeldeutige Reden (mehr und weniger) hat beispielsweise auch Clemens Brentano, ebenfalls Dichter der Romantik, in seinem literatur-psychologischen Experimentierbrief / Liebesbrief / eruptives Geständnis Mitte Mai von 1802 an Karoline von Günderrode unter Beweis gestellt. Mir jedenfalls war er dann gleich um einiges unsympathischer – aber immerhin hat sich Karoline mit ihrer analytischen Antwort gut geschlagen. Was sollte sie auch sonst machen, bei diesem Einstieg wie diesem:
So öfne alle Adern deines weisen Leibes, daß das heiße schäumende
Blut aus tausend wonnigen Springbrunnen sprizze
Es hat ja Etwas, sexualisierte Inhalte kunstvoll literarisch darzustellen. Vielleicht mag es auch oder sogar schmeichelhaft gewesen sein, als Objekt der Begierde. Aber wozu sich in Literatur verstecken? Vielleicht war Brentano ein Feigling, der sich und seine Gefühle hinter vampir-erotischer Sprache verbarg, weil er mit dem literarischen Experiment die Angebetete prüfen wollte. Es ist letztlich wohl einfach besser, wenn der Dichter, der Mann, behaupten kann, er habe alles in seiner Macht Stehende getan, die Angebetete mit Sprache, mit Lyrik, mit Poesie, mit Intertextualität, mit Literatur zu umgarnen. Doch sie sei zu blöd gewesen! -Seine doch so offensichtlichen Versuche überhaupt zu bemerken – anstatt zuzugeben, dass er einfach nur Angst vor einem Korb hatte. Vielleicht war er auch einfach nur ein unberechenbarer Wüstling, der einfach gut mit Worten konnte. Oder er wollte einfach sehen, was passiert. Vielleicht gehörte der Brief an Karoline von Günderrode auch zu einer spätpubertären Phase. Ich weiß gerade auch nicht, warum ich mich gedrängt fühle, diesen Absatz hier völlig themenfremd noch hinzuzufügen. Dazu mache ich vielleicht mal einen Beitrag, denn ich habe mich damit noch nicht eingehender beschäftigt.
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